Ort: Ancienne Belgique, Brüssel
Vorband: Paul Newsome

Noel Gallagher

Die Sache mit dem Britpop.
Also mal ehrlich, ist es nicht so, dass dieser Britpop ein Relikt aus den 1990er Jahren ist, den heute niemand mehr hinter dem Ofen hervorholt? Ist nicht all das, was im Namen des Britpop in den letzten 12 Jahren veröffentlicht wurde, nur noch Mist und nichts gegen die tollen Alben und Bands der Dekade zuvor? Cast, Bluetones, Seahorses, Hurricane No. 1, die alternden Oasis oder Nachfolgeorganisation Beady eye können dagegen doch nicht anstinken.
Einzig Noel Gallagher war in der Lage, mit seinem ersten Debütalbum Noel Gallagher’s High Flying Birds an die Britpophymnen alter Zeiten anzuknüpfen und bei mir ein kleines Britpoprevival in den Playlisten hervorzurufen.
Sein Konzert im Palladium beeindruckte mich zwar sehr, trotzdem kaufte ich mir sein Album nicht. Live hören reicht ja, denn eigentlich ist – bis auf die erwähnte kleine Eskapade – bei mir der Britpop durch.
So hatte ich auch im Vorfeld des Brüsseler Konzertes keine Lust und wenig Begierde, mir etwas von der aktuellen Platte Chasing yesterday anzuhören. Die Singles laufen eh im Radio und Noel Gallagher wird schon nach Noel Gallagher klingen. Und der klingt wie Oasis und damit weiß ich alles, was ich wissen muss. Manchmal ist Musik sehr einfach und vorhersehbar. Ob das immer gut ist, ist eine andere Frage. Aber es hilft mir, mich schnell vom Konzert packen zu lassen. Das ist der Vorteil der Vorhersehbarkeit, von einer Ahnung dessen, was mich erwarten könnte. Immer irgendwie zwischen den gleichen Intervallgrenzen, immer irgendwie brillant.

„Champagne supernova“.
Ich begreife das nicht so richtig. Dieser Song ist ein Phänomen. Genauso wie „Don’t look back in anger“. Beides Riesenhits, beide schon Jahre alt, aber trotzdem animieren sie das Publikum zu immer den gleichen Aktionen: exzessives Luftgitarre spielen der coolen Art, also seitlich neben der Hüfte, und dazu alleine tanzen, oder die Arme um die Schulter des besten Freundes legen, die Köpfe zusammenstecken und mitgröhlen.
Doch eigentlich scheint der ganze aktuelle Britpop (also de facto Noel Gallagher) ein Phänomen zu sein, das nicht kleinzukriegen scheint. Im Ancienne Belgique in Brüssel stehen sie alle beinander: die Mods vom Kontinent mit perfekter Frisur, die Thirtysomething Jungs von der Insel, mit mindesten 2 Bierbechern in der Hand und einer Bierlache vor ihren Füssen, und alle andern. Eins haben alle gemein: die Texte von „Don’t look back in anger“, „The masterplan“ und „Champagne supernova“ beherrschen sie immer noch aus dem Effeff. Das klingt sehr klischeehaft, ist aber wirklich so.
Ich habe sie alle beobachtet, nachdem ich mich nach den ersten vier fünf Liedern aus den vorderen Reihen nach hinten hin verabschiedet hatte. Ich wollte auch mindestens einen Bierbecher in der Hand halten und endlich mal Noel Gallaghers Stimme ohne die schrägen und dauerhaften Mitgröhlattacken meiner beiden Hintermänner wahrnehmen. Außerdem gingen mir das Gehüpfe und das dabei überschwappende Bier auf die Nerven. Seitdem ich mir bei einem Oasis Konzert mal einen Zeh durch zu viel Gehopse von mir und meinen Nachbarn gebrochen habe, brauche ich das nicht mehr. Gründe genug, um mir eine ruhigere Ecke zu suchen und mir das Konzert entspannt anzugucken. Und das Geschehen vor sich zu haben, ist ja auch nicht schlecht. Frag Lothar Matthäus oder Steven Gerrard.

