Ort: Sphere, Las Vegas
Vorband: DJ Set

U2 - Las Vegas, 25.10.2023

Nächster Halt, Bahnhof Zoo. Nächster Halt Olympiastadion. Endstation, bitte alle aussteigen.

Zoo Station

U2 werden gleich im neuen, kugelförmigen Entertainmentgebäude Sphere in Las Vegas ein Konzert spielen. Auf einem 15000 Quadratmeter großen 16K-LED-Display mit einer Auflösung von über 268 Millionen Pixel werden mir in wenigen Augenblicken Bono, The Edge, Adam Clayton und Bram van den Berg – der den immer noch verhinderten Larry Mullen jr. am Schlagzeug vertritt – entgegentreten und ihr Album Achtung Baby performen. Ich sitze gespannt in einem oberen Sitzplatzbereich der Sphere, aus der Reihe vor mir riecht es nach Nachos, Cheese und Fries. Ein Mann links von mir shazamt „Teenage Kicks“ von den Undertones, das gerade von Band läuft.
Es ist dies das 12. Sphere Konzert von U2. Weitere werden folgen, erst letzte Woche hat die Band eine weitere Verlängerung ihrer U2:UV Achtung Baby Live Residency Shows für Januar und Februar nächstes Jahr bekannt gegeben. Es werden dann insgesamt 36 Konzerte sein, die U2 in der Sphere spielen. Immer mittwochs, freitags und samstags sind ihre Shows angesetzt.

Bereits eine knappe Stunde lang lässt ein DJ, der sein Pult in einem neonfarbenen Trabi aufgebaut hat, nonstop ein musikalisches 1980er Jahre Medley durch die Boxen dröhnen. Ich behaupte, es ist ein mp3-File, den er abspielt. Aber egal. Auf einer Bauernfete Ende der 1980er Jahre wäre das Set um 1 Uhr nachts ein Knaller, hier ist es sehr wenig originell, aber leider sehr erfolgreich. Es ist offensichtlich die Konsensmusik der ü50 Generation, die in der Sphere die größte Besuchergruppe stellt und viel Spaß an dem Mix hat. Enorm viel Spaß. Wer „Roxanne“ von The Police nicht mag oder nicht auf INXS steht, der mag eben Prince und „Rock the Casbah“ von The Clash. So ähnlich läuft das. Aber quatsch, eigentlich mag jeder alles. Ich find’s fürchterlich. Zu „Baby you can drive my car“ bewegt sich der Trabi irgendwann von einer Innenraumecke zur anderen.
Ich beobachte das vom dritten Rang aus, in Section 311 ist mein Sitzplatz. Ungefähr mittig in der Sphere quasi auf halber Höhe. Die Sphere ist ein nigelnagelneues Konzertvenue im Spielerparadies Las Vegas. Direkt neben dem Hotelkomplex The Venetian gelegen, wurde es in den letzten Monaten hochgezogen. Seit September ist die Sphere der letzte heiße Scheiß in Sachen Entertainmentkomplex.

Mit einem Durchmesser von 157 Meter und 81.300 m² Außenfläche ist sie das größte kugelförmige Gebäude der Welt. 54000 m² der Außenfläche sind mit 57,6 Mio. LEDs bestückt, die 1,2 Mio. Bildpunkte ergeben und die weltgrößte LED-Wand bilden. Drinnen bedeckt das weltweit erste 16K-LED-Display 15.000 m² die Innenwand.

Soweit die technischen Details von der Wikipedia Webseite.

Die Eröffnung der Sphere war am 29. September 2023. An diesem Abend starteten U2 ihre mehrmonatige Liveshow U2:UV Achtung Baby Live at Sphere. Ich habe keine Ahnung, wie und warum, aber U2 dürfen die ersten Konzerte in diesem Ding spielen. Irre. Da die ersten Konzerte rasend schnell ausverkauft waren, wurden aus anfangs geplanten sechs Wochen mit je drei Shows pro Woche schnell 12 Wochen.

