Ort: TivoliVredenburg, Utrecht
Vorband: –
Betty serveert nennt sich die Biografie über die niederländische Tennisspielerin Betty Stöve. Betty Stöve servierte sich 1977 bis ins Wimbledonfinale der Damen und gewann im Doppel und Mix insgesamt 10 Grand Slam Titel (darunter 1977 die US Open mit einer gewissen Martina Navrátilová als Doppelpartnerin.) Nach ihrer aktiven Karriere trainierte sie 10 Jahre lang die nicht minder unbekannte Hana Mandlíková.
Bettie Serveert sind neben Herman van Veen und Urban Dance Squad hierzulande die vielleicht bekanntesten niederländischen Musikkünstler des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Ursprünglich 1986 gegründet, veröffentlichten sie 1992 ihre erste Platte. Palomine. Mag man den Fachzeitschriften glauben, ist das Album „a high point for European guitar music in an era dominated by the US and UK“. Okay. Zwischen 1992 und 2016 veröffentlichten Bettie Serveert 10 Alben. Seit 2016 ist es ruhig um die Band. Hier und da spielten die Sängerin Carol van Dijk und Gitarrist Peter Visser ein paar kleine Akustikkonzerte, neue Songs oder Bettie Serveert Konzerte gab es jedoch nicht. Damaged Good von 2016 bleibt das letzte reguläre Album. Ich kenne es ehrlich gesagt nicht. Auch den Vorgänger Oh, Mayhem! kenne ich nicht. Im Internet finde ich nicht viel über diese beiden Alben, zu Damaged Good scheint gerade einmal eine Review veröffentlicht worden. Und sie verweist wie selbstverständlich auf das 1992er Meisterwerk Palomine.
Damaged Good is een vintage Betties-album. Misschien niet zo overweldigend als debuut Palomine in 1992, want een band kan het publiek ook maar één keer van z’n sokken blazen, maar nog altijd net zo fris en dynamisch.
Dabei sind Bettie Serveert viel mehr als Palomine. Dust Bunnies oder Attagirl finde ich mittlerweile vielleicht sogar noch ein bisschen spannender als das Bettie Serveert Debütalbum. Aber trotzdem und irgendwie ist es immer nur Palomine. Schon 2011 spielten sie ein Geburtstagskonzert, und jetzt erneut. Dust Bunnies hätte das eigentlich auch verdient. Aber egal. So erlebe ich also meine zweite Palomine Geburtstagssause. 12 Jahre nach dem ersten Jubiläumskonzert. Wer mathematisch gut ist, wird jetzt stutzig: 2011 feierten sie den 20jährigen Geburtstag und 2023 den 30jährigen? Da stimmt doch was nicht?! Richtig, und ich kann es nicht lösen. Ich mutmaße mal: 1991 haben Bettie Serveert angefangen, die ersten Songs zu schreiben: „Leg“/ „The kid’s allright“/ „Tom Boy“/ „Brain-Tag“. Vielleicht deswegen 2011. Und 2023 jährt sich die Palomine Veröffentlichung durch den Major Matador zum 30. Mal. Matador bringt dieser Tage auch eine Sonderedition von Palomine heraus. Nebenbemerkung: In Europa und UK wurde das Album 1992 via Brinkman Records und 4AD veröffentlicht.
Angedacht war übrigens erst nur ein Jubiläumskonzert. Under the surface, der Bettie Serveert Newsletter berichtete Mitte des Jahres erst nur folgendes:
Thanks to all of you who have supported us for more than 31 years! We’re still overwhelmed by the massive response regarding the Matador announced release of our 30th Anniversary LP, we had no idea that so many people would be interested. These days we all have ‘day-jobs’, which means we can’t afford to do tours abroad & mainly play in the Netherlands. But we ARE doing 1 show – called ‘Bettie Serveert plays Palomine & Other Favorites’ – at the Paradiso in Amsterdam on Friday 22 September! We hope to see you there!
Rockstarlife 2023.
Das Paradiso war aber so schnell ausverkauft, dass sich die Betties entschieden, noch einen zweiten Termin nachzulegen. Dieses dann aber nicht im Paradiso in Amsterdam, sondern in der Utrechter TivoliVredenburg. Ich hatte für beide Konzerte Tickets, musste Amsterdam jedoch leider aus Termingründen canceln. Es blieb also Utrecht und der Wille, da unbedingt hinzufahren.
