Ort: Joriskerk, Venlo
Vorband:

Josh Rouse - Venlo, 21.06.2024

‘Bababababaaaa babababaaaaa, bababababaaaa babababaaaaa.’

„Winter in the Hamptons“ ist ein so großartiger Song, dass ich ihn immer und immer wieder hören kann und er mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Auf einer Autofahrt lernte ich vor einigen Jahren die Musik von Josh Rouse kennen. Es waren die Alben Nashville und 1972, die mich seinerzeit bei einer regnerischen Fahrt im Hunsrück begleiteten. Seitdem bin ich ein Josh Rouse Fan. Drei Konzerte besuchte ich seitdem, bezeichnenderweise alle drei in Belgien. Und mein viertes Konzert findet nun in den Niederlanden statt. Hat Josh Rouse jemals in den letzten 10 Jahren daran gedacht, ein Konzert in Deutschland zu spielen? Hat in den letzten 10 Jahren jemals jemand daran gedacht, Josh Rouse nach Deutschland einzuladen? Nein, und das ist schade.

Josh Rouse schwebt ordentlich unter dem Radar. Seine Konzerte finden alle in kleinem Rahmen statt und sind oft nicht ausverkauft. Dabei hat er unendlich viele schöne Songs, die in jedem Korsett (ich sah ihn bisher mit Band, ohne Band akustisch und ohne Band mit E-Gitarre) gut aussehen. An diesem Abend ist die Joriskerk nur sehr spärlich besucht. Vielleicht 30 Zuschauer*innen finden sich im Kirchenschiff der kleinen protestantischen Kirche mitten im Stadtzentrum von Venlo ein. ‘I picked the wrong day’ bemerkt Josh Rouse in einer Form von Ernüchterung und Akzeptanz, als er nach zwei Songs erstmals ein paar Worte spricht. Ja, es ist ein unglücklicher Termin, in einer halben Stunde spielt die Niederlande gegen Frankreich ihr zweites Vorrundenspiel dieser EM, auf dem Weg zur Kirche sahen wir schon sehr viel Oranje in den Kneipen und Bars.

Aber die, die da sind, sind Fans. Da ist die junge Frau, die jeden Song enthusiastisch beklatscht und oft hörbar mitsingt, da ist die Gruppe junger Leute, die später am Merchstand sehr lange mit Josh Rouse reden und ein Gruppenfoto machen und da ist der ältere Herr, der seine CD-Inlays zum Signieren mitgebracht hat. Sie und alle anderen geben dem Abend einen respektvollen Rahmen. Dank der guten Kirchenakustik klingt der Applaus dicht und laut. Auch wegen der guten Akustik singt Josh Rouse die Zugabe später ohne elektrische Verstärkung aus dem Kirchenschiff und zeitweise direkt vor meiner Nase.

Doch der Reihe nach. Den ersten Stopp der aktuellen Europa/UK (oder besser: Niederlande/UK Tour) führt Josh Rouse nach Venlo. Venlo? Was um Himmels Willen führt ihn nach Venlo? Ich habe keine Ahnung, finde es aber gut. Tags drauf spielt er in Utrecht und dann noch in Den Haag, bevor er Konzerte in Großbritannien gibt. Vielleicht landete sein Flieger in Düsseldorf und auf dem Weg nach UK passte Venlo als Zwischenstopp vor Utrecht und Den Haag ganz gut. Spekulationen.
Mir ist Venlo ganz recht, die kleine Stadt liegt verkehrsgünstig nicht allzu weit weg und überdies war ich lange nicht mehr in Venlo. Passt also. Nach einer regnerischen Anfahrt sind wir pünktlich in der Stadt. Pünktlich und nicht überpünktlich sind wir nur, weil ich in einem Autobahnkreuz vor Mönchengladbach vergaß, die A 46 wieder zu verlassen und mir das erst kurz vor Sittard auffiel. Na ja, spart Parkgebühren, die dann trotzdem mit 8 Euro für gute 3 Stunden niederländisch typisch happig ausfallen. Dafür ist hier eben die Verkehrsinfrastruktur gut, die mit diesen Geldern, genauso wie mit den Verkehrsknöllchen, gegenfinanziert wird. Irgendwie müssen die modernen Parkhäuser und guten Straßen ja bezahlt werden. Anderes Thema.
In Venlo bleibt noch Zeit, kurz durch die Stadt zu schlendern. Man bereitet sich auf das Spiel am Abend vor, alle Bars und Restaurants tragen bereits Oranje. Da es aber regnet, sind wir bereits wieder kurz nach Einlass an der Joriskerk, um in der ersten Kirchenbankreihe Platz zu nehmen. Die Joriskerk ist eine dieser tollen Konzertorte, von denen es bei uns zu wenige gibt. Im richtigen Leben ist sie ein denkmalgeschützte evangelische Kirche, die im 16. bzw. 19. Jahrhundert erbaut/erweitert wurde. In ihrer Freizeit finden hier Musikkonzerte und Lesungen statt. Veranstalter der Kulturveranstaltungen sind mit dem Grenswerk die Leute, die auch das Venloer Poppodium mit Veranstaltungen füttern. Denn natürlich besitzt auch Venlo, wie nahezu jede niederländische Stadt, ein eigenes – modernes – Konzerthaus (Poppodium). 

