Ort: ECI, Roermond
Vorband: Madi

Bettie Serveert - Roermond, 12.03.2016

Lieblingsband.
Uneingeschränkt. Seit vielen, vielen Jahren verfolge das Treiben er niederländischen Band, die sich nach der Tennisspielerin Bettie Stöve (Winbledonfinalistin) bzw. ihrer Biographie Bettie serveert benannt hat. Carol van Dyke und Peter Visser sind über all die Jahre die beiden konstanten der Band, die kurz vor der Veröffentlichung ihres 11. regulären Albums steht.
Bettie Serveert gibt es seit Beginn der 1990er Jahre, lange musste ich auf ein Konzerterlebnis mit ihnen warten. Zu Beginn der 2000er Jahre war es dann soweit, im Mühlheimer Kulturbunker vor viel zu wenigen Leuten. In den letzten Jahren gab es dann schönerweise mehrere Gelegenheiten, und ein Bettie Serveert Konzertbesuch wurde so für mich fast schon zur Routine. Also in Relation zu den ersten 10 Jahren, als die Alben und Songs sicher noch mehr Relevanz hatten, als heutzutage. Also für die grosse Indiemasse, für mich haben Songs wie „Palomine“ oder „What friends“ immer noch den gleich hohen Stellenwert.
Lieblingsband eben.
Zumindest kommt es mir so vor. Denn betrachte ich das Publikum um mich herum, und entsinne mich zurück an meinen letzten Konzertbesuch in Venlo, so fällt mir auf, dass Bettie Serveert kaum Fannachwuchs rekrutieren können. Die, die zu ihren Konzerten kommen, kennen die Band noch von Pinkpop Auftritten. Seinerzeit waren sie einige von 10000, aktuell, und so leider auch an diesem Abend in Roermond, sind wir nahezu unter uns. 100, vielleicht 150. Altersdurchschnitt 40plus.
Dabei leben Bettie Serveert überhaupt nicht nur oder gar ausschließlich in der Vergangenheit. Pharmacy of love und Oh Mayhem!, ihre letzten beiden regulären Alben, sind gerademal drei, bzw. vier Jahre alt, und Songs wie „Deny all“ oder „Calling“ sehr zeitgemäß. Natürlich schwelgen sie darüber hinaus auch in Erinnerungen. 20 Jahre Palomine vor einigen Jahren war ein großes Fest mit viel Tamtam und ausverkauftem Paradiso (großer Saal), ganz so wie es sich für eine Indieinstitution eines Landes gehört. Man stelle sich vor, Tocotronic würden 20 Jahre Wir kommen um uns zu beschweren feiern. Das wäre in etwa der Maßstab, der angelegt werden müsste, um die Bedeutung von Bettie Serveert in den Niederlanden irgendwie zu erklären.
Und so ist es nur zu normal, dass die alten Welthits nach wie vor gespielt werden: mein persönlicher Depressionsklassiker „Palomine“, „Tom Boy“ oder „Kids alright“, das im Nachbarland jeder kennt.
Aber Bettie Serveert ruhen sich nicht auf alten Gassenhauern aus, sie schreiben immer weiter neue Hits. Ein nächstes Album ist in Vorbereitung, drei oder vier neue Songs spielten sie an diesem Abend.
Mein niederländisch ist nicht so gut, um alle detaillierten Angaben zur Veröffentlichung und Namen des neuen Werkes mitzubekommen. Ich verstand immer nur

een nieuwe liedje.

