Ort: Stadtgarten, Köln
Vorband:
KonzertWenn ich so darüber nachdenke, finde ich es erstaunlich, dass ich Mélanie de Biasio nun zum dritten Mal sehe. Warum? Nun, weil zum einen die Belgierin nicht regelmäßig unterwegs ist (schon gar nicht in Deutschland) und zum anderen ihr musikalisches Schaffen so richtig erst vor vier Jahren mit dem Album No deal begann. Beim Recherchieren in meinem Konzertarchiv merkte ich dann, dass die beiden Konzerte im selben Jahr stattfanden, es sich also um Auftritte im Rahmen von ein und derselben Tour bzw. Plattenveröffentlichung handeln musste. Weiterhin relativiert wird die Häufigkeit der beiden Konzerte innerhalb von wenigen Monaten dadurch, dass es sich bei einem Auftritt um einen Festivalgig handelt und beim anderen um einen Supportslot.
2014 besuchte ich das Piasnite Festival in Brüssel, mein Hauptgrund für diesen Tagesausflug hießen Girls in Hawaii und dEUS, die dem Festival an einem Tag als Co-Headliner voranstanden. Am späten Nachmittag spielten in dem alten Backsteingemäuer Tours & Taxis zwei weitere Bands, die mich begeisterten: die niederländischen The Spectors und eben Mélanie de Biasio. Von beiden Bands hatte ich vorher noch nie etwas gehört, aber gerade der Auftritt von Mélanie de Biasio hinterließ einen bleibenden Eindruck. Ihre ruhige Musik, die stimmig ausgeleuchtete Bühne. All das sprach mich sehr an und blieb mir in stärkerer Erinnerung.
Später im Jahr freute ich mich dann sehr, als sie als Support für das Eels Konzert im luxemburgischen Grand Théâtre angekündigt wurde. In der Theateratmosphäre kamen ihre, jetzt gefühlt jazziger klingenden Songs viel stärker zur Bedeutung als in der ehemaligen Lagerhalle in Brüssel. Da ich zu dieser Zeit Sophie Hunger sehr verehrte, war es nur zu logisch, auch die Musik der Belgierin toll zu finden. Beide fallen ungefähr in die gleiche Kategorie und Stimmungslage. Singersongwriter Pop mit leicht jazzigem Anteil, wobei der jazzige Anteil bei Mélanie de Biasio größer ist als bei Sophie Hunger. Seit diesen beiden Konzertauftritten sind drei Jahre vergangen. Eine Zeitspanne, in der der musikalische Output von Mélanie de Biasio aus einer EP und dem erst kürzlich veröffentlichten Album Lilies bestand. Und nachdem ich die Tour des Vorgängeralbums besucht hatte, besuche ich nun die Tour zum Nachfolgealbum Lilies. Das passt. So macht man das bei Musikern, die einen guten Eindruck hinterlassen haben.
Als ihr Konzert im Kölner Stadtgarten angekündigt wurde, war für mich quasi zeitgleich klar, dass ich da gerne hingehen möchte und ich blockte innerlich den Abend. Dass ich dann erst vor ein paar Tagen das Ticket kaufte, hatte andere, haushälterische und logistische Gründe.

In der Kultursendung Titel Thesen Temperamente – ich frag mich, wie groß der Zufall gewesen sein muss, vor einigen Tagen just in diese Sendung hineingezappt zu haben – ist vom Geheimtipp Mélanie de Biasio die Rede. Am Ende des 10 minütigen Berichtes steht aber die Prophezeiung, dass sie mit ihrem aktuellen Album diesen Staus auch hierzulande alsbald verlassen würde. Beim Moderator klang das gar mehr als ein Versprechen denn eine Prophezeiung. In Belgien (und vielleicht auch in Frankreich, genau weiß ich das nicht), ist sie schon ein Hausnummer, spielt unter anderem mit Ensemble im Brüsseler Cirque Royale.

