Ort: AB Salon, Brüssel
Vorband: –
Der AB Salon ist ein kleiner Raum über dem AB Café. Beide Räumlichkeiten gehören zum Konzerthaus Ancienne Belgique, kurz AB genannt. Das AB ist der Konzertsaal Brüssels, hier spielen alle wichtigen Leute, wenn sie in Belgiens Hauptstadt Konzerte geben. Der AB Salon ist seit einigen Monaten ein zweiter Konzertsaal. Wobei Saal Unsinn ist, es ist ein Raum, mit 70 Stühlen in zwei Viererreihen vor einer ebenerdigen Auftrittsfläche. Ganz hinten, direkt neben den 50 Treppenstufen die man heraufsteigen muss, um in den Salon zu gelangen, steht ein Sofa und ein kleiner Tisch.
Vor abgezählten 70 Leuten spielte hier Josh Rouse endlich sein Konzert. Endlich, weil es eigentlich hätte im November stattfinden sollen. Seinerzeit wurde es aus produktionstechnischen Gründen, wie es so schön heißt, abgesagt.
Tickets für Konzerte im AB Salon kann man nicht kaufen, sie werden verteilt. First come, first serve. So sagt man doch. Im AB Salon spielen in der Hauptsache Singersongwriter* mit Gitarre oder Keyboard. Wenig Lärm um viel, so möchte ich die Konzertreihe des AB Salon treffend zusammenfassen. Da passt Josh Rouse natürlich perfekt rein. Ich entdeckte den Mann aus Nashville über Umwege vor einigen Jahren. Seine große Hits Zeit lag da schon länger zurück. Mit „Sad eyes“ oder „It’s the nighttime“ hatte er sie mit den Anfang der 2000er Jahren erschienen Alben 1972 und Nashville. Nashville wurde auch meine Einstiegsdroge, schnell konnte ich die Texte zu „Sad eyes“ und „It’s the nighttime“ auswendig.
Konzertetechnisch sah und sieht man Josh Rouse eher selten auf den Bühnen Europas, obwohl er eine Zeitlang in Valencia lebte. Der Mann führt live ein musikalisches Schattendasein. Produktionstechnisch ist er dagegen gut dabei: Love in the modern age ist sein 11. Album, die letzten fünf Platten veröffentlichte er im Dreijahresrhythmus.
Vor einigen Tagen wurde Love in the modern age veröffentlicht. Derzeit tourt er durch Mitteleuropa, das wohl auch der Grund, warum zwischen Auftritten in Berlin und in der belgischen Provinz der Nachholtermin für den im Herbst letzten Jahrs ausgefallenen Salonauftritt nachgeholt werden konnte. Das passt gut, eine aktuelle Tour, ein just veröffentlichtes Album.
Mir passte das auch gut, um nicht zu sagen besser, auch wenn es mein dritter Belgienausflug innerhalb einer Woche war. Ich hatte in der Zwischenzeit gelernt, dass es einfach ist, mit dem Auto nach Brüssel zu fahren, bzw. in einen Vorort, um dort via park & ride Parkplatz die horrenden Parkhausgebühren der belgischen Hauptstadt zu umgehen und mit dem in Ab Konzerten integrierten ÖPNV Ticket kostenfrei und entspannt mit der U-Bahn ins Stadtzentrum zu fahren. Ohne Stress und Parkplatzsuche, ohne Verirrungen bei der Heimreise im Einbahnstraßen Netzwerk Richtung E40.
Da das ÖPNV Ticket freie Fahrt für den ganzen Konzerttag garantiert, lag es nahe, einen Ausflugstag zusammenzubauen. Ein kurzer Abstecher hierhin, ein Blick dorthin, Pommes bei Fritland und ein belgisches Bier in einem Straßencafé. Ein schöner Tag im frühsommerlichen Brüssel. Gekrönt wurde der Tag durch ein famoses, einstündiges Konzert im noch nicht allzu warmen AB Salon. Das liest sich nicht nur perfekt, das war perfekt, auch weil der Abend so nicht allzu spät endete.
