Ort: Muziekgieterij, Masstricht
Vorband:

Archive - Maastricht, 19.10.2023

Eine halbe Stunde stehe ich vor einer Parkplatzschranke. ‘Vol’ sagt mir ein rot leuchtendes Schild am Eingang des Parkplatzes. Voll ist auch der zweite große Parkplatz auf der anderen Straßenseite. Aber sowohl dort als auch hier sehe ich durch das Autofenster eine Menge freier Parkbuchten. Ich glaube, die Elektronik spinnt. Denn immer, wenn ein Auto rausfährt, fahren zwei rein. Stranger things in Maastricht.
Als ich endlich auf den Parkplatz fahre, ist es 20 Minuten vor neun. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich eigentlich schon längst in der Muziekgieterij sein. Na egal, Archive starten erst um 21 Uhr. Darauf kann ich mich verlassen, denn in Benelux sind Zeitangaben bei Konzerten keine Wunschdaten, sondern Termine, die bis auf wenige Minuten eingehalten werden. Kein Stress also.
Um zehn vor neun bin ich in der großen Halle der Muziekgieterij und es ist nicht voll. Es ist gemütlich gefüllt, möchte ich sagen. Leicht komme ich am Rand nach vorne. Allerdings gehe ich nicht ganz bis nach vorn. Ein Ventilator, der auf dem Bühnenrand steht und in Richtung Zuschauerraum die Luft bläst, hält mich ab. 90 Minuten Windzug am Kopf brauche ich nicht. Ist das nun eine bewusste Maßnahme, damit der Notausgang frei bleibt, oder ein Spaß der Security? Falls das mit dem Ventilator so beabsichtigt ist, geht der Plan auf. Denn freiwillig stellt sich niemand vor den Ventilator.

Um kurz vor neun habe ich mich akklimatisiert. Die Vorband habe ich verpasst, aber ehrlich, ich weiß noch nicht einmal, wer gespielt hat. Auf Archive bin ich irgendwie gespannt. Vor 12, 14 Jahren waren die Briten eine große Lieblingsband. Angefangen mit „Fuck U“, über „Bullets“ und „Quiet time“ fand ich alles gut. Ich mochte ihre elegischen und opulenten Sounds, ich mochte ihre Rapeinlagen, ich mochte die Frauenstimme. Ich besuchte das ein oder andere Konzert und verlor mich in ihren trip-hop-esken Arrangements. Auf Archive konnten sich seinerzeit viele einigen. Eine gute Band mit fantastischen Livequalitäten. Wann war das nochmal? Ich glaube, so um 2009, als Controlling Crowds und Controlling Crowds – Part IV veröffentlicht wurde. Im Laufe der Zeit wurde die Musik der Band dann für mich mehr und mehr uninteressant. Nach dem Restriction Album, das ich schon nur noch so semi-gut fand, verschwanden sie völlig aus meinem Musikkosmos. Und ehrlich gesagt, sie sind eigentlich bis heute nie wieder so richtig aufgetaucht. Aber warum dann der Konzertbesuch, könnte man berechtigterweise fragen und ich müsste antworten, ich weiß es nicht so genau. Aus alter Verbundenheit vielleicht. Oder aus Langeweile. Oder, weil ich einfach Lust habe, die Band zu sehen.

Im Vorfeld durchstöberte ich die Setlisten der Tour. Mh, ich kenne kaum etwas. „Light“, „Again“, „The empty bottle“, ganze drei Songs sind mir spontan noch im Kopf. Nicht wirklich viel, aber das hält mich natürlich nicht ab, nicht zu fahren.
Dieses Konzert ist Teil der Call to arms & angles Tour, die ursprünglich im letzten Jahr hätte stattfinden sollen. Doch aufgrund einer Darmkrebserkrankung von Darius Keeler mussten alle Termine verschoben werden. Gott sei Dank nur um ein Jahr, denn das bedeutet, dass die Behandlung/ Therapie gut angeschlagen sein muss.

Musikalisch sind sich Archive treu geblieben. Das ist mein erster Konzerteindruck. Sie spielen immer noch diese elegischen Songs und opulenten Sounds. langsam bauen sich die Stücke auf, beginnen meist leise mit wenigen Keyboardtönen und wandeln sich nach Minuten zu Monstern mit Gitarren. „The crown“ vom aktuellen Album ist ein Beispiel. Auf diese Songstrukturen  muss man sich bei einem Konzertbesuch einlassen können, sonst wird es schnell langatmig und uninteressant. Ich glaube, das sagte ich schon damals in einem meiner alten Konzertbeobachtungen.

Nach 50 Konzertminuten kommt eine Sängerin für ein paar Songs auf die Bühne. Leider passt ihre Stimme nicht so gut, finde ich. Es beginnt jetzt eine kurze, schwächere Phase, die Songs haben nicht so eine starke Wirkung wie zuvor. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich schon an den Keyboarder links erinnert, der wie ein Dirigent mit den Armen fuchtelt und die Songs körperlich durchlebt. Hatte ich zwischendurch ganz vergessen. Stimmt ja, da war ja so einer in der Band, der wie irre auf der Bühne performt. ‘Einer’ ist natürlich sehr stark untertrieben, das ist Darius Keeler, einer der Mitbegründer der Band. Neben Darius Keelerhs in Maastricht stehen sieben weitere Leute auf der Bühne. Es ist also viel Betrieb auf der Bühne. Das ist zwangsläufig, denn der Archive Sound benötigt viele Musikerhände. In den Jahren gab es viele Personalwechsel, von er Urbesetzung sind nur noch Darius Keeler und Danny Griffiths übrig. Laut Wikipedia zählt Archive aktuell 10 Mitglieder.

Vor der Zugabe, aus den Setlisten der vorherigen Konzerte extrapoliere ich, dass sie jetzt nur noch „Again“ spielen werden, gehe ich nach hinten. Jetzt stehe ich mittig und sehe das gesamte Ausmaß der Lichtshow. Das ist leider so ein bisschen der Nachteil, wenn man sich in den ersten Reihen aufhält. Man sieht die Showdinge nicht mit voller Wucht. Manchmal ist das egal, weil es keine Showdinge gibt, bei Bands wie Archive ist das jedoch nicht unerheblich, gehört gerade das Licht doch zum Gesamtkonzept ‘Archive-Konzert’.

„Again“ ist großartig und bestätigt mich zu 100%, dass es richtig war, nach Maastricht gefahren zu sein.

Setlist:
01: Mr. Daisy
02: Sane
03: Bullets
04: Vice
05: Everything’s alright
06: Conflict
07: Daytime coma
08: Surrounded by ghosts
09: The skies collapsing onto us
10: Take my head
11: The crown
12: Fear there & everywhere
13: Enemy
14: The empty bottle
15: Gold
Zugabe:
16: Again

Kontextkonzerte:
Archive – Köln, 04.03.2015 / E-Werk
Archive – Köln, 04.11.2012 / E-Werk
Rolling Stone Weekender – Weissenhäuser Strand, 12.11.2011
Archive – Köln, 23.10.2009 / E-Werk

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