Konzerte in der Beneluxprovinz sind etwas Spezielles. Ich sah mal K’s choice in Weert, einem Nachbarstädtchen von Roermond, aber ich glaube auf belgischer Seite, Get well soon in Herleen oder Lee Ranaldo in Hasselt. Alles kleine Städte in mehr oder weniger Grenznähe, alle mit tollen Musikcentren und jederzeit einen Ausflug wert.
In Roermond war ich bisher nur zum einkaufen. Das Outlet Center am Rande der Stadt lockt mich mindestens einmal im Jahr hierhin. Konzerte verband ich bisher weniger mit dieser tollen und schönen Stadt, die, wie fast alle niederländischen Städte, einige schöne Ecken und nette Plätze inklusive kleinem Hafen hat. Die Rur fließt hier entlang, ich kenne den Fluß auch aus der Eifel. Das ECI war mir bisher noch nie aufgefallen, es liegt aber auch am anderen der Stadt. Bei der Routenplanung sah ich bereits, dass es ein altes Fabrikgelände sein muss, auf dem jetzt allerlei Kunstkram veranstaltet wird. In natura stellte es sich als eine schön hergemachte (der gemeine Begriff ist gentrifizierte) Anlage heraus, die neben einem Konzertsaal auch ein kleines Kino, ein Restaurant und Veranstaltungsräume beheimatet. In einem Wort. Es ist toll. Und nicht nur ich lieben unsere Benelux-Nachbarn für solche großartigen Kulturzentren. ECI steht übrigens für Elektro Chemische Industrie, 2009 wurde die ehemalige Fabrikanlage renoviert und ist seitdem ein Kulturzentrum.
Nur eine Handvoll Menschen stehen vor einer Glastür, als ich das Gelände nach dem richtigen Eingang hin durchquere. Sie sind das einzige Anzeichen, dass hier eine Veranstaltung stattfindet. Ansonsten liegt das gesamte Areal im samstäglichen Ruheschlaf. Ich gehe hinein, die Kasse ist doppelt besetzt, in einem Nebenraum hängen Fotografien aus den 70er Jahren. Es sieht nach einer Ausstellung aus, um was genau es geht, kann ich nicht ausmachen.
Im Konzertsaal, den Gang entlang in einem Nebenkomplex liegend, ist die Bühne hergerichtet. Eingefunden haben sich hier vielleicht 20 Leute. Sie stehen größtenteils an der Theke. Als gegen halb zehn Madi Hermens die Bühne betritt und sich hinter ihr Keyboard setzt – ich möchte die niederländische Sängerin nicht nur deswegen mit Kate Nash vergleichen, auch wenn ihre Songs weniger rotzig frech und viel ruhiger sind – sind nur ein paar Duzend mehr Leute in den Saal gekommen. Die Musik interessiert sie jedoch ohrenscheinlich nur wenig, ich höre intensivstes Gerede von der Theke. Vielleicht 20 lauschen aufmerksam, alle anderen sind, ja aus welchem Grund eigentlich hier? Ich weiß es nicht, die Situation wirkt skurril bis grotesk. Madi Hermens kommt mit ihrem Keyboard kaum gegen das Geschnatter aus dem hinteren Teil des Raumes an. Die Akustik des Saals ist einfach zu gut, jedes Glasklappern wird bis zur Bühne transportiert. Dass nur sehr wenige ihrer Musik zuhören, merkt Madi auch, ihre Ansagen, zu Beginn noch euphorisch und erzählend vorgetragen, werden immer kürzer und fallen dann ganz weg. Stattdessen spielt sie nur noch ihr Set runter, und – so zumindest mein Eindruck – das ohne ihren Auftritt wirklich genießen zu können. Schade, denn ihre Songs sind wirklich gut, ihre Stimme toll! Das hätte mehr Aufmerksamkeit verdient, viel mehr! Aber leider wird dieser Konzertbesuch nur von einer kleinen Minderheit primär als Musikerlebnis verstanden.

Bettie Serveert sind hipsterfreie Zone. Ich erwähnte ja bereits das maue Interesse. Der Band scheint das wurscht, oder sie hat sich mittlerweile damit abgefunden, und wirkt unaufgeregt spaßig. Zwei neue Songs zu Beginn, und ich glaube, dass neue Album wird gut und viel rockiger als die letzten Platten. Wow. Seit diesen 10 Minuten freue ich mich auf das neue Album.
Das ist für mich überraschend, denn die letzten Meldungen über die aktuellen musikalischen Ausrichtungen der Band waren gruselig. Eine The Cure-Cover Tour mit einem sogenannten Prof. Nomad ließen mich zusammenzucken. ‘Nein, sowas brauche ich nicht‘, sehr sicher stellte ich das beim Betrachten einiger Videos von dieser besagten Tour fest. Selbst von einer Lieblingsband muss ich nicht alles mögen. Meine Befürchtungen, Songs aus diesem Projekt hören zu müssen, erübrigten sich jedoch Gott sei Dank sehr schnell.
Nachdem ich die neuen Stücke verarbeitet hatte, ging es peu a peu zurück. „Balentine“, „Palomine“, „Deny all“, „Tom Boy“ folgten alsbald und die Setlist mutierte zu einer feinen kleinen alte-Hits-und-Lieblingslieder Setlist. Carol van Dyk, Peter Visser, Herman Bunskoeke und Schlagzeuger Joppe Molenaar, der nach kurzen Aussetzern wieder am Schlagzeug sitzt, liefern, doch das Publikum dankt es nur wenig. Nach elf Uhr wurde es auf einmal gefühlt leer. Das verstand ich nicht, denn wer die Band mag oder sich auch nur über die alten Stücke mit ihr identifizieren kann, der kam vollends auf seine Kosten. alles wichtige und schöne war doch im Programm. Na egal, mir gefiel alles und ich fand es ein wunderbares Konzert.
Bettie Serveert mögen auf den ersten Blick live etwas angestaubt und wie aus einer anderen Zeit wirken. Aber sie können es noch. Und sie haben verdammt gute Popsongs.
Lieblingsband eben.

Kontextkonzert:
Bettie Serveert – Venlo, 02.03.2013 // Perron 55
Bettie Serveert – Amsterdam, 10.09.2011
Bettie Serveert – Heerlen, 21.03.2010
Bettie Serveert – Köln, 22.03.2007

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