Ort: Sportpaleis, Antwerpen
Vorband: Cat Power
Als Lana del Rey vor Jahren ihr „Video games“ auf YouTube hoch lud, wurde sie über Nacht zum Star. Innerhalb eines Monats erreichte sie über eine Millionen Klicks, damals war das viel (ob das heutzutage auch noch so ist, weiß ich nicht). Zwei Nächte später war sie das neue Westküstenpopsternchen, Born to die, das Album von und mit „Video games“, schoss weltweit in die Charts. Lana del Rey hatte mit ihrem DIY Charme von „Video games“ den Nerv der Zeit getroffen. Aber nicht nur das: ihre gleichgültig und resignierend schwermütig klingender Gesang war so speziell, dass er nicht nur bei mir nicht mehr aus den Gehörgängen verschwand. Überdies hatte sie schöne Popmelodien, glatt, fein, harmonisch. Das Gesamtding passte einfach zu perfekt, als dass Born to die kein schönes (und erfolgreiches) Album ist. Schlau und geschickt arbeitete Lana del Rey anschließend an ihrem Image, eine Mischung aus Hippiemädchen und digitale native. Musikalisch schlägt sie sich dabei – zumindest in den ersten drei Alben – auf die dunkle Seite des Sonnenstaates Kalifornien. Lost Highway oder Californication, es ist dieses Kalifornien, das Lana del Rey transportiert. Glamouröser sadcore, so hieß es damals über ihre Musik. Oh ja, zu viel Sonne macht schwermütig, ich kenne das nur zu gut. Lana del Rey macht aus diesem Gemütszustand wunderbare Songs. Mit schläfriger Carpenters-Stimme sind es Songs wie „Pretty when you cry“, „Born to die“, „Sad girl“ oder „The blackest day“, die mir fiel Spaß machen und die ich gerne höre.
2012. Ein viel zu schnell ausverkauftes Konzert im Kölner Gebäude 9 verpasste ich, drei Alben und sechs Jahre später bot sich dann endlich die Gelegenheit, Lana del Rey doch noch live zu sehen. Ich gestehe, es war ein lang gehegter Wunsch.
Der Weg war ein bisschen weiter, die Halle um ein vielfaches größer als das Gebäude 9. Der Antwerpener Sportpaleis fast eine Besucherzahl im 5stelligen Bereich und ist ausverkauft. Vor einem Jahr war ich nebenan in der Lotto Arena. Damals dachte ich, das ist das ältere Gegenstück zum Sportpaleis. Der Mief der 70er Jahre war deutlich spürbar. Überrascht war ich deswegen, als ich die größte Antwerpener Halle betrat; viel moderner als die kleinere Lotto Arena kam sie mir gar nicht vor. Ein unebener Betonfussboden, der überdies an der linken Bühnenseite nach außen hin abschüssig verlegt worden war, so dass man zum Tribünenrand hin niedriger Stand als der Vordermann. Auch die offenen Tribünenträger auf dieser Seite der Halle wirkt merkwürdig deplatziert und wie aus einer vergangenen Zeit. Ein digitales Laufband zwischen Unter- und Oberrang, dem nur noch der Schrifttyp Broadway fehlt, um ihn komplett in den 1970er Jahren zu verankern, vervollständigte meinen Eindruck über den Sportpaleis. All das wirkt altbacken, belgisch charmant.
Über den Support Cat Power habe ich mich sehr gefreut. Ich bin großer Chan Marshall Fan und fand es gut, sie abseits von neuen Plattenveröffentlichungen und in eher unbekannten Terrain mal wieder live zu sehen. Ich freue mich für sie, dass sie ihre kleinen Lebenskrisen überwunden zu haben scheint.
Waren ihre Anfängerjahre geprägt durch, nun ja, irre Konzerte (nein, die Geschichte vom Gebäude 9 Konzert Anfang der 2000er Jahre erzähle ich nicht noch einmal) und ich nenn es mal, kaputte Indiesongs, so öffnete sich Cat Power im Laufe der Zeit mit The greatest und Jukebox erst dem Pop, bevor sie auf Sun Synthesizer in ihre Musik brachte und sogar ein bisschen elektropoppiger wurde. Mittlerweile, wenn ich die gespielten Neuinterpretationen der Songs wie „Nude as a news“, „Metal heart“, etc. nochmal Revue passieren lasse, steht sie dem Country ein bisschen näher. Aber nicht nur: „Woman“ kam im smoothen easy listening daher. „Nude as a news“ habe ich verdammt nochmal erst gar nicht erkannt.
‘I am alive, I still making music.’ Worte, die für Chan Marshall noch immer eine besondere Bedeutung haben und nicht blanke Bühnenplattitüde sind. Dass die Mehrheit der Leute im Sportpalais das nicht verstanden hat, geschenkt. Wer bereitet sich schon genauer auf einen Support Act vor.