U2 - Las Vegas, 25.10.2023

Und das wurde uns zum Verhängnis. Im positiven Sinn.
Meine Geschichte mit U2 ist dabei nicht ganz unwichtig für die Gemengelage, in der ich mich seit den ersten Zusatzankündigungen befunden habe. Zwar habe ich lange Jahre U2 Konzerte verschmäht, aber meine ersten Konzerterlebnisse 1989 bis 1992 werden von insgesamt drei besuchten U2 Konzerten quasi überstrahlt. Als Teenager war ich großer U2 Fan, es gab keine bessere Band für mich. Ich hatte Bootlegs von Livekonzerten auf Kassette, ich saß Silvesterabend 1989 vor dem Radio und nahm ihr Dubliner Silversterkonzert auf. Ich verbrachte Nachmittage am Telefon und in Warteschleifen, um ein Ticket für eines ihrer Konzerte reservieren zu können. Und wäre es nicht etwas Besonderes, nach über 20 Jahren erneut ein Konzert zum Achtung Baby Album zu sehen? So wie 1992 ZooTV in der Dortmunder Westfalenhalle und 1993 Zooropa im Müngersdorfer Stadion. Beide Konzerte supporteten das damals aktuelle U2 Album Achtung Baby. Das wurde 1991 veröffentlicht und es brachte eine musikalische Veränderung bzw. einen Richtungswechsel mit sich. Nach Rattle and Hum zeigten sich viele irritiert ob des neuen U2 Sounds, es gab seinerzeit einiges zu diskutieren.
Die ZooTV/Zooropa Tour fand ich gigantisch. Unendlich viele Leinwände bzw. Monitore, auf denen andauernd Botschaften aufflackerten, Trabis als Deckenleuchten und Bono lief mit einem Camcorder über die Bühne und filmte sich und andere. Ich fand das damals sehr beeindruckend und vielleicht auch ein bisschen größenwahnsinnig.

Ich wollte schon immer mal eine Las Vegas Show besuchen. Das war irgendwie so ein Wunsch von mir; es muss an den vielen Frank Sinatra und Rat Pack Filmen gelegen haben, die ich als Kind im Fernsehen sah. Und da bietet sich U2 doch viel besser an als Celine Dion, die Killers oder Adele. Argumente für einen Trip nach Las Vegas waren also da. Mal ganz abgesehen davon, dass das Konzert im aktuell spannendsten Konzertvenue der Welt stattfindet. A ha, ein dritter Grund. Achtung Baby, Las Vegas Residency Show, The Sphere. So schielte ich seit den ersten Konzertankündigungen auf die Zeiten und auf die Preise. Okay, ca. 280 Euro für die günstigste Sitzplatzkategorie sind ordentlich, zu ordentlich. Obwohl…ach ne, streichen wir das. ‘Sind ja auch alle Tickets ausverkauft.’ Ein Tatbestand, der mich in schwachen Momenten von einem Ticketkauf abgehalten hat. Allerdings galt der nur für den ersten Verkaufsslot. Als im Sommer die Oktober/November Termine angeboten wurden, gab es eine lange Zeit noch für sehr viele Tage und für alle Kategorien Tickets zu kaufen. Mh, was nun. Mein Dilemma wurde größer. Ich wollte eigentlich, aber der Kopf sagte immer noch oft ‘nein’. Nur einmal nicht, und ich sprang über meinen Schatten, griff in die Spardose und kaufte Tickets, Flug (übrigens günstiger als gedacht) und Hotelübernachtungen und reichte sieben Tage Urlaub für Ende Oktober ein.
So machten wir das dann und seit diesem Augenblick herrschte eine unendliche Vorfreude. Nun ist es also soweit, meine erste Las Vegas Show, mein erstes U2 Konzert nach 20 Jahren. Damals Zooropa, jetzt Achtung Baby. Ist das Zufall? Auf alle Fälle fühlt es sich ein bisschen surreal an. U2, ausgerechnet U2. Meine erste große Lieblingsband beschert mir mein erstes Las Vegas Konzert. Es ist so, als ob sich ein Kreis schließt und als ob es eigentlich nur so sein kann. Oder gar so sein muss!

Im Venetian suchen wir einen halbe Stunde lang die U2 Ausstellung, die begleitend zu den Konzerten ein paar Unikate aus der Achtung Baby Ära ausstellt. Die wollen wir noch schnell mitnehmen, bevor wir uns auf den Weg zur Sphere machen.

U2 - Las Vegas, 25.10.2023

Das Venetian ist direkt mit der Sphere gekoppelt, allerdings ist es so ein Monstrum von Gebäude, dass es einige Mühen braucht, um den Weg durch die italienischen Kanallandschaften, Casinobereiche und Restaurantstrassen zu finden. Als wir am U2 Pop-up Museum ankommen, erwartet uns eine Einlassschlange. Ah, mal eben kurz vorbeischauen, das klappt nicht so ganz. Ausgestellt sind hier die U2 Trabis, die Anfang der 1990er Jahre als Scheinwerfer von der Bühnendecke hingen und als Bühnendeko fungierten, allerlei Fotos und in der zweiten Etage gibt es ein kleines Kino mit einem von The Edge kuratierten Programm. Hier laufen ein paar olle U2 Konzertfilme und Dokumentationen. Aus Zeitgründen lassen wir das allerdings links liegen. Die U2 Konzertfilme kenne ich und die anderen Sachen, drei Vorstellungen sind pro Tag im Programm, können gegen ein Las Vegas Sightseeing und einen Ausflug zum Hoover Dam nicht anstinken. Nach einem Blick am Merch gehen wir zur Sphere. Um dorthin zu gelangen, müssen wir noch durch das Conference Center des Hotels. Ej, wir legen hier ungeahnte Distanzen zurück.

