Ort: Botanique, Brüssel
Vorband: Georgia Harmer

The Weather Station - Brüssel, 03.03.2025

Nach knapp zwei Wochen Bahnstreik fahren die Züge ab diesem Monat wieder. D’r Zoch kütt heißt es also nicht nur im Rheinland, sondern auch in Belgien. Die Nachricht kam genau zum richtigen Zeitpunkt, wollte ich doch am Rosenmontag zum The Weather Station Konzert in die Botanique nach Brüssel. Damit war ich safe und konnte nachmittags entspannt nach Leuven fahren, um von dort aus mit dem Zug (und subventioniertem, konzertgebundenem Bahnticket) weiter bis nach Brüssel Nord zu fahren. Die Kombination aus Auto und Bahn habt sich für mich mittlerweile etabliert, ich finde es entspannter als mit dem Auto nach Brüssel hineinzufahren. Es ist mitunter sehr stressig und abgesehen davon weiß ich auch nie, wie lange es vom Autobahnring bis zur Innenstadt braucht. Meine Erfahrungen liegen zwischen 15 Minuten und anderthalb Stunden, je nach extrem unvorhersehbarem Verkehrsaufkommen. Der Zug und die Autofahrt nach Leuven haben da eine viel bessere Planbarkeit. 10 Minuten sind es zu Fuß vom Bahnhof bis zur Botanique. Der Norden Brüssels ist zwar nicht die schönste Gegend, doch langsam aber sicher schlägt auch hier die Gentrifizierung durch. Schäbige Seitenstraßen weichen schicken E-Rollerwegen und gefühlt wird jedes alte Gebäude durch ein modernes ausgetauscht.
Um kurz vor halb acht ist in der Botanique nichts los. Die Security langweilt sich etwas und in der Bar weiter hinten im Gebäude sitzen zwei, drei Leute. Es scheint, dass die anderen drei Säle, Witloof Bar, Orangerie, Rotonde an diesem Abend nicht bespielt werden. Nur Le Musée (woher der schuhkartonartige Saal seinen Namen hat, ich habe keine Ahnung) ist heute was los. 20 Uhr Georgia Harmer, 21 Uhr The Weather Station. Das ist mein Rosenmontagabend. Das Setup verspricht einen ruhigen, unaufgeregten Konzertabend. Die Singersongwriterin Georgia Harmer nur mit Akustikgitarre und The Weather Station mit ihrem schönen Indiefolk Jazz. Das liest sich nicht nur gut zusammen, das passt auch musikalisch gut zusammen.

Die Kandierin Georgia Harmer hat bisher ein Album veröffentlicht, Stay in touch und arbeitet an ihrer zweiten Platte. Live spielt sie an diesem Abend die erste Single aus ihrem neuen Album. Es ist Indiefolkpop, den ich in den gut 30 Minuten ihres Konzertes höre. Das ist natürlich nichts neues und Georgia Harmer fügt ihm auch keinAlleinstellungsmerkmal hinzu, nichtsdestotrotz ist es sehr schön anzuhören. Was auch an der tollen Stimme der Sängerin liegen mag. Wem Georgia Harmer kein Begriff ist, mag vielleicht die kanadische Band Dweller kennen, deren Sängerin sie ist. Die sind auch sehr gut. Als Anspieltipps empfehle ich „Leave this home“ (Dweller) und „Can we be still“.

Im Anschluss wird es ordentlich voll auf der Bühne. The Weather Station kommen zu sechst. Neben Tamara Lindeman stehen Schlagzeuger Dominic Billett, Perkussionist Philippe Melanson, Bassist Ben Whiteley sowie Karen Ng und Ben Boye auf der ausreichend großen Bühne im Botanique. Das ist also das aktuelle Team The Weather Station. Zusätzlich stehen zwei, nein drei mannshohe Pappmachéfelsen auf der Bühne. Sie erinnern mich etwas an einen leuchteten Lavastein, den ich früher mal hatte. Der sollte für gute Raumluft sorgen, aber ich habe keine Ahnung, ob er das jemals getan hat. Die Pappmachéfelsen leuchten weiß-grau-blau und sehen aus wie dreckige Schneeklumpen. Später dienen sie auch als Projektionsfläche für Videoanimationen. Insgesamt wirkt das Bühnenbild mit den Lichteffekten sehr stimmig. Oft ist es sehr dunkel, die Bühne nur in schummrigen Blau- oder Rotlicht ausgeleuchtet. Übertrieben hektisch durch Licktflackern oder nervös hin und her zappelnde Lichtspots wird es nie.
Das Le Musée ist okay besucht, knapp halb voll würde ich schätzen. Was das in Besucherzahlen heißt, vermag ich jedoch nicht zu beurteilen. Immerhin sind mehr Besucher hier als bei meinem letzten The Weather Station Konzert im Kölner Blue Shell. Das ist Jahre her, ich glaube, es war nach ihrer Ignorance Plattenveröffentlichung. Von der damaligen Liveformation sind nur Karen Ng und Tamara Lindeman übriggeblieben.

Das Set ist dreigeteilt. So verstehe ich zumindest die Ankündigungen von Tamara Lindeman, die die zu spielenden Songs in drei Blöcke unterteilen möchte. Wie die drei Teile thematisch ausgestaltet sind und was sich The Weather Station dabei gedacht habe, erschließt sich mir vor Ort nicht wirklich. Musikalisch höre ich keine großen Unterschiede zwischen den Teilen. Neben Songs des aktuellen Albums spielen sie auch ihre Hits „Robber“ und „Parking lot“, was ich sehr gut finde. „Parking lot“ gehörte lange Zeit zu den von mir meistgehörten und höchst geschätzten Songs. Das war just nach der Veröffentlichung von Ignorance, auf dem beide Songs zu finden sind. Übrigens, Ignorance ist eines der schönsten Alben, die ich kenne. Die Songs wirken wie aus einem Guss; es ist einfach ein großer Spaß, das Album zu hören. „Atlantic“ und „Tried to tell you“ – zwei weiteren Lieblinge – tauchen auch in der Setlist auf. Was möchte ich mehr?

Musikalisch geht es ruhig zu. Der Gesang ist mitunter flüsternd, das Saxophonspiel von Karen Ng zeitweise so ruhig, dass ich mehr die Luftkammern zischen höre als die Töne. Okay, ich stehe auch direkt neben ihr. Aber sie spielt tatsächlich oft Flüstertöne, was ich mir beim Saxophonspiel nicht so ganz einfach vorstellen kann.
Multiinstrumentalist Ben Boye am Keyboard hat sie alle im Blick. Sein Instrument ist im rechten Winkel zu den anderen aufgebaut, mit leichtem Kopfnicken und Augenzwinkern  dirigiert und manövriert er die Band durch den Abend, der zeitweise mehr wie ein Jazzkonzert als ein Indiefolkpopkonzert klingt. Die auch live eingebauten Zwischenstücke „Passage“, „Fleuve“ und „Aurora“ bieten einigen Raum zur klanglichen Ausbreitung und dem Verlassen der reinen Songstrukturen. Manchmal scheint es mir, dass sich The Weather Station in diesen Momenten verlieren, und oft ist es Ben Boye (erst auf der Rückfahrt wurde mir richtig bewusst, dass er erst neulich ein Album mit Mark Kozelek aufgenommen hat), der sie anderen wieder zurückholt.

Gott sei Dank ist das Le Musée in der Botanique der perfekte Ort für solche Konzerte. Das merkte ich schon bei Cassandra Jenkins, als ich zum ersten Mal diesen Saal in der Botanique besuchte. Ein mit Teppich ausgelegter Boden, keine Bar im Saal und eine Raumgröße, die nicht zu groß, aber auch nicht zu klein und zu beengt ist, bieten gute Voraussetzungen für ruhigere Konzerte. Überdies ist das Publikum an diesem Abend sehr aufmerksam und hört sehr konzentriert zu. Geredet wird nicht, andächtiges Lauschen steht bei allen im Vordergrund. Ein Rosenmontag muss nicht immer Tschingderassabum sein.

Was für ein tolles Konzert! Das wird lange nachhallen.

Setlist:
01: Descent
02: Wear
03: Mirror
04: Neon signs
05: Robber
06: Irreversible damage
07: Loss
08: Atlantic
09: Window
10: Passage
11: Body moves
12: Lonely
13: Ribbon
14: Fleuve
15: Aurora
16: Humanhood
17: Tried to tell you
18: Parking lot
Zugabe:
19: Sewing

Kontextkonzerte:
The Weather Station – Primavera Sound Festival Barcelona, 11.06.2022
The Weather Station – Köln, 05.04.2022 / Blue Shell

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