Als um kurz vor halb zehn ein Rettungswagen aus Richtung des Palladiums auf mich zugefahren kam, dachte ich schon, „Mensch, jetzt hat sie sich ’ne Überdosis gesetzt oder einen schlechten Drogencocktail eingeworfen, die Amy.“ Ich war spät dran, musste ziemlich weit draussen parken. Irgendwie dachte ich aber, vor halb zehn startet die nicht. Und ewig im Konzertsaal auf den Beginn eines Konzertes zu warten ist so ziemlich das Nervigste was es gibt, und alleine macht das noch weniger Laune. Als ich um 21.35 Uhr das Palladium betrat, schallte es wie auf Kommando jubelnd aus dem Innenraum. „Ladies and Gentleman, Misses Amy Winehouse!“
Sie war also noch da, und das Publikum scheinbar mehr als bereit für 75 Minuten Soul. Und wie sie da wa, fideler den je. Nichts zu sehen und zu spüren von Betrunkenheit, Zugedröhntheit oder absoluter Gleichgültigkeit dem Konzertpublikum und Band gegenüber. Hatte man aus Berlin, Hamburg und sonstwo im Vorfeld des Kölner Konzertes nur schlechtes über die Liveauftritte von Amy Winehouse a.k.a. Crack-Wrack (hab ich gelesen) gehört, so war das gestern alles reine Vergangenheit. Amy und Band präsentierten sich in Höchstform. Konversation mit der Band, ein, zwei, drei, vier Worte an das Publikum, gar ab und zu ein Lachen im Gesicht und ein fulminanter Spurt zum Mikro (um einen Einsatz nicht zu verpassen, der dann doch verpasst wurde). Alles war gut. Kein Skandal, keine Peinlichkeit. Und das Publikum saugte alles auf. Wohl immer ängstlich in der Ungewissheit der Unberechenbarkeit von Amy Winehouse. Als sie nach guten 25 Minuten kurz von der Bühne verschwand war sie greifbar, diese Ungewissheit. Ob sie nochmal wiederkommen würde, ob irgendwas passieren würde? Ja und nein. Heute passierte nichts ausser Musik. (Obwohl, so ein bischen hatte wohl jeder damit gerechnet, und war das nicht auch eher meine Vermutung, heute eine abgewrackte Show zu sehen?)
Gut, wir wussten Bescheid. Nach 75 Minuten ist hier schicht (und war es auch). Folglich gab es kaum oder keine Pfiffe wegen des kurzen Sets. Im Gegenteil, das Palladium tobte. Diese 75 Minuten hatten gereicht. Allen! Sie waren nahezu perfekt. Und Chaka Khan in den 80ern oder Edith Piaf ein paar Jahre früher haben es auch nicht länger auf den Bühnen ausgehalten. (Hab ich gelesen). Und das ist die Liga, in der Amy Winehouse spielt. Der Drogenkonsum ist hier eine weitere Parallele. (Auch das hab ich gelesen). Wie macht diese Frau das bloss? Auf der einen Seite dieses unglaubliche Talent und diese sagenhafte Stimme, auf der anderen dieser Selbstzerstörungshang eines Pete Doherty’s. Borderline Syndrom? Egal, gestern war nur von erstgenannterem etwas zu sehen. Und das passte. Bühnenbild und Deko, einige Schirmlämpchen und ein in kursiver Broadwayschriftart gehaltener Namensschriftzug im Hintergrund, waren perfekt auf den Sound abgestimmt, die Lichtshow immer in weichen samtigen Farben, die Band akkurat in dunkle Anzüge gekleidet. Apropos Band. Ein Ensemble aus acht Musikern unterstützte Amy Winehouse. Hervorzuheben die beiden Backroundsänger, die heimlich den Rhythmus und die Dinge innerhalb des Konzertes bestimmten. So kam es mir vor. Nicht Amy sagte an und lenkte die Geschehnisse, sondern ihre beiden Bandkollegen. Stattdessen blickte sie sich in den Songpausenimmer wieder hilfesuchend nach hinten oder zur Seite um, als ob sie sagen wollte „War das okay?“ und „Was als nächstes?“. Das wirkte ein wenig hilflos, ängstlich überfordert. Aber man kam über die Runden (man könnte auch sagen, sie hat es erfolgreich überstanden) und wahrscheinlich hat es kaum einer mitbekommen, und so wurde den Kölnern ein guter Mix aus 2 Amy Winehouse Alben präsentiert. Mal mehr Soul, mal mehr Motown, mal mehr amerikanische Musik der 60er Jahre. Irgendwann zwischendurch gingen mir Bilder von Sean Connery als James Bond und seinem CIA Partner Felix Leiter durch den Kopf, wie sie im Auftrag ihrer Majestät irgendwo in der Karibik die Welt retten. In smarten, eng geschnittenen Anzügen versteht sich. Wie mir das in den Sinn kam, kann ich nicht erklären.
Doch eine Frage blieb bis zum Ende offen: Wie kann eine Frau mit soviel Stimmgefühl sich nur so ungelenk und nicht im Takt zur eigenen Musik bewegen? Amy, am Hüftschwung müssen wir noch arbeiten.
So war es ein rundum gelungener und unterhaltsamer Abend. Bestimmt das komplette Gegenteil zu ihren bisherigen Auftritten. Woran lag’s? Vielleicht lag’s an der Zeitumstellung. Oder um mit Thees Uhlmann zu sprechen: „Jeder Mann möchte mit Amy Winehouse abhängen, denn Amy ist die Härteste!“
——
Multimedia:
– Fotos: christoph
– Video: Rehab Live in Köln | Live im Palladium I | Live im Palladium II
– Lesenswert: meinzuhausemeinblog


es läuft: Sarah Bettens – Fine
via FoxyTunes

Schreibe einen Kommentar