Ort: Konzerthaus, Dortmund
Vorband: –

Acht zu sieben für die Streicher, wenn ich die beiden etwas abseits sitzenden Trompeten- und Saxophonspieler zur Band zähle. Dass die Tindersticks im Kern natürlich nur zu fünft sind, habe ich mittlerweile gelernt. Lange Zeit war mir die britische Band völlig egal, jetzt, oder besser, seit einigen Jahren ist sie mir es nicht mehr. Das hier ist erst mein zweites Tindersticks Konzert. Das erste Mal Tindersticks live sah ich vor einigen Jahren open air und war sichtlich angetan. Bis dahin konnte ich nicht so viel mit dem britischen Kammerpop der Band um Stuart A. Staples anfangen. Zu gemächlich, zu opulent, zu behäbig fand ich die Songs, die ich ab und an hörte. Mit ihrem Auftritt beim M-IDZOMER Festival in Leuven änderte sich das. Auf einmal fand ich die Behäbigkeit, Gemächlichkeit und das Opulente schön und passend. „If you’re looking for a way out“ oder „Dying slowly“ wurden ab da Lieblingslieder, das Album Across Six Leap Years für nächtliche Autofahrten ein gern genommener Soundtrack.
So war es dann auch irgendwie klar, dass ich mich für ihr Konzert im Dortmunder Konzerthaus interessierte. Rechtzeitig besorgten wir uns Tickets, allerdings nicht früh genug, um noch gute Plätze im Parkett zu erhaschen. So fiel die Wahl auf den ersten Oberrang. Auch nicht schlecht, aber leider sind durch einen dummen Umstand – oder die Vorgaben der entsprechenden Behörde – die Plätze im Oberrang immer leicht sichtbehindert. Das Geländer aus undurchsichtigem Eisen ist genau auf der Höhe angebracht, wo durchschnittgroße Menschen ihr Blickfeld auf die Bühne haben; Bedeutet, dass man sich entweder gerade gestreckt oder lümmelartig auf seinen Platz sitzen muss, um die Bühne ohne Sichtbalken im Blick zu haben. An diesem Abend bedeutet das für mich, dass ich den Sänger der Tindersticks nur in mühseliger Kopf- oder Körperhaltung einigermaßen komplett im Sichtfeld haben kann. ‚Warum‘, so dachte ich daher fortwährend, ‘kann man hier nichts aus Glas oder durchsichtigem Kunststoff installieren.’ Das ist aber der einzige Nachteil am und im Dortmunder Konzerthaus. Ansonsten ist es ein moderner und gut funktionierender Musikbau mit einigen Annehmlichkeiten. Das kenne ich sonst nur aus den Niederlanden.
Die Stadt ist ganz schön dreckig, denke ich, als wir vor dem Konzert über den Westen- und Ostenhellweg schlendern. In nahezu jedem Türeingang liegen Glasflaschen und/oder anderer Müll. Auch die öffentlichen Müllbehälter scheinen längere Zeit nicht geleert worden zu sein. Sie quellen über. Die Stadt gibt an diesem Sonntagabend ein endzeitliches Bild ab. Ich war länger nicht mehr hier, sieht das immer so aus? Auf der Brückstraße ist noch gut Betrieb, die Essensauswahl groß und vielfältig. Sogar den kleinen Baguetteladen gibt es noch. Vor 20 Jahren haben wir hier samstags immer Baguettes mit Kochschinken und Ananas gekauft, direkt gegenüber in der Einkaufspassage Doc Martens und später Vans. Ein Dr. Martens Store ist mittlerweile auf dem Westenhellweg, Vans gibt es jetzt auch bei Kaufhof.
Das Konzerthaus ist an diesem Abend ausverkauft. Seit langem übrigens. Der Gig in Dortmund ist ihr letzter Deutschlandtermin, es folgen dann Konzerte in England und Nordamerika, bevor die Tindersticks im Mai nochmal für einen open air Auftritt nach Maastricht zurückkommen. Tindersticks with strings and guests nennt sich die Tour, die die Band über die Lande ziehen lässt. Es ist die Tour zum aktuellen Album Soft tissue, dem 14. Studioalbum der Tindersticks. Ich finde es ganz okay, an mein Lieblingsalbum Across six leap years kommt es aber nicht ran. (Gut, der Vergleich ist ein bisschen unfair, Across six leap years ist ein Remixalbum älterer Songs der vorangegangenen Jahre, also eine Art best-of.)
