Ort: Palladium, Köln
Vorband: The Sherlocks

Keane - Köln, 21.04.2024

‘Was machen eigentlich Keane’, fragte ich mich vor einigen Jahren, als wir bei einem Londonbesuch zufällig Tickets für ein Rough Trade In Store Konzert von Tom Chaplin ergatterten. Das war 2022 und der Keane Sänger hatte just sein Soloalbum Midpoint veröffentlicht. „Somewhere only we know“ spielte er seinerzeit nicht; er promotete tatsächlich nur sein Soloalbum, das er Ganze spielte. Unsere Hoffnung auf ein oder zwei Keane Klassiker blieb unerfüllt. Zum Ticket gab es das Midpoint Album auf CD dazu, ich habe sie nie gehört.

Um kurz vor 19 Uhr stehe ich im Palladium, an der Bande zwischen Dritter Reihe und Notausgang. Zuvor stand ich schon ein paar Minuten draußen in der Einlassschlange. Tatsächlich hatte ich mir gestern Abend über Ticketswap noch schnell ein Ticket für das Keane Konzert besorgt. Warum auch immer, eine richtige erklärung habe ich nicht. Wahrscheinlich scheuchte mich der bevorstehende Polizeinotruf inder ARD von der Couch auf.

Keane fand ich vor 20 Jahren mal gut. Also ich glaube, nahezu jeder mit einer Affinität zu britischer Musik fand Keane damals gut. 2003 sah ich die Band erstmals live im Vorprogramm von Starsailor direkt gegenüber im E-Werk. Damals waren die Briten kurzzeitig top, bildeten sowas wie die Schnittmenge von Travis und Coldplay und hatten mit Hopes and Fears ein wirklich tolles Debütalbum hingelegt. Die Singleauskopplungen „Somewhere only we know“, „Everybody’s changing“, „Bedshaped“, „This Is the last time“ und „Bend and break“ sind allesamt Evergreens, die auch 20 Jahre später noch funktionieren.
Diese 20 Jahre später sind auch der Anlass, warum Keane wieder etwas gemeinsam machen. Eigentlich steht die Band im Ruhemodus, sie haben zwar 2022 ein paar Konzerte gespielt und 2019 mit Cause and effect das fünfte Keane Album veröffentlicht, aber seit 2013 ist es doch sehr still um die Band geworden.

Celebrating 20 years of Hopes and Fears, so nennt sich die Tour, die Keane auf den Kontinent führt. In Köln war ursprünglich das E-Werk als Konzertlokation angedacht. Doch das war so schnell ausverkauft, dass das Konzert ins Palladium hochverlegt wurde. Und das war dann wiederum so schnell ausverkauft, dass ein zweiter Termin dazukam. Keane spielen also an zwei Abenden vor einem ausverkauften Palladium. Sagenhaft, wie ich finde. Allerdings ist der Kölner Termin der einzige Deutschlandtermin der Tour, was das Ganze dann wiederum etwas relativiert. Erst später kamen weitere open air Termine in Bonn, Berlin und Hamburg dazu. Zur Wahrheit gehört auch, dass Hopes and Fears ein wirklich gutes Album ist und wenn man Keane 2024 bitteschön nochmal sehen möchte/ sehen kann, dann doch mit genau diesem Album. Und irgendwie hatte ich auch Lust darauf. Okay, bereits ihr zweites Album Under the iron sea kenne ich schon nicht mehr, ganz zu schweigen von den späteren Sachen. Aber darum geht es an diesem Abend auch nicht. Es geht um „Somewhere only we know“ und zwei, drei weitere Songs. Es geht um eines der besten Alben der frühen 2000er Jahre.

