Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: Jess Ribeiro
SURPRISE! Today we release a cover of one of our favourite Christmas songs, Blue Christmas, recorded and mixed with in our home away from home. Can’t wait to sing this live while on tour this winter!!!!
All our Love, Hannah & Craig
Der Instagram Post vom Tag zuvor erreichte mich erst an diesem Abend auf der Zugfahrt zum Gebäude 9. ‘Was wäre toll, wenn sie den Song auch heute Abend spielen würden‘, denke ich noch, bevor ich den Zug verlasse, um die letzten Meter zum Gebäude 9 zu Fuß zurückzulegen. Auf den bisherigen Setlisten der aktuellen Big Swimmer Winter Tour stand er nicht, aber wir nähern uns ja immer mehr Weihnachten. Und da er jetzt auch offiziell raus ist, warum denn nicht. Big Swimmer ist das aktuelle King Hannah Album und mit höchster Wahrscheinlichkeit mein Album des Jahres. Es ist das zweite Album des Liverpooler Duos Hannah Merrick und Craig Whittle, ihr Debütalbum I’m not sorry, I was just being me erschien 2022. Ich lernte King Hannah während der Pandemie mit ihrer EP Tell me your mind and I’ll tell you mine kennen. „Meal deal“ und vor allem „Creme brûlée“ begeisterten mich und ich beschloss, King Hannah im Auge zu behalten. Was mir nicht sonderlich schwer gemacht wurde, da sie 2022 und 2023 Konzerte in meiner Nähe spielten und 2022 auch ihr erstes Album veröffentlichten.
Die Tracks entfalten eine düstere Soundtrack-Atmosphäre im Geiste eines David Lynchs und dem melancholischen Minimalismus von Acts wie Mazzy Star, Portishead oder Cranes. Deren nebelverhangene und noisige Grundstruktur wabert auch hier im Hintergrund mit und führt uns in eine fast märchenhaft entrückte Welt.
Tonspion.de
Genauso toll wie es klingt, ist die Debütplatte auch. Und der Nachfolger Big Swimmer sowieso. Dass Big Swimmer höchstwahrscheinlich mein Album des Jahres ist, erwähnte ich?! Wie auch immer, beide Alben sind bedingungslose Kaufempfehlungen!
Aus all diesen Gründen war es mehr als offensichtlich, dass ich mir für ihr 2024er Konzert ein Ticket besorge. Überraschenderweise ist das sogar noch am Konzerttag möglich. Ich hatte eher vermutet, dass das Konzert längst ausverkauft ist. Ausverkauft ist es dann auch, aber erst am Abend. Entsprechend voll war der Saal bereits, als ich um kurz nach acht Uhr am Gebäude ankomme.
‘They are from Liverpool! They are from Liverpool! They must be The Beatles, I don’t know anyone else from Liverpool’ sind die ersten Worte, die ich höre, als ich in den Saal gehe. Gerade spielt Jess Ribeiro im Vorprogramm und erzählt darüber, wie schön es sei, mit King Hannah auf Tour zu sein. Jess Ribeiro kommt aus Australien und spielt eine gute halbe Stunde lang australischen Indierock, der mich zeitweise an Courtney Barnett denken lässt. Es irritiert mich etwas, dass sie scheinbar ihre Songs nicht zu Ende spielt. Oder verstehe ich einfach nur die Idee nicht, Songs abrupt enden zu lassen? Sei es, wie es ist, musikalisch passt Jess Ribeiro gut zu King Hannah; entsprechend groß ist der Applaus.
Wenig überraschend ist der Saal bereits zu diesem Zeitpunkt bereits voll. King Hannah sind aktuell unter Indierock-Liebhabern sowas wie die Band der Stunde; ich kenne niemanden, der ihr Album Big Swimmer nicht mag. Ihr Mix aus Noise-Gitarrensolos, lethargischem Sprechgesang und Songs, die an Portishead oder Mazzy Star erinnern, sind einfach unschlagbar gut. Das muss man einfach mögen. Und live bringen sie das mit ihren Tourmusikern phänomenal gut auf die Bühne. Meine letzten beiden King Hannah Konzerte habe ich da in guter Erinnerung. Gerade ihr letztes Kölner Konzert im Kölner Club Helios war sehr umjubelt und auch dieses Konzert ist, um es kurz und knapp zu sagen, ein grandioses Konzert.