Josh Rouse war guter Dinge. Die ausliegende Setlist versprach 18 Songs, stellte sich aber im Laufe des Konzerts als fake-list heraus. Sie war vielmehr so eine Art mögliche-zu-spielende-Songs Liste, die nicht strikt eingehalten wurde. Vielleicht war es die Standard Toursetlist, ich weiß es nicht. An diesem Abend spielt Josh Rouse nur die ersten fünf Songs in Reihenfolge, bevor er in den Wünsch-dir was Modus überging. ‘Feel free to ask for a song, i am open for that.‘ So kamen „Winter in the Hamptons”, „Sad eyes” sehr schnell, „It’s the nighttime” hatte er zuvor schon freiwillig gespielt. Ich erwähne genau diese drei Songs, weil es meine Lieblingssongs sind und – aber da bin ich überfragt – vielleicht seine bekanntesten Stücke.
Neben alten Klopfern hörten wir natürlich auch viele neue Songs. Die sind zwar poppiger, aber so what! Klaro, man muss sich ein bisschen dran gewöhnen, an den eighties-Pop. Aber schlimm finde ich zum Beispiel „Love is the modern age“ (die erste Single) nicht. Auch wenn das Schlagzeug ungewohnt dancy klingt und ein eigentlich gruseliges Popsaxophon zur richtigen Zeit unterstützt.
On his 2015 album, The Embers of Time, singer/songwriter Josh Rouse found himself in a moment of deep introspection and self-examination, openly expressing his self-doubt and reckoning with depression. His latest, the four-star Love in the Modern Age, takes a completely different tact. Rouse decided it was time to set aside the acoustic guitar and embrace the slick synthesizer sounds he recalls from his formative years in the 1980s, resulting in an album of electronic-based pop that doesn’t shy away from fearless romanticism, while leaving room for some sultry saxophone passages. (allmusic.com)
Also nochmal, qualitativ finde ich Love in the modern age (das Album) nicht schlechter als die älteren Sachen. Weder auf Platte noch in der Liveversion. Da fand ich es auch im Konzert nicht störend, dass zu zwei Songs ein Schlagzeug aus dem Tablet das Gitarrenspiel des Amis begleitet. ‘Mein Schlagzeuger hat keine Zeit‘ kommentierte Josh Rouse lakonisch.
„Businessman“,„Love in the modern age“, „Ordinary people“, Songs des neuen Albums bestimmen den Beginn des Konzertes. Aber wer nur auf ein paar Songs der aktuellen Scheibe gewettet hatte, sah sich getäuscht. „Under cold blue stars“ und „It’s the nighttime” sind die ersten älteren Stücke, die rasch nachgeschoben werden. Danach folgen die ersten Wünsche: „Comeback“ vom tollen 1972 Album war der erste, „Winter in the Hamptons“ der nächste.
Es wurde kein Promogig vor 70 Musikliebhabern, es wurde vielmehr ein kleines, feines Konzert mit vielen alten und ein paar neuen Sachen. Vollkommen unaufgeregt und wunderbar verlief der Abend. So sollte es an einem solchen Ort auch sein. Laut, hektisch und unaufmerksam geht im großem Klub, in einem mit 70 Musikinteressierten gefüllten Salon hat die entspannte Konzentriertheit die höchste Pflicht. Und so war es denn auch: alle waren guter Laune; das Publikum sehr aufmerksam und fachkundig, der Künstler sehr zuvorkommend. Josh Rouse spielte ohne zu murren alle weiteren Wunschsongs, nur einem zweiten „Winter in the Hamptons“ verweigerte er die Annahme, und wir lauschten andächtig, summten manchmal leise mit und spendeten großen Applaus.
Zum Schluss gab es noch ein zum Tanzen schönes und schmissiges „Salton sea“. Das hatten wir uns verdient!
Im Vorfeld wurden wir gefragt, ob wir die Tickets wirklich wahrnehmen wollen, die Warteliste sei lang und es sei doch blöd, wenn Stühle unbesetzt bleiben würden und wartende Interessenten nicht nachrücken könnten. Seit Monaten waren alle Tickets vergeben. Ja natürlich, auf alle Fälle wollten wir unsere Tickets wahrnehmen. Josh Rouse wollte ich mir nicht entgehen lassen, auch wenn die Woche anstrengend war. Belohnt wurde ich mit einem wirklich tollen Abend.
You play your stereo loud…
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