Die ‘strings’ setzen sich aus acht Violinistinnen zusammen (soweit ich das vom Oberrang aus erkenne), die ‘guests’ sind zwei Bläser (Trompete und Saxophon) sowie die Sängerin Gina Foster, die auch schon auf dem Album zu hören ist. Auf der Bühne ist also gut Betrieb.
Grundsätzlich gilt, dass ein Tindersticks Konzert in einem E-Musik Konzerthaus sehr gut aufgehoben ist. Das etwas ernstere Ambiente eines Konzerthauses steht der ruhigen und feingliedrigen Musik der Briten gut zu Gesicht. Hier ein Violineneinsatz, da ein Saxophonton, dort ein ruhiger Gesangspart, all das kommt in so einem Saal viel besser zum Vorschein als in einer normalen Konzerthalle. Daher ist es wenig überraschend, dass sich das Konzert zu einem verdammt schönen Ereignis mausert. Der Sound ist glasklar, Hintergrund- oder andere Störgeräusche gibt es nicht und die Sessel sind bequem genug, um sich gedankenverloren auf die Musik einlassen kann. Zum Beispiel auf das sehr ruhige „Falling, the light“, oder auf „New World“, der mit einer Isaac Hayes’schen Bläsereröffnung und einem souligen Backgroundgesang von Gina Foster daherkommt. Beide Songs kommen übrigens vom neuen Album. Aber sie gehen aber auch weit zurück: 30 Jahre bei „Travelling Light“ und nur unwesentlich weniger bei „Another night in“.
Souveränität ist wohl das Wort, das ich am besten mit diesem Tindersticks Konzert verbinden kann. Souverän spielt die Band, souverän wirkt jede Art von Aktion und Kommunikation. Es ist ganz so, als ob sie nichts aus der Ruhe bringen könnte. Die Streicherarrangements und Bläsermomente sind gut ins Setup integriert. Sie kommen nicht in jedem Song zum Einsatz, sondern werden nur ab und an, quasi bei Bedarf, abgerufen. Dadurch wirkt das Konzert nicht überladen, sondern wird nur punktuell in besonderen Augenblicken ergänzt. Auch Gastsängerin Gina Foster hat erst zum Ende des Konzertes ihren Einsatz. Sechsmal unterstützt sie Stuart. A. Staples mit ihrer Stimme.
Mit „For the beauty“ beenden sie nach guten zwei Stunden das Konzert. Damit geht ein toller Abend zu Ende. Es war gut, ein Tindersticks Konzert im klassischen Gewand mit Streichern und Trompeten gesehen zu haben. Auf dieser Tour haben sie das nicht immer so gemacht, lese ich. Es gab bzw. gibt – die Tour läuft ja noch – ein Konzertsetup nur als Band und ein zweites Setup ergänzt um Streicher und Bläser. Noch eine Anmerkung. In meinem Tindersticks Lieblingslied „If you’re looking for a way out“ hörte ich lange Zeit statt der Textzeile ‘Stop pretending’ die Worte ‘Stop the dandy’. Haha, ich und mein englisches Hörverständnis. Wobei, ‘Stop the dandy‘ in Bezug auf Stuart A. Staples und Co. eigentlich auch ganz gut passt. Die Tindersticks sind doch Dandys par excellence, oder?
Setlist:
01: How he entered
02: A night so still
03: Trees fall
04: Falling, the light
05: Nancy
06: Second chance man
07: Lady with the braid
08: Willow
09: The bough bends
10: Medicine
11: Always a stranger
12: The secret of breathing
13: New world
14: Don’t walk, run
15: Slippin‘ shoes
16: Show me everything
17: Turned my back
18: Soon to be april
Zugabe:
19: Stars at noon
20: Another night in
21: Travelling light
22: For the beauty
Kontextkonzerte:
Tindersticks – M-IDZOMER Festival, 30.07.2022
Stuart Staples – Crossing Border Festival, Den Haag, 05.11.-06.11.2021