Ort: Underground, Köln
Vorband:

L7

„Pretend you’re dead“. Was für ein Knallersong. Ein Tanzflächenfüller. Einer der wichtigsten Songs der 1990er Jahre. Zumindest für mich. Ich erinnere mich gerne an die Discotage zurück, wenn nach Nirvanas „Smells like teen spirit“ L7 aufgelegt wurde, der DJ damit den Rock-Grunge Level hoch hielt und gleichzeitig einen guten Übergang zu entweder Metallica (damals noch gut!) oder den Ramones / Iggy Pop / Fugazi hinlegte.

L7 spielten diese natürliche Melange aus Punk und Hardrock, die prädestiniert war, um diesen Übergang zu schaffen. ‘Judas Priest trifft auf die Ramones‘, las ich letzte Tage irgendwo. Bei sowas schmunzle ich immer etwas, es klingt für mich wie verzweifeltes namedropping für eine Band und deren Sound, der bis dahin noch nicht oder nur in Ansätzen existierte. Soundgarden vor „Black hole sun“ klangen ähnlich, auch Helmet und noch ein paar Gruppen mehr. Gemeinsam hatten all diese Bands, dass sie mit Nirvana in den Grunge-Topf geworfen wurden, obwohl sie da gar nicht richtig reinpassten. Grunge war für mich immer etwas subtiler und weniger nach Hardrockgitarren klingend, wie es diese Bands taten oder tun. Aber es gab nun mal diesen Topf und als Sub Pop Band, was L7 seinerzeit waren, waren sie da eben drin. Zusammen mit Hole und den Babes in Toyland waren L7 die Mädchenbands des Grunge, selbst wenn hier und da ein Bassist mitmachte.
Du kannst auch Rrriot Girl- Band sagen.
Noch so ein Label, das L7 verpasst wurde. Ob das besser passt als ‘Grunge-Band‘ oder ob beides überhaupt nicht zutrifft, ist schlussendlich wumpe.

Nach 24 Jahren Bricks are heavy, L7’s bestem Album und einem der wichtigsten der 1990er Jahre (sage nicht nur ich, das sagt auch der Rolling Stone), sind Donita Sparks, Suzi Gardner, Jennifer Finch und Demetra Plakas wieder gemeinsam auf Tour. Und nicht nur das! An den Namen ist es abzulesen: L7 touren in just der Besetzung, in der sie ihre größten Erfolge hatten. Also mit Jennifer Finch, deren Ausstieg 1998 zur Auflösung, oder wie ich jetzt sagen muss, zur mehrjährigen Pause der Band führte.

Im letzten Jahr spielten sie bereits erste Konzerte in den USA, in diesem Sommer steht nun Europa auf dem Programm. Das Kölner Konzerte war ursprünglich in der Live Music Hall angesetzt. Optimistisch und scheinbar zu optimistisch gedacht. Die 1500er Halle sollten L7 nicht füllen. Das Downgrade in das viel kleinere Underground erfolgte letzter Woche. Und selbst hier waren Lücken zu erkennen. Himmel hilf, wie peinlich ein Konzert in der Live Music Hall geworden wäre, wenn dort die vielleicht 150 Leute rumgestanden hätten. Im Underground wirkte es so okay voll. Das war besser.

Donita Sparks trägt schwarzes Augen Make-up. Das hat sich zu früher nicht geändert. Was vor 20 Jahren jedoch passend und irgendwie gut aussah, wirkt heute und aus der Distanz einiger Konzertreihen so dunkel und gealtert, dass es mich irritiert. Ich kann nicht anders und nehme das zum Anlass, um mir Suzi Gardner und Jennifer Finch genauer anzuschauen. (Die Schlagzeugerin ganz hinten liegt nicht wirklich in meinem Blickfeld.) Die Band ist sehr gealtert, oder platt gesagt: der Rock’n’Roll hat seine Spuren hinterlassen. Um das festzustellen, muss ich gar nicht lange schauen.
Ich habe in diesem Sommer viele ‘alte‘ Bands gesehen, nirgends viel mir das älter werden so sehr auf wie bei L7.
Eine Randnotiz nur, die mit der Musik nichts zu tun hat, die mich aber den ganzen Abend über nicht mehr loslässt.