Für mich war der 30minütige Cat Power Auftritt ein schöner Konzertauftakt, für viele andere war es eher langweilig.Natürlich war die Technik nicht auf den Support justiert. Die Kamera, die die beiden Videoleinwände der Halle befüttert, war fix auf den Mikrofonständer ausgerichtet, der Kameramann sicher noch beim Abendbrot. Dumm nur, dass sich Chan Marshall nicht an die ihr zugewiesene Position hielt, sondern auf der Bühne umherspazierte. So war dann auf den Leinwänden nur ein Mikrofonständer zu sehen. Auch nicht schlecht.
Setlist:
01: Crossbones / Nude as the news
02: Pa Pa Power
03: White mustang
04: Metal heart
05: Wanderer
06: Woman
07: Bully
08: Song to Bobby
09: Manhattan
Lana del Rey trägt ein Malibu T-Shirt. Ihre Fans tragen Zeiss (die Firma) oder Lush (die Band) Jutetaschen. Das Publikum ist so unterschiedlich, wie es die Aufdrucke der Jutetaschen vermitteln: Hipster und Indies, aber vor allem Mädchen. Sie sind im Sportpalais in der Mehrheit, viele tragen Blumenkränze im Haar oder am Oberarm, noch mehr sehen aus wie kleine Lana del Rey look-a-likes. Twentysomethings bevölkern das vordere Drittel, die übrigen Areale der Mehrzweckhalle werden von mehrheitlich thirtysomethings besetzt. Im Rahmen ihrer L.A. to the Moon Tour gibt Lana del Rey in Mitteleuropa nur zwei Konzerte: Berlin und Antwerpen stehen auf dem Tourplan. Entsprechend sind die Länderkennungen der Nummernschilder auf dem Parkplatz vor der Arena breit gestreut. Das Rheinland ist nicht fern, auch die französische und niederländische Grenze liegen in Fahrdistanz. Ein europäisches Publikum aus einem grenzenlosen Europa, so etwas gefällt mir!
Das Bühnenbild gleicht einer Meeresbucht. Die Bühnendeko aus Pappe zeichnet eine Felsenlandschaft mit Sandstrand. Liegestühle und Palmen inklusive. Im Hintergrund plätschert eine Film-Bucht in verkörnten Instagramfiltern, durch die ab und an eine Yacht oder ein Segelboot fährt. Einmal legt sich Lana del Rey mit ihren beiden Backroundsängerin singend auf dem Boden („Pretty when you cry“), auf den beiden Leinwänden sieht es dann so aus, als würde sie am Strand vom Meer umspült, ein anderes Mal glitzert der Bühnenboden türkis und verwandelt die Bühne in eine Lagunenlandschaft.
Es gibt viel zu sehen. Die Band allerdings blieb im Hintergrund. Abgesehen vom Poser Gitarristen. Da fällt mir ein: Poser Gitarristen gehören bei solchen Konzerten scheinbar dazu wie die Marmelade zum Frühstücksbrötchen.
Die neuen Songs, die ich bisher nur oberflächlich gehört habe, scheinen mir poppiger zu sein als die älteren Sachen. Sie wirken nicht so getragen wie die Honeymoon oder Born to die Stücke. Weiterhin prägnant ist aber die 60’s Romantik, die Retrooptik. James Dean und Marylin Monroe werden daher logischerweise im Konzert zitiert.
Einerseits steht da jemand in einem Las-Vegas-Bühnenbild aus Pappmaché-Felsen und Plastikpalmen, die dem feuchten Traum eines jeden Mannes zirka 1963 entsprungen sein könnte: sehr knappes Sommerkleid, hohe schwarze Stiefel, lange angeklebte Wimpern, Schmollmund. Oder auch eines Mannes aus dem Jahr 2018, der gerne alte Films Noir guckt oder die Serie „Mad Men“, wo Kerle vormittags im Büro Whiskey trinken und Frauen vor allem dazu da sind, hübsch auszusehen. Oder sich mal beim Singen auf einem goldenen Flügel zu räkeln. Was Lana del Rey auch wirklich tut. (Berliner Morgenpost)
Mad Men habe ich nie gesehen, Whiskey trinke ich nicht und das Gesellschaftsbild der 1960er Jahre ist nicht meins. Ich wollte es nur gesagt haben. Zu „Video games“ sitzt Lana del Rey auf einer Schaukel und schwingt über den ersten Reihen, später dann singt sie sitzend in einem der Liegestühle und rekelt sich bei einem weiteren Song auf dem goldenen Klavierflügel.
Jedes Lied hat seine eigene, andere Performance. Wie gesagt, es gab viel zu sehen. Allerdings, und das fand ich schlecht, geht durch dieses ewige neu arrangieren ein bisschen der Musikfluß verloren. Zwischen den Songs dauert es immer ein paar Sekunden, bis alle ihre Positionen eingenommen haben und es weitergehen kann. Das Konzert wirkt dadurch auf mich mehr wie eine Aneinanderreihung von Einzelsequenzen. Das ist nicht gut, aber einer großen Show gehört das wohl irgendwie dazu.
Fazit: Es war ein interessantes Konzert. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Kontextkonzerte:
Cat Power – Köln, 04.06.2008 / Live Music Hall
Cat Power – Brüssel, 26.06.2013 / AB
Cat Power – Köln, 11.07.2016 / Gloria
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