Ort: Blue Shell, Köln
Vorband: Alienbaby Collective

Ich werde alt. Oder besser: ich bin alt. Ich ärger mich tatsächlich schon wieder über die Informationspolitik einiger Clubs bezüglich ihrer Konzertterminkommunikationen. Die gibt es nämlich viel zu selten und ich frage mich, warum das so ist, beziehungsweise, ob das so sein muss. Denn was das angeht, bin ich verwöhnt, weil ich weiß, dass es besser geht. Verwöhnt durch Infomails von Clubs mit Anfangs- und Pausenzeiten, Parkhinweisen und Anreiseoptionen, verwöhnt durch stringente Timetable auf Homepages und in sozialen Netzwerken, verwöhnt durch etwas, was ich mal zusammengefasst Servicegedanke am Besucher nennen möchte. Erleben tue ich dieses z. B. in Luxemburg, in Maastricht, Nijmegen, Brüssel und eigentlich überall in Benelux. Nicht erleben konnte ich das an diesem Abend in Köln.
Und so stehe ich vor dem noch geschlossenen Blue Shell und warte auf den Einlass zum Preoccupations Konzert. Laut sozialem Netzwerk soll der um 20 Uhr sein, um halb neun die Vorband starten. Ist er aber nicht. Er beginnt eine halbe Stunde später. Während ich warte, sehe ich, dass auf meinem Ticket ‘Konzertbeginn 21 Uhr’ steht. A ha. Da kann ja nur eins von beiden Stimmen. Oder gar nichts. denn schlussendlich treffen sich Veranstalter und Betreiber in der Mitte: Alienbaby Collective, so der Name der Vorband, startet um 20.45 Uhr.
Vor Jahren wäre mir das auch alles etwas egal gewesen, an diesem Abend nervt es mich unendlich. Ich bin alt.
Ich bin aber schnell versöhnt. Versöhnungsgrund Nummer eins sind Alienbaby Collective. Hinter Alienbaby Collective versteckt sich Liú Mottes. Die Musikerin steht alleine mit ihrer Gitarre auf der Bühne. Ob sie allein das Alienbaby Collective ist oder ob sie nur auf dieser Tour alleine auftritt, ich weiß es nicht. Der erste Song klingt allerdings definitiv nach Band, Schlagzeug und Bass werden jetzt digital eingespielt. Die anderen Songs dagegen sind experimenteller und noisiger gehalten. Oft loopt sie einzelne Gitarrentöne, legt sie übereinander, arrangiert sie. Ihre Songs sind eher instrumental, nur selten singt sie. Und sie klingen hochspannend. Zeitweise erinnert mich ihr Set an Lee Ranaldo Konzerte, auch wenn der Vergleich musikalisch eher hinkt als passt. Aber die Herangehensweise scheint mir ähnlich: sanfte Gitarrenverzerrungen, Improvisationen, Loops. Und ja, all das klingt sehr schön. Als sie irgendwann mit einem Edelstahl-Topfreiniger (Topfkratzer, Scheuerspirale) die Saiten ihrer Gitarre bearbeitet, werde ich endgültig Fan.
Nach vier (?) sehr langen Songs beendet die Niederländerin, die just in Berlin lebt, nach 25 Minuten ihr Konzert. Ihr Debütalbum Breakage erscheint am Freitag, das Bühnenequipment passt in einen Bordkoffer.
Auch Preoccupations steuern ihren Teil dazu bei, dass ich an diesem Abend meinen Frieden mit diesem Konzertbesuch mache. Seit 13 Jahren gibt es die Band, die sich anfangs Viet Cong nannte. Das gleichnamige Debütalbum war dann gleich eines der besten Post-Punk Alben der Mitte 2010er Jahre, vier der sieben Songs sind ohne Wenn und Aber Riesenhits. („March of progess“, „Silhouettes“, „Bunker bong“, „Continental shelf“). So wundere ich mich nicht, dass genau diese Songs aus dem Album immer noch auf den Setlisten von Preoccupations auftauchen. Die Bandbesetzung ist seit dieser Zeit unverändert: Matt Flegel, Mike Wallace, Scott Munro und Daniel Christiansen bilden Preoccupations. Den Bandnamen haben sie nach dem ersten Album und der ersten Tour geändert. Auf Druck von außen. ist ja auch irgendwie logisch, dass der Bandname Viet Cong nicht überall gut ankam und kontrovers besprochen wurde.
In diesem Jahr veröffentlichten sie ihr fünftes Album, Ill at ease. Das Konzert im Blue Shell ist Teil der Albumtour. Es ist nicht supervoll im kleinen Laden, aber auch nicht peinlich leer. So entsteht eine gute Atmosphäre, die in einem Blue Shell bei voller Auslastung eher nicht möglich ist.
Nach kurzer Umbaupause starten sie mit „Unconscious melody“, einem Song aus Viet Cong Tagen. Ansonsten liegt der Schwerpunkt auf Songs des aktuellen Albums. Live klingen sie etwas ‘poppiger’ als die doch eher sperrigen Songs der früheren Alben. Ich hatte jedoch noch keine Gelegenheit, in das neue Album reinzuhören; vielleicht stimmt dieser erste Eindruck auch nicht. Das Konzert ist gut. Und überraschend lang. Knapp 80 Minuten spielen Preoccupations, bevor um kurz vor elf Uhr der Hammer fällt. Ich hatte ehrlicherweise mit weniger Spielzeit gerechnet. Eine Zugabe gibt es nicht und ein bisschen schade finde ich es, dass „Anxiety“ nicht auf ihrer Setlist steht. Den Song mag ich sehr. Dafür habe ich an diesem Abend in „Disarray“ einen neuen Liebling gefunden. Eine wirklich schöne Indierocknummer mit angenehmen Synthiewave Anleihen.
Ein sehr angenehmer Abend, der zum Glück viel besser wurde, als es anfänglich erschien.
Und wenn das mit der Bahn klappt, machen Konzertbesuche in Köln richtig Spaß und sind – auch nach nervigen Arbeitstagen – total entspannt. Rein in den Zug, 25 Minuten später in Köln-Süd wieder raus und später am Abend sicher sein, dass bis Mitternacht halbstündig Zugverbindungen nach Hause gehen. Ich hatte völlig vergessen, wie das ist. Und welch‘ großen Spaß das machen kann. Erst recht im Frühherbst, wenn abends diese leichte Kälte in der Luft liegt. Lange Zeit war es unmöglich, so unkompliziert in die Stadt zu gelangen: Bahnausfälle, Baumaßnahmen und Flutschäden verhinderten das. An diesem Abend oder in diesen Tagen ist es wieder möglich. Allerdings nur für eine kurze Zeit. Ab nächster Woche gibt es in den Abendstunden wieder Schienenersatzverkehr, Dauer einige Wochen. Schade. ‚There’s nothing left here to enjoy, I think we’re ready for the asteroid‘ heißt es in „Bastards“. Nun, ganz so weit sind wir noch nicht, denke ich. Manchmal denke ich aber auch, das nicht mehr viel fehlt.
Setlist:
01: Unconscious melody
02: Silhouettes
03: Ill at ease
04: Ricochet
05: Continental Shelf
06: Bastards
07: March of progress
08: Disarray
09: Andromeda
10: Memory
11: Krem2
12: Focus
13: Stimulation
14: Bunker buster
Kontextkonzerte:
Preoccupations – One of a million Festival Baden, 04.02.2023
Preoccupations – Köln, 28.11.2016 / MTC
Viet Cong – Le Guess Who? Utrecht, 20.11.2015
Viet Cong – Primavera Sound Festival Barcelona, 29.05.2015