Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: Spinnen

The Notwist Pocketband - Köln, 14.10.2025

Im Dezember 2024 findet in München zum sechsten Mal das von The Notwist veranstaltete und kuratierte Alien Disko Festival statt. Dass es überhaupt stattfinden kann, ist auch The Notwist zu verdanken, die vor dem Festival mit einer speziellen Kurztour das fehlende Geld für die Durchführung von Alien Disko organisiert. Als “Pocketband” traten sie in Nürnberg, München und in Seehausen am Staffelsee auf. Der Clou: Die Band steht nur zu dritt auf der Bühne und auf dem Programm stehen (fast) nur Songs der ersten drei Alben einer der wenigen international erfolgreichen Indiebands Deutschlands.

Dieses oder so Ähnliches liest man, wenn man nach The Notwist Pocketband googlet. Das war 2024 und die Pocketband Auftritte in Bayern retteten die Durchführung des Alien Disko Festivals. 2025 wird es keine Alien Disko geben, lese ich vor einigen Tagen auf Instagram. Ein Grund: die Kulturförderung fördert nicht gut und die Finanzierung des Festivals steht dadurch nicht. Und anders als im letzten Jahr sind die sechs Pocketband Konzerte von The Notwist keine Geldeintreibveranstaltungen, um die Alien Disko 2025 noch ein weiteres Mal zu retten.
Sie sind aber nicht nur für mich eine sehr gute Gelegenheit, die ursprünglichen The Notwist und ihren ursprünglichen Sound noch einmal – oder erstmals – auf Konzertlänge zu hören und sehen zu können. Schlagzeug, Gitarre, Bass; Andrea Haberl, Markus und Micha Acher. An drei Orten spielen sie sechs Konzerte. In Köln, Berlin und Hamburg an jeweils zwei Abenden. Alle Konzerte sind längst ausverkauft. Sah ich The Notwist eigentlich in den frühen 1990er Jahren? Ich weiß das gerade nicht. Vielleicht in irgendeinem Vorprogramm oder auf irgendeinem Festival? Ich kann mich nicht erinnern, was natürlich nicht heißt, dass es nicht doch passiert sein könnte. Die Buchführung meiner ersten 10 Konzertjahre ist enorm schlampig, da ist der ein oder andere Konzertbesuch schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar und somit in Vergessenheit geraten. Egal, es ist auch nicht so wichtig. Dann eben erstmals (oder erneut) jetzt, 30 Jahre später.

Es ist wenig verwunderlich, dass alle Konzerte sehr schnell ausverkauft waren. Ich war nur leicht spät dran und ergatterte nur noch ein Ticket für den zweiten Abend. Was aber nicht superschlimm war, denn am ersten Kölner Konzertabend hätte ich eh keine Zeit gehabt. Und auch dieser Dienstagabend bot ein interessantes Alternativprogramm, spielten doch Black Country, New Road im Kölner Gloria. Allerdings sah ich Briten erst im Sommer beim Primavera Sound Festival, womit bezüglich der Alternativmöglichkeit alles gesagt ist. Es war nicht wirklich eine, The Notwist im Gebäude 9 war gesetzt.

The Notwist gibt es schon sehr lange. Ende der 1980er Jahre gründete sich die Band und spielte das, was man damals eben so spielte als Indieband: eine Mischung aus Punk, Rock und Metal. Notwist, Nook und 12 klingen stark nach Hüsker Dü, Mudhoney, den frühen Dinosaur Jr. und ähnlichem. Erst mit dem Einstieg von Martin Gretschmann bei Shrink begannen sie, mehr und mehr elektronische Elemente in ihre Musik zu lassen. Höhepunkt dieser Entwicklung ist sicherlich das 2002er Album Neon Golden, ein Evergreen und eines der besten und schönsten Alben der 2000er Jahre, wie ich finde. Mit Neon Golden wurden The Notwist Weltstars (in meiner Welt und in einer gerechten Welt wäre das so) und mit Neon Golden entwickelten sie einen neuen Signature Sound, der nach wie vor Bestand hat. Zwar hat Martin Gretschmann – der maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hatte – die Band mittlerweile verlassen, ihren Sound haben The Notwist dadurch aber nicht zurückgedreht.

So bleiben die ersten drei Alben aus heutiger Sicht eine The Notwist Besonderheit, die man live nur noch sehr selten und wenn nur in kleinen Auszügen zu hören bekommt. In den letzten Jahren haben The Notwist immer mal wieder das ein oder andere alte Stück in ihre regulären Konzerte eingebaut (ich erinnere mich an „The incredible change of our alien“ oder „One dark love poem“), ein ganzes Konzert der The Notwist Ursuppe ist aber nochmal ein ganz anderes Highlight. Und nein, The Notwist spielen kein Albumkonzert a la 30. Geburtstag von Notwist, Nook oder 12. Es ist vielmehr ein ‘The Notwist vor all dem Geklimper und Elektrokram’ Abend, ein ‘wir spielen Songs unser ersten drei Alben’ Konzert. Es ist der große Rundumschlag, knappe 20 Songs lang.

