Ort: DEPART, Kortrijk
Bands: Deadletter, Derya Yıldırım & Grup Şimşek, Index for working music, Marissa Nadler, Grundeis

Marissa Nadler - Sonic City Festival Kortrijk, 08.11.2025

‘Wir haben noch zwei Minuten, wir spielen einen halben Song.’ Marissa Nadlers Ankündigung sorgt für ein paar Schmunzler, zeigt aber auch das unbarmherzige Zeitmanagement der Veranstalter. 40 Minuten bis maximal eine Stunde dauern die Konzerte beim Sonic City. Einzig Derya Yıldırım & Grup Şimşek haben einen 75 Minuten Slot rausverhandelt.
Marissa Nadler und ihr Partner dürfen an diesem Samstagnachmittag für 40 Minuten auf die Bühne, und ihre sieben Songs zuvor nahmen bereits 37 Minuten von der Uhr. Der große Saal, in dem die Amerikanerin auftritt, ist bereits gut gefüllt, als ich von der kleinen Box Stage rüberkomme. Ein bisschen überrascht mich das. Hey, es ist kurz nach 15 Uhr und Marissa Nadler als Singersongwriterin ist an diesem Tag eher die Exotin im Programm. Aber schön zu sehen, dass der Zuspruch da ist, auch visuell für die beiden Musiker*innen erkennbar. Ich hatte schlimmere Befürchtungen.

Zuvor sah ich das Konzert der Hamburger Band Grundeis. Auch hier ist es vor der Bühne überraschend voll. ‘Drown with multilayered guitars in a melancholic abyss driven by pulsating beats and haunting vocals’, lese ich irgendwo über den Grundeis Sound. Okay, also Post-Punk im weitesten Sinn mit leichtem Gothic/New Wave/Shoegaze Flavor.
Grundeis kannte ich nicht. Amygdala und Every second an ocean heißen ihre beiden bisherigen Platten. Obwohl die Hamburger Band schon seit sechs, sieben Jahren aktiv ist, lief sie mir bisher weder virtuell – in Form von Videos oder Newslettern – noch in der Realität – bei Festivals oder als Vorgruppe – über den Weg. Erst beim Vorhören der Sonic City Bands fielen sie mir auf. Und zwar so sehr, dass ich ihr Konzert am Samstagnachmittag auf meine Agenda setzte.
Es ist mein Premierenkonzert im Club, dem kleinsten Saal des Festivalgebäudes Depart. Die Decke ist relativ niedrig, die Luft wird schnell stickig warm. Selbst an diesem Samstagnachmittag ist das so. Gegen halb drei, also ungefähr zur Hälfte des Konzertes, wird kuschelig warm.
Grundeis sind Laura Müller, Gitarrist Nils Pfannenschmidt, Bassist Tobias Rutkowski und Schlagzeuger Tomas Romme. Das Bühnenbild ist mit ordentlich Nebel und blauem Licht mehr dunkel als hell gehalten. Passt natürlich gut zur Musik, steht man weiter hinten sieht man allerdings wenig. Gitarrenwände und Noise knallen mir um die Ohren. Der Gesang von Laura Müller ordnet sich dem unter. Wer dabei an Shoegaze denkt, liegt nicht ganz falsch. Aber auch nicht 100% richtig, denn Grundeis sind noisiger und rockiger. In Summe klingt das ganz gut und Grundeis sind der erhoffte gute Start in den zweiten Festivaltag.

Musikalischer Themenwechsel.
Marissa Nadler und ihr Partner Milky Burgess brauchen nur je eine verstärkte Akustikgitarre oder E-Gitarre. Multilayered guitars haben sie nicht, ihr Sound ist eher ruhig und zaghaft konzentriert. Vor einigen Jahren sah ich Marissa Nadler solo beim Le Guess who? Festival und ich war sichtlich angetan von ihrem Konzert. Ähnlich erging es mir nach ihrem Auftritt beim Little Waves Festival ein paar Jahre später. Danach kaufte ich einige ihrer Alben (insgesamt sind es mittlerweile 10 Veröffentlichungen) und freute mich über die vielen Coverversionen, die sie bei Bandcamp zum Download anbot. New Radiations heißt ihre neue Platte, sie erschien im Laufe des Jahres. Marissa Nadler und Milky Burgess haben sie zusammen aufgenommen. Der NDR weiß zu berichten:

Die wohlplatzierten mehrstimmigen E-Gitarrensprengsel stammen von Multiinstrumentalist Milky Burgess, der Marissa Nadler schon eine Weile begleitet. Seine verschwommen verzerrten Drones und Flächen von Keyboards oder Steel-Gitarre bilden eine geschmackvoll dezente Kulisse hinter der Sängerin zur Gitarre. Fast immer singt Marissa Nadler mehrere Stimmen übereinander, durch den vielen Hall, mit dem sie abgemischt sind, haben sie etwas Unwirkliches, Gespenstisches an sich.

