Ort: Luxor, Köln
Vorband: Friedemann Weise
Dieser Abend stand lange auf der Kippe, obwohl er ursprünglich seit Wochen feststand. Was paradox klingt, ist jedoch erklärbar.
Ein Konzert an einem Tag nach einem langen und erholsamen Wochenende bedarf eines besonders großen Trittes, um sich abends aufraffen zu können und wegzugehen. Erst recht, wenn das nächste Lernmodul tags zuvor ins Haus geflattert ist und man sich innerlich bereits allabendlich am Schreibtisch sitzen sieht, um sich Entitäten und anderem Datenmodellunsinn hinzugeben. Aber es reichte ein Satz, der mich aus der Schwerfälligkeit jagte. ‚Wenn man vernünftig wird, dann wird man alt.‘ Gesprochen wurde er im perfekten Diner auf VOX, das ich früher häufiger gesehen habe als jetzt.
Nicht, dass ich nicht alt werden möchte, bzw. es schon bin. Irgendwie möchte das doch jeder, alt werden. Älter werden hat unbestrittene Vorteile, und auch Vernunft ist nicht das schlechteste Eigenschaft.
Im Themengebiet Konzerte ist Unvernunft jedoch sehr vernünftig, und als ich diesen Satz hörte, hatte ich plötzlich große Lust, unvernünftig zu sein. Welch tolle Abende hätte ich nicht erlebt, wenn ich die Vernunft hinzugezogen hätte. Und da auch dieser Abend alles hatte, was nach einem guten Abend klingt, schloss sich mein Argumentationskreis ganz schnell.
Also rein ins Getümmel, das keines war. Oder um es mit den Worten des Vorprogramms zu schreiben: ‚Ich spiele gerne vor Leuten, die weit hinten stehen. Da steh ich sonst auch.
Nein, voll war es wahrlich nicht im Luxor. Aber sehr unterhaltsam. Selten hatte ich beim Vorprogramm soviel Spass wie an diesem Abend. Der Musiker*, eine Mischung aus Elliott Smith und Hennes Bender, weiß um seinen Job und macht ihn fantastisch. Der kölsche Singersongwriter überzeugt mich auf Anhieb durch launische Zwischengespräche und gut beobachtete Alltagslyrik. ‚Wer braucht schon deutsche Singersongwriter. Früher spielte er in einer Grungeband und sang auf Englisch, heute singt er auf Deutsch‘ heißt es in einer Textzeile („Keine Songwriter“). Fein beobachtet, und das nicht das einzige Mal. Seine Songs, allesamt in klassischer Songwritermanier, erinnern mich des öfteren an ein „Wir sind hier nicht in Seattle Dirk“. Das war gut und kurzweilig. Dieser junge Mann hat Entertainerqualitäten. Definitiv.
‚Wie lange ist noch? Wie spät ist es?‘
‚Halb zehn.‘
‚Oh gut, dann sind wir ja gleich durch. Noch drei Minuten.‘
Die Zwischenfrage nach dem ‚Wer sind denn wir?‘ blieb unbeantwortet.
‚Ich habe noch zwei Songs, einer zwei, der andere vier Minuten. Welchen soll ich spielen? Ach, ich spiel einfach beide, ich habe ja Zeit. Buffalo Tom spielen erst nach mir.‘
Richtig, Buffalo Tom spielen nach ihm, und sie spielen sehr gut.
Seit über 20 Jahren sind Bill Janovitz, Tom Maginnis und Chris Colburne mittlerweile im Geschäft. Die drei älteren Herren sind so etwas wie die Mitbegründer des amerikanischen College Rocks, und wie es sich für College Rocker gehört, leben sie in der College und Universitätsstadt schlechthin: in Boston, Mas.
Diese Stadt ist auch heute noch der Schmelztiegel für amerikanischen College-, Indie- Alternativerock. Schaut man sich aktuell die Clubkonzerte in Boston an, könnte man meinen, die Zeit sei stehengeblieben: Come spielten hier im Herbst letzen Jahres, Built to Spill, Buffalo Tom und Dinosaur Jr sind regelmäßige Gäste auf den Konzertbühnen der Stadt.
Das heute ist eines dieser Konzerte, zu denen man einfach hingeht. Früher habe ich Buffalo Tom sehr oft gehört, Sleepy-eyed, ihr 1995er Album, gehörte zu meinen bevorzugten Platten. In den letzten Jahren jedoch kühlte mein Fantum für die Bostonian etwas ab. Das lag zum einen an mir, ich orientierte mich weg vom klassischen Collegerock, zum anderen aber auch an der Band, die gute 9 Jahre kein neues Album mehr veröffentlicht hat.
Ihr letztes Album, das nun auch schon drei Jahre zurückliegende Three easy pieces, kenne ich nicht. Trotzdem war ich bei ihrem letzten Konzert im Kölner Prime Club an gleicher Stelle.
Auch ihr aktuell achtes Album Skins habe ich noch nicht gehört. Genau wie Three easy pieces ging bzw. geht es im Wust der Neuveröffentlichungen irgendwie unter. Aber ich habe kurz nachgelesen, was ich bisher unter Umständen verpasst habe. Der Rolling Stone zum Beispiel nennt den bodenständigen Rock von Buffalo Tom nach wie vor Jungsmusik. genauso, wie ich ihn aus den 1990er Jahren in Erinnerung habe und was durchaus zutreffend ist.
