Ort: Großer Sendesaal des WDR, Köln
Vorband:

Warpaint

Nun habe ich mich endgültig verliebt in Emily Kokal. In Barcelona war ich mir noch nicht ganz sicher, die gemeinsamen Abende davor noch viel weniger. Aber an diesem Abend hat sie mich erwischt. Emily Kokal war schon immer meine absolute Lieblingswarpaintfrau. Ich mochte ihre Art der Bühnenpräsenz vom ersten Konzert an, sie war nicht so extrovertiert wie Jenny Lee Lindberg, nicht so model-esk wie Theresa Wayman und nicht so ein lustig-kumpelhafter Typ wie die Schlagzeugerin. Emily Kokal wirkte auf mich immer eine Spur geheimnisvoll, verschlossener, wie jemand, der sich nicht direkt in die Karten schauen lässt. Manchmal sagt man solchen Menschen vorschnell nach, arrogant zu erscheinen. Tatsächlich sind es in den meisten Fällen die wenigsten von ihnen. Und ich glaube nicht, dass dies bei der Sängerin der amerikanischen Band zutrifft.
Emily spielt Gitarre bei Warpaint. Und sie singt den größten Teil der Songs. Ich habe das nicht nachgezählt, aber ich denke, es stimmt. Um das aus dem Stehgreif heraus benennen zu können, bin ich nicht ein ausreichen großer Warpaint Fan. In den Songs, die sie nicht singt, übernimmt dies Theresa Wayman, die zweitcoolste Warpaint Frau. Auf der Bühne stehen die beiden am linken und rechten Rand, den Mittelplatz behalten sie ihrer Bassistin vor.

Im großen Sendesaal des WDR, namentlich Klaus-von-Bismarck-Saal und benannt nach dem früheren Intendanten und Journalisten des WDR, gab es jedoch keinen Mittelplatz. Alle vier Frauen standen bzw. saßen auf einer Linie. Das Schlagzeug war an diesem Abend nicht, wie sonst üblich, hinter den anderen aufgebaut, sondern es wurde nach vorne gezogen. Die Bühne des Sendesaals, auf der sonst E-Musik des Kölner Funkhausorchesters gespielt wird, ist denn auch groß genug, um dieses so einrichten zu können.
Das Warpaint Konzert war zeitgleich mit anderen Konzerten das Eröffnungsveranstaltung der diesjährigen c/o pop, einem Musikfestival, dass seit Jahren im August an fünf Tagen in Köln stattfindet. Abgelöst hatte es vor langer Zeit das sogenannte popkomm-Festival, welches, als es etabliert und eines der stärksten Stadtfestivals des Landes wurde, nach Berlin weiterzog. Ich glaube, das war Anfang der 00er Jahre, als so ziemlich jeder und jedes größere kulturmusikalische Ding in die Hauptstadt abwanderte. Da Köln jedoch weiterhin Musikrelevanz besaß und besitzt dauerte es nicht lange, bis ein quasi Nachfolger gefunden wurde. Erst sanft und klein und leise und schwerpunktmäßig auf elektronische Musik fokussiert, hat sich die c/o pop zu einem der wichtigsten Klubfestivals hochgearbeitet, dass seit einiger Zeit auch abseits der elektronischen Musik Künstler und Bands im Programm hält.
Neben den gewöhnlichen Konzertorten kommen in diesem Rahmen auch immer spezielle Veranstaltungsorte mit in das Programm. Die Philharmonie ist seit Jahren mit dabei, und in diesem Jahr auch – oder erneut – der Sendesaal des WDR. Die Atmosphäre ist dann immer eine besondere und vielleicht sogar die größere Attraktion als die Band selbst. U-Musik im E-Musik Ambiente, das funktioniert meist sehr gut, setzt jedoch besondere Anforderungen an das Publikum. Das beginnt schon beim Einlass: Jacken und größere Taschen sind an der Garderobe abzugeben, Getränke dürfen nicht in den Konzertsaal importiert werden. Oft führt das zu kleineren Diskussionen mit den Saalpflegern und zu Kopfschütteln. Nicht nur das saalpersonal, auch die Konzertgänger müssen sich an die andere Umgebung bzw. das andere Publikum gewöhnen, Gelingt dies, klärt sich die Lage jedoch schnell auf.