Sophie Neudecker und Veronica Burnuthian aka Spinnen, eröffnen. Und sie machen das gut und interessant. Die Münchnerinnen haben just ihr Debütalbum Warmes Licht veröffentlicht. Musikalisch geht das, was das Duo mit Schlagzeug und Bass/ Keyboard produziert, in Richtung Post-Punk. Auf den ersten Hördurchgang klingen die Songs gut. Spinnen sind ein passender Opener für die The Notwist Pocketband.

Ein wenig schummeln The Notwist mit ihrer Pocketband Idee. Zu Schlagzeug, Gitarre, Bass gesellt sich ab und an ein Keyboard und eine weitere Gitarre, gespielt vom The Notwister Cico Beck. Die ‘neueren’ Songs „Kong“, „This room“ und „One with the freaks“ gehen halt nicht ganz ohne Keyboard. Es ist aber wirklich kaum zu hören. Alles andere ist altes Zeug und stammt aus der Zeit der ersten drei Alben. Eine Visions Review zum Album Nook soll exemplarisch zeigen, wie undergroundig und wie hoch The Notwist damals waren bzw. gehandelt wurden:

Fettester Gitarrensound, dahinter sich ständig versteckende Wunderbarmelodien, vorgetragen von einer Stimme, die ständig umzufallen droht, es aber niemals wirklich tut. Herzerwärmend, dramatisch, und trotzdem unsagbar laut, niemals unglaubwürdig und, wie gesagt, voll unglaublicher Melodien. Wären dies Amerikaner, jeder würde sie kennen und lieben und die vierte Platte käme bei der Industrie raus. Da dies aber nicht so ist, spielt die Band noch immer in Kleinstclubs für 6 DM, und nicht mal die werden richtig voll. Traurig sowas… Aber vielleicht ändert sich ja jetzt was, wo sie es sogar geschafft haben, im Vorprogramm von Fugazi den Headliner locker an die Wand zu spielen.

Visions

Und wir vor der Bühne freuen uns wie kleine Kinder an Weihnachten, die Songs live performt zu bekommen. ‘So wie damals 1991 im Kulturzentrum xyz’ ist wohl ein meistgesagter Satz an diesem Abend.
Ein schönes und unterhaltsames Konzert. The Notwist in diesem Gewand sieht man nicht alle Tage (die regulären The Notwist dagegen alsbald wieder), da  war es gut und logisch, sich dieses Konzert nicht entgehen zu lassen. Ich denke, es hat allen Spaß gemacht, mir zumindest sehr viel. leider haben sie ihre Setlist zum Vorabend nicht geändert und „The incredible change of our alien“ nicht gespielt. Doch das ist jammern auf hohem Niveau.

Das crazy. Die Notwist Pocketband im Gebäude 9 am Dienstag.

Frank (@spiralstairs.bsky.social) 2025-10-18T18:21:24.162Z

PS: In zwei Wochen veröffentlichen The Notwist ihr neues Album Magnificent Fall. Dann wieder mit Klimperkram und Songs, die bisher nur auf EPs, Sonderveröffentlichungen und Singles zu hören waren. Neuse Material ist aber auch dabei.

Setlist:
01: Is it fear?
02: Bored
03: Winter
04: Kong
05: Puzzle
06: One wasted
07: One dark love poem
08: My Phrasebook
09: Agenda
10: The string
11: This room
12: Seasons
13: Nothing like you
Zugabe:
14: One with the freaks
15: X-Ray
16: My faults
17: 12

Kontextkonzerte:
The Notwist – Köln, 23.04.2024 / Victoria Carlswerk
The Notwist – Le Guess Who? Festival Utrecht, 10.11.2022
The Notwist – Düsseldorf, 13.12.2021 / zakk
The Notwist – Dortmund, 31.07.2021 / Westfalenpark
The Notwist – Düsseldorf, 12.12.2016 / zakk
The Notwist – Le Guess Who? Utrecht, 19.11.2015
The Notwist – Bochum, 15.08.2015 / Jahrhunderthalle
The Notwist – Köln, 25.03.2014 / E-Werk
The Notwist – Lüften! Festival Frankfurt, 22.06.2012
The Notwist – Nijmegen, 22.01.2012 / Doornroosje
The Notwist – Rolling Stone Weekender Weissenhäuser Strand, 11.11.2011
The Notwist – Juicy Beats Dortmund, 30.07.2011
The Notwist & Andromeda Mega Express – Köln, 14.08.2009 / Philharmonie
The Notwist – Köln, 14.04.2009 / E-Werk
The Notwist – Melt! Festival, 19.07.2008

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