Der alte Haudegen Gallagher gibt der Meute, was sie braucht. Ein bisschen was von seinen Oasis Songs, er spielt neben den drei genannten „The masterplan“, „Champagne supernova“ und „Don’t look back in anger“ noch „Fade away“ und „Digsy’s diner“, sowie seine eigenen Welthits „If i had a gun“, „AKA…what a life“ und „The ballad oft he mighty I“ und seine anderen Hits.
Dass seine Solosachen denen seiner alten Band in nichts nachstehen, hatte ich schon beim Konzert zu seinem ersten Album Noel Gallagher’s High Flying Birds verstanden, beim zweiten Album Chasing yesterday scheint es genauso.
Tags drauf entdecke ich beim Stöbern nach der Konzertsetlist, dass Noel Gallagher tatsächlich sechs Songs vom aktuellen und mir fremden Album spielte. Vier davon stellte er in eine Doppelsession,
„ Lock all the doors” und “Riverman” sowie “„ The dying of the light“ und“ The mexican“.
Gerne sind das Momente, in denen mir ein bisschen Fahrt aus einem Konzert genommen wird, wenn die Songs nicht sofort zünden. Bei mir unbekannten Stücken werde ich schnell ungeduldig, und wenn dann gleich zwei in Folge gespielt werden, wird es eng.
Aber ich spürte jedoch keine Schwächephase. Alt und neu passen gut zusammen. Alle Songs changieren gleichbleibend schön zwischen Northern Soul und Pop.

Die Faszination der Gallagher Songs ist bis in die letzte Reihe zu spüren und ich frage mich, warum das so ist. Die Antwort könnte einfach sein: Weil Noel Gallagher der beste aktuelle Songschreiber ist, den es gibt und weil seine Art von Musik alles beinhaltet: Mitgröhlsachen, Abstürzlieder und tanzbare Popsongs mit Hang zur Melancholie. Songs für nahezu alle Lebenssituationen. Ist es das? Oder ist es das, das dieser Musikstil die klassische und traditionelle Unterhaltungsmusik und Musikrichtung der Briten ist. So wie bei uns der Schlager, der ja auch die Massen fasziniert. Noel Gallagher = Helene Fischer. Nana, der Vergleich hinkt!
Ich muss mal ein bisschen googlen, es gibt doch bestimmt Dissertationen zum Phänomen Britpop.

„I didn’t make the fucking rules. “ Noel Gallagher hat just seinen letzten Song angekündigt und verweist darauf, dass er im AB nicht länger als bis 22.30 Uhr spielen dürfte. Wegen der Bahnfahrtzeiten, auf die die Veranstalter Rücksicht nehmen und so sicherstellen, dass alle Zuschauer noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause kommen, enden alle Konzerte im AB um 22.30 Uhr.
Pffff, als ob er jemals die 90 Minuten Konzertlänge überschritten hätte! Kein Konzert länger als ein Fußballspiel. Daran halten sich britische Bands gewöhnlich sehr akribisch. Auch ein Herr Gallagher macht das. Nachdem die letzten Töne von masterplan verklangen, war es 22.24 Uhr. Zeit wär also noch gewesen, lieber Noel.
Aber okay, ich möchte nicht kleinlich wirken. War ja ein guter Abend.

Das Vorprogramm bestritt ein sehr unauffälliger Paul Newsome mit seinen beiden Begleitern an Gitarre und Schlagzeug. Paul Newsome ist ein britischer Musiker aus dem Gallagher Umfeld, ein alter Kumpel quasi. Die drei spielten ‘a few songs‘, von denen bei mir keiner so richtig hängenblieb. Ihr Set ist sehr überschaubar. Nur einmal schrecke ich kurz hoch, als ein Roadie sieben Finger in Richtung Paul Newsome hebt. Noch sieben Songs? Nein, noch sieben Minuten Spielzeit. Das war hinnehmbar.

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Kontextkonzerte:
Noel Gallagher – Köln, 04.12.2011 / Palladium
Oasis – Zürich, 01.03.2009 / Hallenstadion
Oasis – Düsseldorf, 04.02.2009 / Philipshalle

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