Ursprünglich war es nicht mein Plan, dieses Jahr ein Kettcar Konzert zu besuchen. Ich fühlte mich nicht in der Stimmung und fand auch keine Begeisterung oder Vorfreude auf das neue Album „Sylt“. Es war mir egal. Ich hatte das Interesse verloren, vielleicht war ich auch satt und überdrüssig ob der Kettcar, Tomte und dem ganzen van Cleef Kram in den letzten Jahren. Kein Festival, kein Jahr in dem sie einem nicht über den Weg liefen. Schon beim letzten Tomte Album fiel mir auf, dass es mir weniger sagte als die Alben davor. Abnutzungserscheinungen. Oder bin ich dieser musikalischen Phase entwachsen? Fest steht, ich kann die Uhlmann’sche und Wieland’sche Lyrik derzeit irgendwie nicht ab, diese schlauen und fuchsigen Satz-, Wort- und Sinnkonstrukte, die durch ihre Einzigartigkeit in der deutschsprachigen Musik die Merkmale dieser Bands sind, nerven mich an. Ich werfe mal beide Bands in einen Topf, weil sie für mich miteinander verbunden gehören, auch wenn ihre Geschichte eine andere ist und ihre Texte differente Aussagen haben.
Kettcar im E-Werk 09052008Vom Kölner Konzert erwartete ich mir eine klärende Antwort auf meine Kettcar- Positionsfrage. Ein glücklicher Umstand liess mich eine Karte für das ausverkaufte E-Werk ergattern. Der Freund einer Freundin konnte nicht, und so war ich im Boot.
In den letzten Tagen machte sich dann zu meiner Verwunderung eine leichte Neugierde breit. Obwohl ich die neuen Sachen nicht kenne, mir das Album Sylt wohl auch nicht zulegen werde (zugegeben, das Cover, ein Print des David Schnell Werkes „Hochbahn“, ist optimalst gewählt) hege ich seit voriger Woche verstärkt Sympathie für Kettcar. Schuld sind Interviews, die ich von der Band gelesen habe. Dort stehen gute und interessante Aussagen über die Generation, die die Kettcars und ich teilen. „Ich führe das Leben eines Jugendlichen. Ich werde in ein paar Wochen auf den Bühnen dieser Welt mit Chucks rumlaufen – und das fühlt sich richtig an.“ Und: „Die mid-ager Generation ist heute eine andere als noch vor 10-15 Jahren.“
Stimmt. Wir sind die 37 bis 45 Jährigen, die weiterhin Konzerte besuchen, nicht loslassen können und nicht kampflos die Ausgehstätten und Jugendkulturen den Twentysomethings überlassen wollen.
Sympathie durch Zustimmung.
„Kettcar gehen zum lachen in den Keller.“ Wohl nicht an diesem Abend. Extrem gut gelaunt boten die fünf Freunde eine gute, kurzweilige Show. Bevor Lars und Markus Wiebusch, Reimer Bustorff, Erik Langer und Frank Rosales gegen halb zehn die Bühne betreten werden stehen dort erst einmal Ola Podrida.
Ein typisches van Cleef Produkt, denke ich bei den ersten Klängen. Die Band um Mastermind David Wingo liess mich sofort an die Weakerthans denken, eine ehemalige van Cleef Band aus Kanada. Kettcar im E-Werk 09052008Mit ihren leicht traurig klingenden, ruhigen Sounds und vor allem in der Art des Gesangs erinnern sie mich stark an die Band aus Winnipeg. Ola Podrida kommen aus Brooklyn und gaben, nach eigener Aussage, gestern ihr Europadebüt. (Heute fand ich allerdings ein YouTube Schnipsel eines Auftritts aus Portugal, was ja bekanntermassen auch zu Europa zu zählen ist.).
In Amerika könnte man die Band aus diversen Film- und Fernsehsoundtracks kennen. Hierzulande sind sie eher unbekannt. Obwohl ihr 40 Minuten Auftritt teilweise leicht lethargisch und schleppend daherkommt, werden sie vom Publikum gut aufgenommen.
Sie passen aber auch verdammt gut ins Portfolio. Und wer Kettcar mag, mag auch Tomte und müsste eigentlich automatisch alles von van Cleef mögen. Die van Cleef Jungs haben schon ein grosses und gutes Gespür für Gleichgesinnte und Artverwandte.
Kettcar starten mit „Deiche“. Sofort tobt das E-Werk und mutiert zu einem grossen Chor. Die Bühnendeko ist die einer Rockshow würdig. Ein paar Diodensäulen im Hintergrund, ansonsten dominiert eine einfache rote oder blaue Lichtausleuchtung. Oft fordern die Musiker die Saalbeleuchtung, um das Publikum sehen zu können. Um den Jubel nicht nur zu hören, sondern um ihn auch in den Gesichtern zu sehen. Die gute Laune der Band überträgt sich auf’s Publikum. Oder umgekehrt.“Weil wir alle gleich aussehen, sind wir alle gleich.“ Die oben auf der Bühne sind uniform gekleidet. Dunkle Jeans, dunkelblaues oder schwarzes Hemd bzw. Polohemd. Diese typische erwachsenen Indie-Klamottenkombination. Leichtes Understatement, aber stilsicher und klassisch zeitlos. Wir hier unten sind das traditionelle Indiepublikum. AngenehmKettcar im E-Werk 09052008 unaufgeregt, zeitgemäss, aber keine Fashon- Victims.
Als zweites dann „Kein aussen mehr“, gefolgt von „48 Stunden“ und „Landungsbrücken raus“, wahrscheinlich meinem Kettcar Liebling. Wie die ersten Songs andeuten, es war ein guter Mix aus allen drei Kettcar Alben. So richtig vermisst habe ich nichts. Live klingen die alten Sachen schneller und härter als auf Konserve, passen so gut zu den rockig, fordernden neuen Stücken des Sylter Albums. Alles zusammen ergibt ein harmonisches Gesamtbild. Nach zwei Zugabeblöcken beenden die Wiebusch-Brüder alleine mit einem abschliessenden „Balu“ diesen unterhaltsamen Konzertabend.
Wie ist das denn nun mit mir und Kettcar? Nun, eigentlich wie immer. Höre ich Kettcarstücke en bloc, wird es mir schnell langweilig. Spätestens nach dem vierten oder fünften Song. Liegt es an der Gleichtönigkeit der Songstrukturen? Liegt es an dem monotonen und immer gleichartigem Gesang? Ich weiss es nicht so genau. Auch die neuen Sachen finde ich nicht so spannend und neu wie überall zu lesen war. Das ist schade und wird der Band überhaupt nicht gerecht. Aber so ist es nun mal. Und sei dies nicht schon tragisch genug, so kam mir während des Konzerts noch ein anderer Gedanke:
Kettcar sind Pur viel näher als man es sich wünschen möchte.
Objektiv war es ein sehr sehr gutes Kettcar Konzert, keine Frage. Doch leider ist das Ganze ein bischen an mir vorbei gegangen. Nur dabei statt mittendrin. Ich glaube, ich mach mal ne längere Deutschrockpause…
——
Multimedia:
Fotos: p-p@ipernity
Video: Im Taxi weinen | Graceland | ausgetrunken
Lesenswert: meinzuhausemeinblog (mit Setlist)

Schreibe einen Kommentar