Marissa Nadler. Sonic City Festival 2025.

Frank (@spiralstairs.bsky.social) 2025-11-15T20:36:22.744Z

Allzu viel davon ist bei diesem Set nicht zu hören, es ist mehr zu erahnen. Ich glaube, Marissa Nadler loopt noch nicht einmal ihren Gesang. Ich hatte mich auf das Konzert gefreut. Ich entdeckte die Amerikanerin mit ihrem 2014er Album July. „Dead City Emily“, der letzte Song des Konzertes, stammt von diesem Album. Neben „All out of catastrophes“ ist es der einzige Song, den ich kannte. Immerhin kenne ich nach dem Konzert gut die Hälfte der Songs des neuen Albums. Mal schauen, ob die Albumversionen sich arg von den Liveeindrücken unterscheiden. Ich werde es alsbald herausfinden. Leider verzichten Marissa Nadler an disem nachmittag auf eine Coverversion. gerne hätte ich noch einmal „Blood and tears“ von Danzig von ihr gehört.

Setlist Marissa Nadler:
01: Hatchet Man
02: It hits harder
03: Smoke screen Selene
04: You called her Camellia
05: All out of catastrophes
06: New radiations
07: Sad satellite
08: Dead City Emily

Index for working music - Sonic City Festival Kortrijk, 08.11.2025

Nach Marissa Nadler gehe ich in den dritten Saal des Sonic City, zur sogenannten Box Stage. Größenmäßig liegt sie in ähnlichen Dimensionen wie die Club Stage, vielleicht ist sie ein bisschen geräumiger. Aber sie hat eine höhere Decke und sie besitzt einen Tageslichtzugang. Am hinteren Ende sind Glastüren, über die man in den Freiluftbereich des Festivals gelangen kann. Hier stehen vier Food Trucks und es gibt ein paar Stühle und Bänke.

In der Box spielen gleich Index for working music. Ich habe null Ideen, wie man auf einen solchen Bandnamen kommt, aber Max Oscarnold and Nathalie Bruno, die beiden führenden Leute bei Index for working music werden sich sicherlich etwas dabei gedacht haben. Genau wie zwei Stunden zuvor Grundeis zähle ich auch Index for working music zu der Kategorie ‘Bands, die man auf einem Festival gemütlich mitnehmen kann’. Vielleicht überrumpeln sie einen, vielleicht auch nicht. Immer aber gilt, dass sie einem eine gute Zeit bescheren; sie sind ein schöner Ear-catcher, den man sich sehr gut anhören kann. Auch wenn man die Band in ein paar Monaten wieder vergessen hat. Und ehrlich, weder Grundeis noch Index for working music haben mich überrumpelt und so stark überzeugt, dass ich unbedingt ihre Platten besitzen muss. Die Musik klingt gut, keine Frage, aber sie haut mich nicht um. Bei den Briten zum Beispiel stört mich das Cello, das irgendwann anfängt, leicht zu nerven. Den teilweise vorgetragenen Harmoniegesang von Max Oscarnold und Nathalie Bruno finde ich toll, aber darüber hinaus fehlt mir das Gewisse etwas im Sound. Das hält mich aber nicht davon ab, bis zum Konzertende in der Box zu bleiben. Okay, ein Grund ist auch, weil parallel nichts anderes läuft.