45 Minuten später startet Josh Rouse musikalisch mit „It’s the nighttime“ in den Abend. Ein erster Hit, der mich gut in das Konzert bringt. Die Sitzbänke bieten überraschend genug Beinfreiheit und sind nicht zu hart. So lässt es sich aushalten, auch die nächsten knapp 75 Minuten, die Josh Rouse nur mit der Akustikgitarre und teilweise mit Mundharmonika bestreitet. Es ist also eher ein gemächliches Konzert und ganz anders als mein letztes, als ich ihn mit Bandformation spielen sah. Und es ist ein Hits-Konzert. „Winter in the Hamptons“, „Love vibration“, „1972“, „Salton Sea“, „Love in the Modern Age“, „Quiet Town“, „Come back“,  „Summertime“,  „My love has gone“ (mit hohem Mundharmonika Anteil) und natürlich „Sad Eyes“ stehen auf seinem Zettel oder werden auf Nachfrage von Josh Rouse gespielt. (Das auch gewünschte „James“ vom 1972 Album ignoriert er dabei geflissentlich.) Den Abend rund machen die beiden Cover „Lay Lady Lay“ (Bob Dylan) sowie Buddy Hollys „Everyday“.
Zwischendurch erzählt er die ein oder andere Geschichte zu den Songs: warum es ein Bob Dylan Museum in Tulsa, Oklahoma gebe, obwohl Bob Dylan mit dem Ort so gar nichts zu tun habe (Auflösung: da das Woody Guthrie Center in Tulsa steht, kam man zu dem Entschluss, auch das Bob Dylan Center hier zu bauen), oder wie er 14 Jahre lang in Altea bei Valencia gelebt hat und das spanische Leben studierte, oder über die Gegend des Saltonsees, oder oder. Eine Story über die Hamptons (falls es eine gibt) bleibt leider unerzählt. Die Geschichten haben zwar keine Mark Kozelek’schen Dimensionen, aber sie geben einen interessanten Einblick in die Gedankenwelt von Josh Rouse. Amüsant sind sie ohnedies.
Der Abend ist kurzweilig, die gute Songauswahl tut ihr Übriges. Ab und an dürfen wir mitsingen, ab und an singen einige auch ohne Aufforderung mit. Durch die gute Akustik des Kirchenschiffes höre ich das deutlich. Ich denke, jeder hat einen guten Abend und die geringe Besucherzahl ist bald gar nicht mehr ein so großes Übel. Zumindest stimmungsmäßig, finanziell definitiv schon.

Gegen kurz vor 22 Uhr ist das Konzert zuende. Für mich bleiben keine Wünsche offen, ich bin sehr zufrieden mit dem Abend. Etwas traurig ist vielleicht das Mädchen, deren Wunsch nach „James“ unerfüllt blieb. Aber sie wird es hoffentlich verschmerzen, denn es war in Summe ein toller Abend.

Auf dem Weg zum Auto sehen wir, dass sich die Franzosen gegen die Niederländer schwer tun. 0:0 lautet der Zwischenstand, bis dahin ein Erfolg für Oranje.

‘Bababababaaaa babababaaaaa, bababababaaaa babababaaaaa.’

Kontextkonzerte:
Josh Rouse – Leuven, 06.11.2022 / Het Depot
Josh Rouse & Grant-Lee Phillips – Leuven, 24.04.2019 / Het Depot
Josh Rouse – Brüssel, 19.04.2018 / AB Salon

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