Die Suche nach einem erschwinglichen Hotel führte uns erstmal raus aus Utrecht und in die umliegenden Orte. Ein Ort Namens Den Dolder bot sich an; von hier aus sind es drei Stationen mit dem Zug zum Utrechter Hauptbahnhof. Drei Wochen nach ihrem Auftritt in Amsterdam also Utrecht. Die Band hätte zweifellos mehr ausverkaufte Shows spielen können, auch das Utrechter Konzert war schnell ausverkauft. Die Band zieht in den Niederlanden immer noch ungemein.
Gegen kurz vor 20 Uhr bin ich in der TivoliVredenburg. Das Konzert ist im Ronda Saal angesetzt, der in der zweiten Etage dieses einmaligen Konzertsaalgebäudes liegt, das auf sechs Ebenen (oder so) Konzertsäle unterschiedlicher Größe beheimatet. Der Ronda Saal ist der zweitgrößte Saal im Gebäude, erfasst 2000 Leute. Sagt zumindest die Wikipedia Seite List_of_concert_halls. Der Saal ist toll, man hat von überall eine gute Sicht. Auch deswegen, weil die Bühne sehr hoch ist. Sie liegt auf meinem Schulterniveau. Und da ich ganz vorne stehe, bekomme ich schnell eine Genickstarre.
Eine Vorband gibt es nicht, nach ordnungsgemäßer 90s Indierockmusik vom Band (Buffalo Tom, Swervedriver, Built to spill, Sebadoh, etc.) startet die Band in Originalbesetzung und mit dem Palomine Part. Es ist kurz nach 20.30 Uhr. Originalbesetzung bedeutet namentlich Carol van Dijk, Peter Visser, Herman Bunskoeke und Berend Dubbe. Alle mittlerweile in den 60er Lebensjahren. Diese vier haben Palomine zu verantworten. Später am Abend, zum zweiten Teil des Konzertes, wird dann eine etwas andere Bettie Serveert Band auf der Bühne stehen.
Die Band spielt Palomine in Gänze und die Songs in Reihenfolge. Schon 2011 fiel mir die Zeitlosigkeit der Songs auf. 2023 gilt das immer noch. Würde Bettie Serveert wieder ernsthaft auf Tour gehen und neue Songs schreiben, ich denke, sie wären ähnlich souverän anerkannt wie Slowdive, Ride oder andere 1990er Indiebands, die in den letzten Jahren die dritte oder vierte Luft bekommen haben.
Sie starten also mit „Leg“, einem der vielen Klassiker. Die Gitarren schwirren unendlich lang im Saal, gegen Ende des Songs geht das Saal- und Bühnenlicht aus. Nur eine einzelne Glühbirne schwingt über der Bühne und spendet etwas Licht. Es bleibt der einzige Showeffekt des Abends. Es folgen „Palomine“, „Kid’s allright“, „Brain-Tag“ und „Tom Boy”. Damit sind die Hits des Albums eigentlich durch. Der einzige Nachteil von Album-Shows; eine Dramaturgie lässt sich nur dann aufbauen, wenn man bereit ist, die Songreihenfolge zu verändern. Gut, dass Bettie Serveert es nicht machen. Ein Albumkonzert muss es meiner Meinung nach aushalten können, wenn die Hits schon im ersten Drittel verbraten werden oder schwächere Songs den Mittelteil dominieren. Letzteres kann bei Palomine nicht passieren. Das Album hat keine schwachen Songs.
Ach übrigens, nur mit einigem Glück fiel mir in den 1990er Jahren Palomine in die Hände. Meine Bettie Serveert Fantum startete erstmal notgedrungen mit dem zweiten Album, Lamprey.
Mitte der 1990er Jahre gab es in Dortmunder Indiediscos und bei mir eine kurze und intensive Phase, in der der sogenannte Benelux-Indierock stark in Mode war. Regelmäßig hörte ich K’s Choice („Not an addict“), dEUS („Suds & Soda“) und Bettie Serveert („Kid’s allright“). Während dEUS und K’s Choice im Laufe der Zeit eine kleine MTV-Berühmtheit wurden, gelang das Bettie Serveert nur bedingt. Ein näheres Kennenlernen der niederländischen Band gestaltete sich also schwierig. Klar, „Kid’s allright“ stammt vom dem Debütalbum Palomine, das war schnell herausgefunden. Aber wo bekomme ich das Album? Während dEUS und K’s Choice durch ihre MTV Präsenz bald ihre Alben auch bei Last Chance oder ELPI im Regal untergebracht hatten, war es bei Bettie Serveert etwas schwieriger. Erst als ich in Bochum wohnte, also ab 1995, entdeckte ich Palomine in einem Second Hand CD Laden in der Bochumer Hustadt. Kurz zuvor hatte ich dort Lamprey, ihr zweites Album, ausfindig gemacht. Unnötig zu erwähnen, dass dies ab sofort mein Lieblings-CD Laden wurde. Auch unnötig zu erwähnen, dass solche Geschichten heutzutage nicht mehr passieren. Seinerzeit gab es ein ungeschriebenes Gesetz: Zwei CDs von einer Band zu besitzen heißt, man ist Fan. Und so wurde ich Bettie Serveert Fan.
Mit meinem ersten Bettie Serveert Konzert war es dann genauso schwierig. Die Band tourte einfach nicht mehr, oder nicht mehr durch für mich als Student erreichbare Städte. Erst 2007 sah ich sie in Köln. Endlich, möchte ich sagen.
Nach Palomine geht es an diesem Abend nahtlos weiter. Es folgt der other favorites part. Gespielt wurden nun Songs aus den späteren Bettie Serveert Alben. Da sich in dieser Phase auch die Bandzusammensetzung veränderte, wechselte auf der Bühne das Musikerpersonal. Es verabschieden sich Schlagzeuger Berend Dubbe und Bassist Herman Bunskoeke (zeitweise). Neu am Schlagzeug und am bisher nicht benutzten Keyboard sind jetzt Stephan van der Meijden und Patrick van Herrikhuyzen.
Jetzt spielen Bettie Serveert aktuellere Bettie Serveert Songs von den späteren Alben. Allerdings ist darunter leider nichts von der Bare stripped naked CD. Und von Attagirl spielen sie nur das Bright Eyes Cover. Find’ ich ein bisschen schade. Abgesehen davon ist es eine gute Mischung, ein bisschen Dust Bunnies, eine kleine Akustikeinlage von Carol van Djik und Peter Visser, das wie erwähnt schöne Bright Eyes Cover „Lover I don’t have to love“. Was mir noch auffällt, „The Pharmacy“ ist verdammt gut gealtert.
Kurz vor der Zugabe gehe ich raus und hole meine Sachen aus dem Schließfach. Das habe ich zuvor digital gebucht und nun bin ich etwas unsicher, ob das Öffnen des Lockers über den Button, den ich in einem E-Mail Link zugeschickt bekommen habe, funktioniert. Natürlich tut er das, und Digital natives werden jetzt verachtend den Kopf schütteln. Aber ich bin Gen X und ich lebe in Deutschland, solchen digitalen Kram bin ich nicht gewohnt. Hier braucht man für ein Schließfach immer noch eine 1-Euro-Münze. Da die Schließfächer auf derselben Ebene wie der Konzertsaal untergebracht sind, verpasse ich nichts. Ich muss nicht erst mehrere Rolltreppen nehmen, die Wege sind kurz. „Given“ verfolge ich aus den hinteren Reihen.
Wow, was war das für ein tolles Konzert!
Setlist:
01: Palomine
02: Leg
03: Palomine
04: Kid’s allright
05: Brain-Tag
06: Tom Boy
07: Under the surface
08: Balentine
09: This thing nowhere
10: Healthy sick
11: Sundazed to the core
12: Palomine (small)
13: Ray Ray Rain
14: Co-Coward
15: Dust Bunny
16: Brother (in loins)
17: Love sick
18: The Pharmacy
19: Unsound
20: Private suit
21: Lover I don’t have to love
22: White dogs
23: Unsane
24: Never be over
Zugabe:
25: Given
Kontextkonzerte:
Bettie Serveert – Roermond, 12.03.2016 / ECI
Bettie Serveert – Venlo, 02.03.2013 / Perron 55
Bettie Serveert – Amsterdam, 10.09.2011 / Paradiso
Bettie Serveert – Heerlen, 21.03.2010 / Nieuwe Nor
Bettie Serveert – Köln, 22.03.2007 / Kulturbunker Mühlheim
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