Musikalisch ist es eine tolle Fahrt zurück in den Zeitraum der ersten drei Alben. Da L7 überhaupt keine neuen Songs haben, wird es ein reines Nostalgiekonzert mit allen wichtigen Hits von damals. L7 leben auf dieser Tour ihre Vergangenheit. Würde ich gedanklich dem Publikum Flanellhemden, Chucks und ausgewaschene Jeans verpassen, es wäre eins zu eins eine Reise in die Vergangenheit.
Ich sah tags zuvor ein paar Livevideos auf YouTube aus dem Jahr 1993. Und was soll ich sagen, dieser Abend war wie annodazumal. Die Band hat sich nicht verändert und sie haben die Rockgesten nicht verlernt. Die Windmaschinen tun ihr übriges, sie lassen die Haare ordentlich wehen. Was würde Doro Pesch wohl dazu sagen? Aber es ist saunaartig heiß im Underground, daher ist der Ventilator ein nützliches Bühnenequipment.

Drei gleichberechtigte Gesangsstimmen, das kann nicht jede Band aufweisen. Den Gesang der ersten drei Songs teilen sich Donita Sparks, Suzi Gardner und Jennifer Finch. Soviel Abwechslung hatte ich nicht erwartet. Und auch nicht ein so properes Set. Das Konzert wirkt frisch, nicht heruntergenudelt. Davon hätte man jedoch ausgehen können, wenn man sich die immer gleiche Setlist anschaut und den spärlichen Besuch im Underground dazurechnet. Nachzuvollziehen wäre ein mittelmässiger Auftritt. Aber nichts davon, L7 scheint es egal, wie oft sie „Pretend we’re dead“ bereits gespielt haben und wie viele ihnen dabei zuhören. „Pretend we’re dead“, einer meiner Höhepunkte des Konzertes, wird überraschend leise abgefeiert, stärker und wilder geht es beim Songdouble vor der Zugabe zu. Bei „Shitlist“ und „Shove“ ist die Stimmung am ausgelassensten. Gut gefallen hat mir auch die Coverversion „American society“. Sie ist schön ausgewählt. Da der Song ein ähnliches oder nahezu gleiches Gitarrenriff besitzt wie „Pretend we’re dead“, passt er perfekt vor den größten Hit der Band.

Zusammen „Fast and frightening“ bilden diese beiden Songs die Zugabe. Und zu der gibt es noch eine Geschichte zu erzählen: Zu den ersten Takten von „Fast and frightening“ fliegt ein Bierbecher in Richtung Bühne. Zwar leer, aber immer noch aus Hartplastik trifft er punktgenau Jennifer Finch voll an der Stirn. Eine glatte zehn! Autsch! Aber wir sind in einer Rock’n’Roll Show und so zeigt die Bassistin keinerlei Anzeichen von Schwäche sondern spielt einfach weiter. Ich zolle Respekt, denn das muss wehgetan haben!
Bereits eine Stunde zuvor lag sie beim zweiten Song mit dem Rücken auf den ersten Reihen. Jennifer Finch scheint hart im Nehmen. Doch nicht nur deswegen hinterlässt die Bassistin bei mir den frischesten Eindruck der Ü50 Clique.
Mir kommt ein Foto von Axl Rose in den Sinn. Es zeigt ihn auf der letzten Konzerttour als Aushilfssänger der Band AC/DC. Oh je dachte ich damals, wie schlimm sieht er nun aus. An diesem Abend dachte ich ähnliches.

Als L7 die Bühne verlassen entdecke ich einen niedlich wirkenden, silbern glitzernden Totenkopf auf der schwarzen Jacke von Suzi Gardner.  Es war wirklich ein merkwürdiger Abend.

What happened to my Rock’n’Roll?

Kontextkonzert:

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