Derya Yıldırım & Grup Şimşek Sonic City Festival Kortrijk, 08.11.2025

Mittlerweile ist es 17 Uhr, ich bekomme Hunger. Doch bevor ich mir etwas zum Essen suche, schaue ich noch kurz bei Derya Yıldırım & Grup Şimşek im großen Saal vorbei. Hamburg Teil 2 an diesem Tag. Also ein bisschen, denn mittlerweile lebt Derya Yıldırım in Berlin.Türkische Indiepopmusik, das reizt mich schon. Anadolurock scheint dafür der Fachbegriff. Der Sound der Bağlama dominiert und sorgt dafür, dass ich während des Konzerts immer wieder an traditionelle türkische Musik denken muss. Aber ganz so billig komme ich nicht weg. Denn es wäre falsch, die Songs von Derya Yıldırım nur darauf herunterzubrechen.Denn es bei weitem nicht alles, was Derya Yıldırım und ihre drei Mitmusiker*innen der Grup Şimşek auf die Bühne zaubern. Indiepopmelodien kommen dazu, ich höre auch psychedelisch anmutende Sounds. Es ist eine schöne und gut klingende Gemengelage, die die Band präsentiert. Es macht mir Spass, das Konzert anzusehen. Und so bleibe ich etwas länger als gedacht. Aber irgendwann kann ich nicht mehr. Ich brauche wirklich was zu futtern.

Zum Deadletter Konzert bin ich wieder zurück. Und Derya Yıldırım & Grup Şimşek behalte ich im Auge.

Deadletter. Sonic City Festival 2025. Nette Show, aber leider blieb irgendwie nichts hängen. Ich vermisste einen Ohrwurm.

Frank (@spiralstairs.bsky.social) 2025-11-15T20:31:20.812Z

Im September 2024 veröffentlichten Deadletter ihr Debütalbum The hyterical strength. Im Internet wird ihr Musikstil als Art-Rock, Dance-Punk, Garage-Rock bezeichnet. Mich verwirrt das ein wenig, zeigt aber auch, dass Deadletter scheinbar nicht banal in ein Genre zu pressen sind. Ich kenne das Album nicht, ich kenne nur vielleicht eine Handvoll Songs. Mehrmals hatte ich in der Vergangenheit die Gelegenheit, Deadletter live zu sehen. Bei ein paar Festivals schon kreuzten sich unsere Wege. Aber ich habe Gelegenheiten sausen lassen. Zuletzt erst beim diesjährigen Out of the crowd in Esch-sur-Alzette. Mich interessierte die Band nicht stark genug oder es gab parallel irgendetwas Spannenderes. Beim Sonic City spielen sie am Abend im wahrsten Sinn des Wortes konkurrenzlos, die anderen beiden Bühnen bleiben während ihres Sets ruhig. Entsprechend voll ist es im großen Saal. Um dem zu erwartenden Trubel vor der Bühne zu entgehen, haben wir uns auf die Galerie verdrückt und beobachten das intensive Treiben entspannt von oben. Hier ist es dann doch entspannter.

Frontmann Zac Lawrence ist eine Rampensau vor dem Herrn. Stillstehen ist nicht so seins. Ständig ist er unterwegs, mäandert über die Bühne und steht während des Konzertes zweimal im Innenraum. Die Hibbeligkeit überträgt sich jedoch nur zart in den Saal. Komplett elektrisiert wird das Depart nicht, das sind Deadletter an diesem Abend nicht im Stande zu leisten. Aber es reicht, um die vorderen Reihen mitzunehmen und es reicht, um uns auf der Galerie ein schön anzusehendes Spektakel zu bieten. Mehr ist es für mich jedoch nicht. Denn einen Hit entdecke ich bei Deadletter für mich nicht. Und daher unterscheiden sich Deadletter für mich von anderen Bands wie z. B. The Murder Capital, die ich an gleicher Stelle aus gleicher Position hier auch schon gesehen habe. Es bleibt leider nichts hängen, ich habe nach dem Konzert keinen Ohrwurm, keinen Song, der mich nach draußen und zurück ins Hotel begleitet. Das Konzert war gut, aber Deadletter einmal gesehen zu haben, ist vielleicht ausreichend. Stand jetzt.

Deadletter - Sonic City Festival Kortrijk, 08.11.2025

Kontextkonzerte:
Sonic City Festival – Kortrijk, 07.11.2025
Sonic City Festival – Kortrijk, 10.11.2023
Sonic City Festival 2019 – Kortrijk, 09.11/10.11.2019
Marissa Nadler – Little Waves Festival Genk, 13.04.2019
Marissa Nadler – Le Guess Who? Utrecht, 20.11.2015

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