Stimmungsmässig ist ein bestuhlter Saal zwiespältig betrachtbar. Zum einen ist es mal was ganz anderes, eine moderne Indie-Klassik-Rockband wie Warpaint im Sitzen zu betrachten, zum anderen geht das irgendwie überhaupt nicht. Warpaint machen keine ruhige Sofa-Indiemusik, Warpaint machen Tanzmusik. Es zuckt spätestens ab dem zweiten Song (an diesem Abend das fulminante „Bees“) in den Beinen, die sich aber nicht so recht bewegen lassen. Und so bleibt es bei einem verstärkten Wippen mit Kopf und Oberkörper. In den vor mir sitzenden Reihen macht das jeder. Scheinbar hatten auch die Warpaint Frauen mit uns sitzendem Publikum so ihre Schwierigkeiten. Nach „Composure“ forderten sie dazu auf, die Sitzreihen zu verlassen und nach vorne an die Bühne zu kommen, um zu tanzen. Was sicherlich der Albtraum aller Saalwärter ist, wurde für uns zum Segen. Pünktlich zum besten Warpaint Song des Abends, „Undertow“, gab es nun die passende Zustandsform. Stehen, tanzen. Die Stimmung wurde dadurch nochmals eine Spur euphorischer, und es schien mir, als ob sich die Band mit einem bevölkerten Bühnenrand sichtlich wohler fühlt.
Zu diesem Zeitpunkt hatten mich Warpaint schon lange. Bei „Bees“, ich saß noch gemütlich im gepolsterten Klappsessel, überkam mich das Gefühl, dass dies ein besonderer Abend wird. Oft hatte ich meine Probleme mit Warpaint Konzerten. Zwar mag ich ihre Songs und ihre Musik, live schafften sie es aber lange nicht, mich vollends zu überzeugen. Ihre langen krautrockigen Gitarrenpassagen wirkten auf mich ermüdend und irgendwie eintönig. Für meinen unnötig zogen sie ihre Songs live in die Länge. Und genauso wie ein zu lang gekauter und gedehnter Kaugummi an Geschmack verliert, verloren die Warpaint Songs dabei an Rasanz und Spannung. Beim letzten Konzert merkte ich jedoch, wie sich meine Einstellung änderte. Ich fand Gefallen an den langen Gitarrenparts, an den immer neuen Zwischenspielen von Emily Kokal und Jenny Lee Lindberg, an das einfach anders als auf Platte klingen der Songs. So wurde mein letztes Warpaint Konzert mein mit Abstand bestes, mal abgesehen von dem verhunzten „Ashes to ashes“ (David Bowie Cover). Das war nach wie vor das schlimmste an Livemusik, was ich 2014 gehört habe.
Aber an diesem Abend spielten sie es nicht. Dafür gab es in der Zugabe „Baby“, solo vorgetragen von Emily Kokal. Ich glaube, ich habe das so zuletzt in der Kulturkirche gehört. Es war das ruhigste und zweitbeste Stück des Abends. Die musikalische Hauptattraktion des Abends war eine andere. Ein sekundenlanges Schweigen und ein mucks Mäuschen stiller Sendesaal mitten in „Composer“, als nicht nur die Band ruhig auf den Einsatz von Theresa Wayman wartete, sondern der gesamte Saal erwartungsvoll mitfieberte. Spontan oder geplant, diese 10 Sekunden Schockstarre funktionieren in keinem gewöhnlichen Konzert so gut und so erhaben, wie sie in einem altehrwürdigen und holzvertäfelten Sendesaal funktionieren können. Ein perfekter Moment in einem nahezu perfekten Konzert.
Das war mein bisher bestes Warpaint Konzert. Ich glaube, ich beginne nun so richtig, diese Band auch live zu mögen.

Kontextkonzerte:
Primavera Sound 2014 – Barcelona, 29.05.2014
Warpaint – 23.02.2014 – Köln / Live Music Hall
Crossing Border Festival – Den Haag, 16.11.2013
Warpaint – Köln, 28.06.2011  Kulturkirche Nippes
Primavera Sound 2011 – Barcelona, 28.05.2011
Rolling Stone Weekender 2010 – Ostsee, 12.11.2010

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar