Ort: Philharmonie Luxembourg, Luxemburg
Vorband: –
Wie heißt der Typ bei den Peanuts noch, der am Klavier sitzt? Schroeder, oder?
Damon Albarn lässt mich ein wenig an Schroeder denken. Gebückt und in einem zu großen Hemd sitzt der Sänger am Flügel, wirkt mitunter verträumt und etwas verschroben/schrullig. Was die Musiker*innen um ihn herum machen, scheint ihn dabei nicht immer sonderlich zu interessieren. Und es ist ein großes Aufgebot an Musiker*innen, das er mit in die Philharmonie gebracht hat. Am Schlagzeug wird er von Seb Rochford begleitet (der mich vom Aussehen her an Jeff Bezos erinnert; und damit auch genug der merkwürdigen Assoziationen), Simon Tong (ja der von The Good, The Bad & The Queen bzw. The Verve) spielt die Gitarre, Seye Adelekan den Bass und Mike Smith das Saxophon. dazu kommen vier Violinistinnen. The nearer the fountain, more pure the stream flows heißt nicht nur das aktuelle Album von Damon Albarn, es ist auch das Motto dieser Konzerttour, die Damon Albarn und seine Begleitmusiker*innen in die Philharmonien und Konzerthäuser des Kontinents führt. Das Infoblatt der Philharmonie schreibt dazu:
The nearer the fountain, more pure the stream flows, the new studio album from Damon Albarn, was released to critical acclaim in November 2021. Originally intended as an orchestral piece inspired by the landscapes of Iceland, 2021 saw Albarn return to the music in lockdown and develop the work to 11 tracks which further explore themes of fragility, loss, emergency and rebirth. The result is a panoramic collection of songs with Albarn as storyteller.
Das erste, was mir an Damon Albarn auffällt ist, dass er seinen Vokuhila nicht mehr trägt. Das zweite, dass seine sehr klobige Brille relativ starke Gläser hat. Aus meiner Perspektive ist das gut erkennbar. Wenn ich seitlich durch seine Brille schaue, sind die Abbildungen sehr verzerrt. Ab und an schaut er über die Brillengläser; die Schwierigkeiten von Gleitsichtgläsern bzw. die Schwierigkeiten beim Fokussieren ohne Gleitsichtgläser kenne ich auch. Tja, die Sache mit dem Alter und so.
Zurück zum Wesentlichen.
Der Tag ist schön, das Wetter ist gut. Da wir den Kirchberg noch nicht so intensiv kennen wie zum Beispiel die Innenstadt Luxemburgs, sind wir seit den frühen Nachmittagsstunden unterwegs, um die Gegend zu erkunden. Der Kirchberg im Nordosten von Luxemburg-Stadt strahlt im früh-frühlingshaften Sonnenlicht. Hier ist das administrative und wirtschaftliche Zentrum der Stadt. Alle wichtigen Banken haben hier eine Dependance, Amazon seine europäische Unternehmenszentrale und den Verwaltungssitz. Ebenso sind der europäische Rechnungshof und das Europaparlament auf dem Kirchberg mit Arbeitsorten vertreten. Es ist ein internationales Flair, das einem hier begegnet. An diesem Samstagnachmittag ist in dem Viertel nicht viel los. Wahrscheinlich ist das jeden Samstag so. Hier wird gearbeitet, nicht gelebt. Mühelos finden wir einen Parkplatz, schlendern bei Sonnenschein um die Hochhäuser und lassen uns den noch kühlen Wind um die Nase wehen. Wenn es jetzt noch ein geöffnetes Café gäbe.
2005 wurde am Rande des Kirchbergs die neue Philharmonie Luxemburg eingeweiht. Es ist ein imposanter, moderner Bau. Das weiße Gebäude hat die Form eines Auges, unzählige Säulen fassen umringen die Glasfassade und halten das Dach. Luftig und klar wirkt die Konstruktion. Innen im Konzertsaal dominiert Holz. Laut Wikipedia fasst der große Konzertsaal an die 1300 Sitzplätze. Das ist ganz ordentlich, der Saal wirkt aber überschaubar. Es gibt eine große Sitzplatzrampe und mehrere Logen an den Seiten. Im Vergleich zur Kölner Philharmonie ist der Raum nicht so zerteilt und ungleichmäßig gegliedert. Wir sitzen extrem weit vorne. Als letzte Woche der Ticketverkauf gestartet wurde, war es problemlos möglich, im vorderen Bereich Sitzplätze zu ergattern.
Beste Sicht auf die Bühne, genügend Beinfreiheit und bequeme Sitze. Besser geht’s kaum! Das Programmheft spricht von 75 Minuten Konzert, die Setlisten der vorherigen Auftritte in London und Dublin weisen 14 Songs aus. Gespielt wird das komplette The nearer the fountain, more pure the stream flows Album. Und „Out of time“. Bester Blur Song je, perfekte letzte Zugabe. Es ist auch so ziemlich der einzige Song aus Damon Albarns Gesamtwerk, der in dieses Konzert passt. „Out of time“ ist ein ruhiger, melnacholisch in sich gekehrter Song, der zwar nicht die Natur beschreibt, aber irgendwie das Leben an sich. Nebenbei bemerkt finde ich es unglaublich, dass ich den Text noch nahezu komplett kenne. Und unter uns gesagt, alle älteren Blur Sachen sind doch mittlerweile nahezu unhörbar.
Die Sitzplätze füllen sich schleppend. Die Philharmonie scheint aber so gut wie ausverkauft. Eine Art Klagegesang tönt von Band. Mein Sitznachbar und ich versuchen über Shazam mehr Informationen zu bekommen. Wir scheitern beide, Künstler und Song bleiben für immer unbekannt. Minuten später um kurz nach 20 Uhr geht das Konzert nahtlos in die Konservenmusik über. Die Musiker*innen nehmen ihre Sitzplätze ein, nur der Bassist bleibt stehen. Jetzt ist das Bühnenlicht nahezu komplett runtergefahren. Erst nach zwei, drei Songs weicht das dunkelblau der einzelnen Bodenscheinwerfer helleren Tönen.
Was wir dann hören, klingt charmant. Manchmal schaut ein bisschen Jazz hervor, öfter klingt es nach Weltmusik. Ich habe The nearer the fountain, more pure the stream flows vorher nicht komplett durchgehört, daher wusste ich nur in etwa, was ich zu erwarten habe. Damon Albarn sitzt während des gesamten Konzertes am Flügel, nur einmal erhebt er sich von seinem Klavierschemel. Im dritten Song (oder in einem Zwischenspiel vor dem dritten Song) greift er das am Flügel befestigte Didgeridoo und trötet damit in alle Ecken des Saals. Die Band spielt das Album in Reihenfolge und komplett. Die drei Songs der Zugabe sind nicht Bestandteil des normalen Albums, „The bollocked man“ und „Island“ finden sich auf der Deluxe Versionen von The nearer the fountain, more pure the stream flows und „Out of time“ bekanntlich auf dem 2003er Blur Album Think tank.
Einige Songs sind instrumental, ich höre viele Naturtöne: ein Fluss rauscht, Vögel zwitschern, Wind bläst. Ich lese, dass Damon Albarn die Songs in Island komponiert hat. Der Song „Esja“ handelt gar von einem isländischen Berg.
Die Liveumsetzung schließt hier an. Das Konzert läuft wie ein einziger Strom, die Songs werden durch Zwischenspiele miteinander verknüpft. Nur selten bleibt Raum für Applaus. Die Grundstimmung ist melancholisch, ruhig, naturverbunden. Vielleicht auch schwermütig. Nur zwei, dreimal durchbricht die Band diesen Sound. „Polaris“ ist so ein Moment. Der vorletzte Song ist ein flottes Stimmungslied; in der Philharmonie wird eifrig mitgeklatscht. Und „The tower of Montevideo“ ein paar Minuten zuvor hat ein schön schmalziges 1980er Jahre groovy Saxophon. Gegen das hat das Vogelgezieper keine Chance.
Irgendwann fällt mir auf, dass Damon Albarns Stimme sehr gut zur Klaviermusik passt. Oder besser, zu dieser Art von Klaviermusik. Damon Albarn spielt das Instrument sanft, gar ruhig. Sein Anschlag ist weich (sagt man das so?), harte Tastenschläge oder stakkatohaftes Geklimper ist nicht Seins. Da auch das Schlagzeug vergleichsweise ruhig bleibt, deckt sich das Sounderlebnis mit den obigen Beschreibungen aus dem Programmheft. Da steht:
…11 tracks which further explore themes of fragility, loss, emergency and rebirth.
Passt. Damon Albarn ist aktuell ein Freund von ruhigen Melodien. Das Konzert ist der Beweis.
Um halb zehn verlassen wir die Philharmonie. Die Nacht ist noch jung. In der Eifel sind es Minusgrade und auf der Bundesstraße ist kaum Verkehr. Die roten Warnlichter der Windräder sorgen in der dunklen Nacht für eine gespenstige Stimmung. Island ist in diesem Augenblick sehr nah.
Setlist:
01: The nearer the fountain, more pure the stream flows
02: The Cormorant
03: Royal morning blue
04: Combustion
05: Daft Wader
06: Darkness to light
07: Esja
08: The Tower of Montevideo
09: Giraffe trumpet sea
10: Polaris
11: Particles
Zugabe:
12: The bollocked man
13: Island
14: Out of time
Kontextkonzerte:
Damon Albarn – The barn, 18.05.2020
The Good, the Bad & the Queen – Luxemburg, 15.08.2019 / den Atelier
Gorillaz – Köln, 20.06.2017 / Palladium
Blur – Barcelona Primaver Sound Festival, 24.05.2013
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