Mélanie de Biasio steht mit ihrer dreiköpfigen Begleitband vor einem knapp nicht ausverkauften Saal. Geheimtippstatus verlassen, würde ich sagen. An zwei Keyboards begleiten sie Pascal Paulus und Pascal Mohy, dass zeitweise sehr jazzy klingende Schlagzeug spielt Alberto Malo. Ohne Vorband geht es zeitig los. Die ersten Töne kommen aus der Querflöte, die die Multiinstrumentalistin und Sängerin leise und ruhig auf der fast nicht beleuchteten Bühne spielt. Heute und hier ist zuhören angesagt! Nach diesen ersten Tönen ist das klar. Die letzten Quatscher werden rasch erfolgreich weggezischt, und die Bar im hinteren Teil des Stadtgartens stellt zeitweise den Betrieb ein; in den nächsten Minuten ist und bleibt es im Saal mucksmäuschenstill. Nur das Klacken des Fotoapparates der akkreditierten Fotografin durchbricht während der ersten beiden Songs die Stille. Klack, Klack. Es ist gefühlt im ganzen Raum zu hören. Dann setzt nach und nach das Schlagzeug weitere Akzente. Erst ist es nur ein Wischen mit dem Besen über die Trommel, im Laufe des Songs wird daraus ein sanfter Rhythmus. Das ist Jazz. Das Publikum lauscht aufmerksam. Nach weiteren Minuten kommt ein Keyboard dazu. Nun kann man sich endlich räuspern, ohne aufzufallen. Nach fünf, sechs Minuten erschallt der erste tosende Applaus. Hier trifft Musik auf ein Expertenpublikum, das ist merklich zu spüren. Bereits jetzt weiß ich, dass ich mit diesem Konzertbesuch alles richtig gemacht habe. Ich fühle mich gut aufgehoben, es macht Spaß, hier zu stehen.

Die nächste Stunde vergeht ruhig und mit akkurat gespielten Songs. Mal greift Mélanie de Biasio zur Querflöte, mal singt sie nur. Dann klingen ihre Songs irgendwie nach Nico, nur nicht so indie; ansonsten oft wie sehr zeitgemäßer urbaner Jazz. Beides hat seine Reize, zusammen im Konzert ist es eine wunderbare und stimmige Kombination, wie ich finde. In den Songs sind immer wieder ganz leise Momente eingebaut, in denen ich eine Stecknadel fallen hören könnte. Ich höre aber nichts, denn der Saal hält die Konzentration zur Stille und räuspert sich, wenn überhaupt, nur sehr vorsichtig und behutsam. Alle scheinen gefangen zu sein von den unaufgeregten und sehr harmonischen Songs. Brüche, ein starker Wechsel von laut/leise, das gibt es nicht. Der Lautstärkepegel schwingt auf seichten Amplitudenbahnen. Swingen tun die Songs dabei nur selten. Die Musik der Mélanie de Biasio ist zum Zuhören da und nur bedingt tanzbar, auch wenn mein Vordermann ein paar Meter weiter das ganz anders interpretiert. Doch er bildet die Ausnahme.

10, 11 Songs bis zur Zugabe umfasst das Repertoire, zwei extralange sind darunter. In ihnen zeigen die vier Musiker ihre ganze Klasse, entwickeln die Songs eine eigene Dynamik, die mit Pop-Noir, wie es in TTT umschrieben wurde, nur näherungsweise beschrieben werden kann. Mich erinnerten diese langen Stücke spontan an „Heroine“ von The Velvet Underground und ähnliches Zeugs.

Mit einer guten Stunde ist das Konzert übersichtlich lang. Ich habe aber das Gefühl, dass die Band alles gesagt hat. Da ich meine Bahn erwischen wollte, vernehme ich die Zugabe aus den hinteren Reihen und verdrücke mich schneller als es mir lieb ist aus dem Stadtgarten. Auf der Rückfahrt im Zug bin ich noch ganz benommen. Ich Bing-e durch das Internet auf der Suche nach Geschichten und Artikeln zu und über Mélanie de Biasio. Unter anderem finde ich bei laut.de das hier:

Neben stimmlichen Fähigkeiten entwickelt sie sich zu einer Multiinstrumentalistin, die u.a. Flöte, Piano und Gitarre beherrscht. Ganz besonders Jazz und Soul haben es ihr stilistisch angetan. Doch zunächst gehen die eigenen ersten Schritte in eine ganz andere Richtung. Greller Jazzpunk steht am Anfang auf ihrem Zettel. Frühe ungestüme Auftritte mit einer ersten Formation gleichen heftigen Explosionen. Mit der wilden Kapelle tourte sie international und holte sich in Moskau die seltene Erkrankung des Lungenhochdrucks. Fatalerweise achtete sie nicht auf die Symptome und zog die Gigs voller Pflichtbewusstsein gegenüber Band und Publikum durch. Doch das rächte sich. Der Zusammenbruch folgte auf dem Fuße und raubte ihr die Stimme. Lange Zeit herrschte Ungewissheit, ob sie je wieder singen werde. Danach herrschte Gewissheit, dass sie nie wieder in belastender Lautstärke wird performen können.

Das habe ich nicht gewusst. Mit diesem Wissen wird das Konzert noch beeindruckender in meiner Erinnerung bleiben.

Kontextkonzerte:
Melanie de Biasio – PIAS Nites Festival Brüssel, 15.03.2014

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