Ort: De Casino, Sint-Niklaas
Vorband: –

Bloody hell Antwerpener Autobahnring. Der Stau beginnt bereits weit vor dem Ring und bringt uns in ziemliche Zeitnot. Okay, eine frühere Abfahrt hätte die Sache vielleicht entschärft, vielleicht aber auch nur die Wartezeit im Stau verlängert. Keiner weiß das so genau aber fest steht, dass das Regenwetter die Fahrt nicht angenehmer macht. Eine verpasste Autobahnabfahrt und dadurch einem kleineren Umweg später stehe ich drei Minuten vor Konzertbeginn im de Casino. Es bleibt logischerweise nur ein Platz weiter hinten. So war das eigentlich nicht geplant. Gott sei Dank ist der Saal nicht so groß und extrem vorteilhaft geschnitten, so dass die Bühne nicht allzu weit entfernt ist. Blöd ist nur, dass ich genau in der Luftschneise der Klimaanlage stehe und mir nach wenigen Minuten die kühle Luft am Nacken und Schulterbereich unangenehm aufstößt. Bisher ein perfekter also.
Wie viele neue Platten hat Mark Kozelek eigentlich seit unserem letzten Konzertbesuch im November letzten Jahres veröffentlicht? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Die letzte neue Platte, die ich kenne, ist die Zusammenarbeit Mark Kozeleks aka Sun Kil Moon mit der ungarischen Band Amoeba. Aber mitunter ist sein Output ja enorm, sicherlich gibt es seitdem mindestens eine weitere Veröffentlichung. Und richtig, im Januar erschien All the artists, eine Ansammlung von bekanntem Material, sprich Songs, die Mark Kozelek in den letzten Jahren geschrieben hat. Angenehme Klavierstücke, über die er seine üblichen Alltagsbeobachtungen, Freundschaftsauflistungen und banale Popkultur-Referenzen erzählt. „All the Artists Live in L.A.“ und „Bees on Echinacea“ habe ich bereits beim letzten Sun Kil Moon Konzert live gehört.
Als Mark Kozelek Ende letzten Jahres eine Sun Kil Moon Tour in Europa ankündigte, war im Prinzip klar, dass – wenn ein Konzertort in einer machbaren Nähe liegt – ich dieses Konzert besuchen werde. Als nächst machbarer Ort entpuppte sich schließlich das de Casino in Sint-Niklaas in der Nähe von Antwerpen. Die übrigen vier Europagigs, die Konzerte sind also eher eine überschaubare Angelegenheit, spielt Mark Kozelek in Madrid, Paris, Athen und Berlin. Da ich das de Casino bisher noch nicht besucht habe, ist es eine gute Möglichkeit, einen der etabliertesten belgischen Konzertläden mal aus der Nähe zu begutachten.
Das de Casino liegt in der Fußgängerzone von Sint-Niklaas, unweit des Bahnhofs. Der Saal im ersten Obergeschoss hat eine sehr imposante Erscheinung und ist zeitlos eingerichtet. Im Erdgeschoss ist ein kleines Café, der Garten um das Gebäude drumherum parkähnlich. Im Sommer finden hier auch Outdoor Konzerte statt. Vom Ambiente und Wohlfühlfaktor her ist das de Casino mit Sicherheit eine der top Konzertlocations in Belgien.
Der Saal ist gut gefüllt. Dass die Veranstaltung ausverkauft ist, scheint mir sehr wahrscheinlich. Auf der Bühne steht ein Flügel, der Hintergrund ist mit einem roten Samtvorhang bekleidet. Pünktlich um halb neun kommen Mark Kozelek und Bencze Molnár auf die Bühne. Bencze Molnár ist Mark Kozeleks Tourband bei Europakonzerten. Der Musiker der ungarischen Band Amoeba ist seit einiger Zeit immer mit dabei, wenn Sun Kil Moon Konzerte in Europa spielen. Bekanntermaßen hat Mark Kozelek einen Narren an Budapest und die dort beheimatete Band Amoeba gefressen, im letzten Jahr zusammen mit Bencze Molnár, Levente Boros, Peter Sabak und Viktor Sagi Songs aufgenommen und einige Tage in Ungarn verbracht. Es würde mich nicht wundern, wenn ein weiteres Album aus dieser Kollaboration in der Mache ist. Auf Mark Kozeleks Substacks Seite deuten Indizien darauf hin.
Doch zurück zum Konzert.
Mark Kozelek und Bencze Molnár starten mit „Carry me Ohio“ vom Sun Kil Moon Debütalbum Ghosts of the Great Highway. Kann man schon mal so machen. Den Anfahrtsstress habe ich ab da schon wieder vergessen. Zu zweit werden sie den Abend musikalisch bestreiten. Also fast. Denn gegen Ende des Konzerts holt sich Mark Kozelek einen Zuschauer auf die Bühne, um mit ihm im Duett „I can’t live without my my mother’s love“ zu singen. Die Wahl fällt auf einen Jungen mit Namen Ferdinand. Nach dem ersten Song ist Mark Kozelek von seiner Stimme so angetan, dass er ihn nicht gehen lässt und für die nächsten zwei Songs gleich noch auf der Bühne behält. Was dem 22-jährigen Ferdinand offenbar gar nicht so recht scheint. Immer wieder versucht er, zu gehen, immer wieder zieht ihn Mark Kozelek zu sich hin. ‘Find a band, you are getting bigger than Oasis.’ Nun ja, Drama kann Mark Kozelek. Während einer langen Klavierpassage in „Nervous to fly“ gelingt es ihm dann, schnell und unscheinbar von der Bühne zu verschwinden. Doch all das passiert erst in zwei Stunden.
„Carry me Ohio“ spielt er für die de Casino Mitarbeiterin Anja, die sich am Nachmittag essenstechnisch scheinbar gut um ihn und seine Crew sorgte. Gleich danach zählt er sicher seine bisherigen Belgienbesuche auf, ‘I had belgium a lot of times’. Die Liste geht weit zurück. Sein letzter Besuch in Belgien war auf dem Absolutely free Festival in Genk. Himmel, das ist auch schon wieder sieben Jahre her. Es folgt der Lounge-Hit “Mindy” aus der Zusammenarbeit mit Amoeba. „Mindy“ ist – wie eigentlich alle Songs aus dieser Zusammenarbeit – sehr jazzy und groovy. Sie klingen also deutlich anders als die anderen Sun Kil Moon Sachen. Insgesamt spielen Mark Kozelek und Bencze Molnár drei Songs aus dieser Phase, „Wolves“ und das Burt Bacharach Cover „What the world needs now is love“ sind die anderen beiden.
Der obligatorische Mark Kozelek Konzert-Diss geht an diesem Abend an den Film Like a complete Unknown und an den Bob Dylan Darsteller Timothée Chalamet. Er hat den Film während des Fluges von San Francisco nach Amsterdam gesehen und war sichtlich nicht angetan von der schauspielerischen Leistungen Timothée Chalamets und dem Film insgesamt. In seinen Augen sei der Film, der immerhin für acht Oscars nominiert war, eine komplette Enttäuschung und Mark Kozelek nennt dafür ein paar Gründe, die ich nicht mehr wiedergeben kann. Es war irgendwas mit ‘andauernd wird im Film geraucht und komponiert.‘ Tja, so kennt man Mark Kozelek und diesmal trifft es eben nicht War on Drugs, Nickelback oder andere aus dem Musikbusiness.
Nachdem die Sache mit Like a complete Unknown geklärt ist, und das dauert schon eine Weile, geht es weiter mit Songs. Er wolle ab jetzt nur noch Elton John-hafte Balladen spielen, kündigt er nach „Wolves“ an. Als erstes wählt er dafür seinen Lieblingssong „All the artists live in L.A.“ aus seinem letzten, gleichnamigen Album. Das Stück ist eine Hommage an die gute alte Zeit ohne Handys, Internet und all diesen Dingen. All the artists live in L.A. ist übrigens ein sehr klavierintensives Album, es würde sich in dieser Zweierkonstellation anbieten, mehr Songs daraus zu spielen. Doch seltsamerweise verzichten Mark Kozelek und Bencze Molnár darauf und spielen an diesem Abend keinen weiteren Song aus All the artists live in L.A.. Stattdessen spielen sie einen Red House Painters Hit. Kann man auch so machen.
„Katy song“ erhascht bereits bei den ersten Tönen großen Applaus. Das Stück geht nahtlos über in „Harper Road“. Großartig und vielleicht die beste Passage des Konzertes.
Dann kommt es zum besagten Gastauftritt. Im Nachgang entpuppt sich erwähnter Ferdinand übrigens als der Musiker Ferdinand Lezaire, der Schlagzeug in verschiedenen Bands und Projekten (u. a. Ornella Noulet & Ferdinand Lezaire und Libersky/Lezaire) spielt.
Den Abschluss des Konzerts bildet die Spoken-Word Performance „Fairytale sunday, sunday fairytale“, ein relativ neues Stück, das Mark Kozelek zusammen mit Amoeba Ende letzten Jahresgeschrieben hat.
Wie heißt es in einer Textpassage eines Songs:
Mark, you’re 56, how are you so fucking handsome?
‘Und warum werden deine Konzerte immer besser?‘ frage ich hinterher.
Es war ein denkwürdiger, ein großartiger Abend, den ich nicht missen möchte.
Setlist:
01: Carry me Ohio
02: Mindy
03: Heron blue
04: The black butterfly
05: Show Me
06: Dogs
07: Wolves
08: All the artists Live in L.A.
09: Katy song
10: Harper Road
11: I can’t live without my mother’s love
12: What the world needs now is love
13: Nervous to fly
14: Fairytale sunday, sunday fairytale
Kontextkonzerte:
Sun Kil Moon & Amoeba – Budapest, 23.11.2024 / Magyar Zene Háza
Sun Kil Moon – BIME Live Festival Bilbao, 26. – 27.10.2018
Sun Kil Moon – Absolutely Free Festival Genk, 04.08.2018