Bevor U2 die Bühne betreten, spielt der bereits erwähnte DJ das Beste aus den 1980er Jahren; aber nichts aus dem aktuellen Jahrhundert. Erschreckend schwach ist das, ein, wie ich finde, lieblos zusammengestellter Hitmix des DJs. Egal, niemand ist wegen dem Vorprogramm hier. Das war auch 1990 so, als in der Westfalenhalle Fatima Manson gnadenlos ausgepfiffen wurden und nach 25 Minuten die Bühne verließen.

Nach einer kurzen Pause starten dann U2. Die ersten Töne singt Bono noch vor ‘nackter’ Kugelinnenhaut, es ist wenig spektakulär aber doch ergreifend. Ab jetzt ist übrigens alles ergreifend! Bronzeähnlich schimmert die Hülle. Sie wirkt wie ein Käfig, ein goldener Käfig. Bono singt irgendwas und sein Schatten klebt an der Kugelhülle. Es ist ein kleines Intro zum Konzert, das mit „Zoo Station“ dann so richtig beginnt. Sie werden das Album nicht in Reihenfolge spielen. Allerdings eröffnen sie 2023 wie sie auch 1992 ihre Zooropa Konzerte eröffnet haben: „Zoo Station“, „The Fly“, „Even Better than the real thing“, „Mysterious ways”, „One”, „Until the end of the world”, „Who’s gonna ride your wild horses”, „Tryin‘ to throw your arms around the world”. Die ersten Songs gehören Achtung Baby. Dann sägt The Edge die Gitarre in Bonosruhigen Gesang und plötzlich ist alles um uns herum illuminiert. Nun kommt der zweite Headliner des Abends ins Spiel: die Sphere. Diese ersten Minuten des Konzertes werden mir unvergesslich bleiben. Erst bildet sich ein weißes Lichtkreuz (inspiriert durch Tadao Ando’s Church of the light), dass nach und nach die gesamte Kugel ausgefüllt und uns erstmals die technischen Möglichkeiten des riesigen, kreisförmigen LED-Schirms vor Augen führt. Ein erstes Raunen geht durch die Sitzplatzreihen, die Blicke gehen von der Bühne nach oben, zur Seite, nach hinten. Ich bekomme eine Gänsehaut. Schon nach diesen wenigen Sekunden ist es ein großartiges Erlebnis. Dabei sind die Videoanimationen bisher noch gar nichts besonders, wenn ich nur an den digitalen Luftballon denke, den Bono an einem Seil durch die Halle führt („Tryin‘ to throw your arms around the world“) oder an das grandiose Finale, wenn die Sphere wie der Todesstern auf uns zu schwebt, uns alle verschluckt und ein gleißendes Lichtermeer über unsere Köpfe legt.

‘I’m ready for what’s next.’

‘This is not a rehearsal’, ‘Talk to strangers’, ‘Watch more TV’, es sind dieselben Slogans wie vor 23 Jahren, die zu „The Fly“ um uns herum aufflackern. Aus ‘believe’ wird ‘lie’ und dann fallen digitale Zahlenreihen von der Decke und die gesamte Kugel ist voll von blinkenden, bunten Zahlen. Es scheint, als senke sich die Kuppelspitze auf uns hernieder. Alle um mich herum gucken jetzt nach oben, niemand auf die Bühne. Gefühlt jeder zuckt sein Mobiltelefon und versucht, etwas von dieser besonderen Atmosphäre für sich festzuhalten. Dass das nur bedingt gelingt, merke ich später im Hotelzimmer. Man kann die Komplexität der Schönheit der Sphere nicht im Breitbild und in 12,2 Megapixeln festhalten. Jedes meiner Videos gibt nur eine Idee davon wieder, wie einzigartig und beeindruckend dieses U2 Konzert war. Es fällt schwer, nur auf die Bühne zu schauen. Immer wieder geht ein Raunen durch die Reihen. Nach diesen ersten Minuten ist meine Konzertwelt eine andere. U2 setzen hier gerade Maßstäbe, die in keinem anderen Venue von keiner anderen Band auch nur annähernd zu erreichen sind.

U2 - Las Vegas, 25.10.2023

Nachdem die ersten Stücke mit den tollen Animationen nur so vorbeirauschen, wird es für ein paar Songs fast ein normales Konzert. Die grossflächigen Videoinstallationen weichen einer bekannten Konzertbeleuchtung, nur die Band wird jetzt auf die Innenhülle projiziert („Mysterious ways, One“, „End of the world“). Das sieht gut aus, ist aber im Vergleich zur herabfallenden Zahlenmatrix  bei „The Fly“ beinahe lächerlich schwach. Da ist er schon, mein erster Vergleich mit dem Unvergleichbaren.