Das ist Jungsmusik, herrliche, himmelstürmende und zärtliche Jungsmusik. Musik, bei der es ums Boxen und Kämpfen geht. Bei der man schon etwas Bizeps im T-Shirt-Ärmel braucht, um die Gitarre exakt so schlagen zu können, wie es sein muss, damit der Zauber beginnt. Musik, die es nur geben kann, weil in jedem noch so verdreckten, tobenden Kerl eben doch ein blutendes, verwundetes Herz schlägt. Welche Todessprünge wir zu Buffalo Toms „Birdbrain“ gemeinsam wagten, wie wir zu „Taillights Fade“ der blöden Welt die Stirn boten, wie oft wir „Summer“ auf Kassettenmädchen-Tapes überspielten!
Dass es das dickköpfige Trio aus Boston überhaupt noch gibt, in Originalbesetzung und um einige romantische Sportverletzungen reicher, ist schon Wunder genug (denn die Kassettenmädchen gibt es nicht mehr). Dass ihnen auf dem neuen Album so viele wilde, naive, kratzhalsige, rammbockige Charmebolzen wie „Down“, „Guilty Girls“ oder „Lost Weekend“ gelingen, macht alles noch besser. Trotzdem spürt man: „Skins“ kann einen heute nicht zum Fan machen, wenn man nicht schon einer ist. Aus den Mittelstürmern ist irgendwie ein Stammtisch geworden, allein durchs Dahinrauschen der Zeit, in der sich alles geändert hat, nur nicht die Musik dieser wangenroten, auch schon ganz schön alten Jungs.
Buffalo Tom machen also Jungsmusik. Ich kenne tatsächlich kein Mädchen, das Buffalo Tom mag. Und wenn dies nicht schlimm genug wäre, kenne ich an diesem Abend auch niemanden, der zu einem Buffalo Tom Konzert gehen wollte. Alle meine Anfragen verpufften ins Nichts.
Die Zeit ist nicht mehr reif für College Rock der alten Schule. Das spürt man. Das Luxor ist dünn besucht, das Fanalter dem der Band angepasst. Eine Band wie Buffalo Tom gewinnt heutzutage keine neuen, jungen Fans mehr hinzu. Da darf man sich nichts vormachen. Dazu sind Buffalo Tom Songs einfach zu unzeitgemäss. Es bleibt die alte Stammhörerschaft. Und die ist da und freut sich sichtlich auf die Band und hofft auf ein paar alte Song-Klassiker. Genauso wie ich.
„Summer“ ist der erste und nicht der letzte im Programm. Sie spielen ihn früh und wie selbstverständlich. Das klingt nicht nach pflichtbewusstem Runterspielen, das klingt vielmehr nach immer-noch-Spass an den alten Sachen haben. Genauso fühlen sich auch meine anderen Buffalo Tom Hits an: „Tangerine“, „Kitchen door“, „Rachael“. Ach, es gibt zu viele!
Oh ja, es wäre falsch zu schreiben, dass wir nicht genau wegen diesen Songs gekommen wären.
Die neuen Stücke passen nahtlos ins College Rock Schema. Buffalo Tom haben sich nicht verändert und immer noch gute Ideen. Ihre Gitarren sind nach wie vor erdig, ihr Sound weiterhin wunderschön altbacken und klassisch. Gitarre, Schlagzeug, Bass, dazu der mehrstimmige Gesang von Bill Janovitz und Chris Colburne. Das Bewährte bleibt also, und auch die immer wiederkehrende Frage, welche Lieder mir nun besser gefallen: die, die Bill Janovitz singt oder die, die Chris Colburne singt. Chris Colburne steht dabei mehr für die ‚poppigen‘ Songs, Bill Janovitz für die deftigeren Stücke; grundsätzlich gilt aber: beide haben tolle Songs im Angebot. Also unentschieden. Auch nach diesem Abend habe ich keinen Sängerfavoriten.
‚Wie geht es euch? Was habt ihr so gemacht die Jahre über?‘ fragt Bill Janovitz irgendwann ins Publikum. Aus dieser Allerbandsfloskel wird ein knallhartes Fakteninterview. „Fangen wir mal hier vorne an: Er zeigte mit der Hand auf einen Zuschauer direkt neben den Boxen. ‚Was machst du so? Gehst du arbeiten? Unterrichtest du? Arbeitest du für den Staat?‘
Eine skurrile und familiäre Momentaufnahme zugleich. Die Band fragt offensiv ihr Publikum. In diesem Augenblick ärgere ich mich nicht, dass ich nicht da stehe, wo ich häufig stehen. Abgesehen davon wundere ich mich über die spontanen Berufsnennungen: Lehrer, Beamter. Ist das der typische Buffalo Tom Kosmos? Vielleicht. Der Musikfreund an der Box beantwortete die Fragen und weiter ging’s im Programm, das nach guten 70 Minuten mit „Sunflower suit“ und dem Sing-a-long Smasher „Tangerine“ endete.
Ich hatte keinen schlechten Abend.
Setlist:
01: Staples
02: Taillights fade
03: The kids just sleep
04: Treehouse
05: Larry
06. I’m allowed
07: Summer
08: Down
09: Rachael
10: Guilty girls
11: Mineral
12: Your stripes
13: Arise, watch
14: She’s not your thing
15: You’ll never catch him
16: Sunflower suit
17: Tangerine
Zugabe:
18: Don’t forget me
19: Kirchen floor
20. Bus
21: Late at night
22: Crutch
Anmerkung: *Nun haben die Worte einen Namen: Friedemann Weise ist der Kölner Singersongwriter. Heute morgen bekam ich den verbindlichen Hinweis. Vielen Dank!
Kontextkonzerte:
Buffalo Tom – Köln, 29.11.2007
schön, hätte ich auch gern gesehen. gute songs und ein bißchen entertainement, so mag ich das. heute abend zücke ich mal ein buffalo tom album.
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