King Hannah beginnen das Konzert gegen den Trend. Normalerweise und statistisch belegbar ist, dass über 90% aller Konzerte mit dem ersten Song des aktuellen Albums einer Band/Musiker*innen beginnen. King Hannah machen das an diesem Abend nicht so. Und sie haben allen Grund, denn „Big Swimmer“ – der Opener von Big Swimmer – ist zu gut, um ihn zu Beginn zu verheizen. Perlen vor die Säue, würde man sagen. Überdies ist er musikalisch auch wenig geeignet, um ein Konzert zu eröffnen: Er beginnt ruhig und leise und kommt nur langsam auf Betriebstemperatur. Entsprechend und seiner Größe gerecht – es ist vielleicht der beste Song des Albums – spielen King Hannah ihn in der Zugabe.
Stattdessen starten sie mit „Somewhere near El Paso“, einem knapp 9-minütigen Song über Beobachtungen an einer Tankstelle und/oder Motel in Texas. Ein guter Start, der mich sofort ins Konzert kommen lässt. Hannah Merrick steht extrem lässig in einem roten Rüschenkleid in der Bühnenmitte, links von ihr Partner Craig Whittle. Die Tourmusiker – Bassist und Schlagzeuger – stehen etwas im Hintergrund. Das Bühnenlicht bleibt meist in dunklen Bereichen. „The mettress“ und „Milk boy“ folgen, das Konzert kommt langsam aber sicher richtig in Wallung. King Hannah überzeugen nicht nur mich auf ganzer Linie. ‘Der Saal kocht’ wäre zwar übertrieben, aber die Stimmung ist sehr gut bis enthusiastisch. Nach zwei weiteren Songs ist klar, das Konzert ist nicht nur sehr gut, es ist überragend. So überragend, dass ich mich schon etwas ärgere, kein Merch gekauft zu haben. Den Gedanken, das nach dem Konzert nachzuholen, hege und pflege ich während der verbleibenden 40 Minuten. Doch leider wird später das von mir favorisierte T-Shirt in meiner Größe ausverkauft sein.
„Davey says“ und „New York, let’s do nothing“ hauen mich um. Ersteres ein Indierock Schmachtfetzen höchster Güte mit schön verzerrter Gitarrenmelodie, zweiterer ein Post-Punk-Sprechgesang Ding, der mich andauernd an Dry cleaning erinnert. Besser kann es doch nicht mehr werden! Fast richtig, aber „Creme brûlée” und natürlich „Big Swimmer“ setzen nochmal einen drauf. Die Setlist ist nicht lang und enthält zwei Cover. Zum einen den Bruce Springsteen Klassiker „State Trooper“, – ein Request, den King Hannah spontan erfüllen – und zum anderen das bereits erwähnte Weihnachtslied „Blue Christmas“. Den spielen sie als letzten Song im Duett, quasi als Rausschmeißer. Mitgesungen habe ich ihn jedoch nicht.
‘Ich bleibe bis zum letzten Ton‘, schreibe ich in einer SMS. Das ist erwähnenswert, weil ich sonst auch schonmal gerne vorzeitig aufbreche, um eine Zugverbindung früher zu bekommen. An diesem Abend ist es mir jedoch nicht möglich, eher zu gehen. Das Konzert hält mich gefangen, es ist einfach zu schön. Ein größeres Lob kann ich nicht machen.
Setlist:
01: Somewhere near El Paso
02: The mattress
03: Milk boy (I love you)
04: Go-kart kid (Hell no!)
05: This wasn’t intentional
06: John Prine on the radio
07: Suddenly, your hand
08: New York, let’s do nothing
09: Davey says
10: State Trooper
11: Crème brûlée
Zugabe:
12: Big Swimmer
13: Blue Christmas
Kontextkonzerte:
King Hannah – Köln, 04.04.2022 / Helios 37
King Hannah – Absolutely Free Festival Genk, 05.08.2023