„Tryin‘ to throw your arms around the world“. Bono trägt nun an einem realen Seil einen virtuellen Ballon, der an der Kugeldecke schwebt, durch den Saal. Es ist der stillste Moment des Konzertes und in seiner Unspektakulärheit enorm spektakulär. ‘Dieser Effekt hat uns am meisten gekostet.’ wird er in der Abmoderation sagen.

Das Album macht danach Pause. Acht von zwölf Achtung Baby Songs haben sie nun gespielt. Es wird etwas ruhiger, die Band scheint sich neu zu orientieren. Bono erzählt irgendwas und kündigt dann einen Gast an. Lady Gaga betritt die Bühne. Der Jubel schwillt minutenlang. Lady Gaga; am Morgen sind wir noch an ihrem Museum House of Gaga vorbeigelatscht. Was für ein Zufall! Und was für ein Glück bei unserer Konzertwahl, denke ich. Es ist der erste Abend, an dem U2 einen Gast begrüßen. Bono ist ganz angetan, umgarnt die junge Frau permanent. ‘Her Gaganess’, nennt er sie mehr als einmal. Zusammen singen sie drei Songs. U2’s „All I want is you“, den sie nahtlos in den Lady Gaga Song „Shallow“ überführen und zum Abschluss „I still haven’t found what I’m looking for“. Lady Gaga ist großartig, ihre Stimme sagenhaft.

„Desire“ und „Love rescue me2 beschließen dann den Block der non-Achtung Baby Songs.
‘Shall we wake up the Baby again?’ fragt Bono nach „Love rescue me“  in die Runde. Na logisch! Es fehlen ja noch vier Songs vom Album: „Acrobat”, „Ultraviolet“, „So cruel“ und „Love is blindness“. Unter den Klängen von „Viva Las Vegas“ verlässt die Band zwanzig Minuten später die Bühne, die übrigens aufgebaut und designt ist wie ein Schallplattenteller.

Zur Zugabe spielen sie neben dem neuen Song „Atomic city“, der pünktlich zur Sphere Premierenshow im September veröffentlicht wurde, noch ein paar Hits. Natürlich darf dabei das Doppel „Where the streets have no name“ und „With or without you“ nicht fehlen. Bei letzterem kommen sie ein bisschen aus dem Takt, aber das ist nicht dramatisch. Wichtiger sind jetzt eh wieder die Videoanimationen der Sphere. Zum Abschluss des Konzertes wird technisch nochmal groß aufgefahren. Erst sitzen wir vor der nächtlichen Silhouette Las Vegas („Atomic City“), die mir den Eindruck gibt, das Konzert fände tatsächlich auf einem Hausdach statt, dann bewundern wir den Sonnenauf- und Untergang in der Wüste („Where the streets have no name“) bevor eine schwimmende Sphere uns verschluckt und ein hell leuchtendes Fresko aus allerlei Tiermotiven an die Kugelwand wirft. Ein Wahnsinnsfinale eines irren Konzertes. U2 waren in guter Form, aber der heimliche Star ist diese Kugel. Ich glaube, das ist unbestritten. Jeder, der eines der Konzerte erlebt hat, wird dies bestätigen.

U2 - Las Vegas, 25.10.2023

Es waren unvorstellbar beeindruckende Momente, die ich in den gut 2 Stunden erlebt habe. Wenn die Innenhülle der Kugel plötzlich voll von Animationen ist, um einen herum alles blinkt und leuchtet, Bilder einen förmlich umarmen und umschließen, dann ließ mich das zu keiner Sekunde kalt. Es war ein sehr emotionales, episches und irgendwie unbegreifliches Konzert. Ich habe U2 Songs oft gehört, aber solche Gänsehautmomente wie in der Sphere hatte ich dabei noch nie.

Bis die Matrix bricht.

Setlist:
01: Zoo Station
02: The Fly
03: Even better than the real thing
04: Mysterious ways
05: One
06: Until the end of the world
07: Who’s gonna ride your wild horses
08: Tryin‘ to throw your arms around the world
09: All I want is you
10: Shallow
11: I still haven’t found what I’m looking for
12: Desire
13: Love rescue me
14: Acrobat
15: So cruel
16: Ultraviolet (Light my way)
17: Love is blindness
Zugabe:
18: Elevation
19: Atomic City
20: Vertigo
21: Where the streets have no name
22: With or without You
23: Beautiful Day

U2 - Las Vegas, 25.10.2023

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