Nach gefühlt ewiger Warterei eröffnen The Sherlocks den Abend. Die Band wird wohlwollend aufgenommen. Nach einer guten halben Stunde ist der Applaus doch viel mehr als höflich und neben mir ist sich die kleine Konzertgruppe unisono einig: ‚Ja, das war doch ganz gut. Besser als gedacht.’ Laut. de beschreibt den Auftritt so, ich möchte dem nichts hinzufügen:

Die Vorgruppe The Sherlocks klingt so routiniert wie eine Nullerjahre-Band, die mangels Ideen aber noch ordentlich Synthesizer-Kleister draufpackt. Dabei besteht die Truppe aus ein paar Twenty-Somethings, die in England mit ziemlich kommerziellem Sound schon erfolgreich in der Top Ten gelandet sind. Ein Tatbestand, der gleichwohl kein Qualitätsmerkmal darstellt. Die Zeiten, als jede noch so mittel begabte The-Band aus England parallel auf dem Festland für Euphorie sorgte, sind längst vorbei. Der klassische Keane-Fan ist Pop freilich nicht abgeneigt und nimmt den Bombast-Rock entsprechend begeistert zur Kenntnis. Die Merch-Preise der Sherlocks firmieren dazu absolut auf dem Niveau des Mainacts.

Eine halbe Stunde später betreten dann Tim Rice-Oxley (Keyboards), Richard Hughes (Schlagzeug), Jesse Quin (Bass) und Tom Chaplin die Bühne. Der Jubel ist immens gross. Die Band blieb über die letzten 20 Jahre unverändert zusammen, ich sehe also die Besetzung, die uns vor 20 Jahren Hopes and Fears einbrockte. Was mir nicht klar war: Tim Rice-Oxley ist der Hauptsongschreiber der Band. Kein Wunder also, dass Chris Martin ihn gern bei Coldplay gesehen hätte. Ein Angebot – so höre ich – lag wohl vor. Aber genauso wie Steffen Freund 1996 ein Angebot des FC Bayern abgelehnt hatte (ich lernte das morgens im Doppelpass), blieb Tim Rice-Oxley Anfang der 2000er Jahre bei Keane. Ohne ihn hätte es kein „Somewhere only we know“ oder „Everybody’s changing“ gegeben.

Beide Songs finden sich im ersten Drittel von Hopes and Fears, im Konzert spielen sie sie aber erst später. Keane sind nicht mutig genug, ihr Album in Reihenfolge zu spielen. „Somewhere only we know“, ihren größten Hit, spielen sie als letzten Song vor den Zugaben und auch sonst würfeln sie die Songreihenfolge ordentlich durcheinander. Und nicht nur das, sie mischen ferner Songs aus allen weiteren Alben hinzu, sodass schlussendlich eine Setlist entsteht, die zwar alle Songs von Hopes and Fears enthält, aber eben nicht nur.

Ich habe schon einige Albumkonzerte mit unterschiedlichen Herangehensweisen gesehen: erst das Album, dann ein paar andere Songs, oder: erst ein paar andere Songs, dann das Album, dann noch ein paar andere Songs, oder: nur das Album in Reihenfolge, oder: nur das Album, aber nicht in Reihenfolge. Eine wilde und irgendwie unsymmetrische Mischung von Albumsongs und nicht-Albumsongs kam mir dabei bisher noch nicht unter. Glaube ich.
Vielleicht haben Keane aber auch ein Konzert der Breeders und ihrer Last splash Albumtour gesehen. Die haben seinerzeit „Cannonball” als zweiten Song gespielt (so, wie auf dem Album platziert) und irgendwie war das keine gute Idee, wenn ich das Konzert in richtiger Erinnerung habe. Es ist also verständlich, warum Keane einen anderen Ansatz wählen. Ihre vermutlich besten drei Songs stehen direkt am Anfang des Albums an Position 1 und 2 („Somewhere only we know“ und „Bend and break“) sowie an Position 4 („Everybody’s changing“). Dem Konzert würde nach 20 Minuten nahezu die komplette Luft ausgehen, wenn sie die so früh raushauen würden. Durch die Aufteilung auf die gesamten 100 Minuten Konzert strecken sie den Spannungsbogen und halten das Songniveau einigermaßen gleich. Denn sind wir mal ehrlich, nach den genannten Songs und vielleicht noch ein, zwei weiteren Stücken wird es doch für nicht Keane Ultras schwierig, noch Hits zu entdecken.

Ich denke, die Band hat durch diese Art der Setlistanordnung alles richtig gemacht. Ich zumindest finde das Konzert sehr stimmig. Keane spielen im Laufe des Abends Songs von allen Alben. Mein Lieblingssong ist nach wie vor „She has no time“, sie spielen ihn eher gegen Ende des Konzertes. Bis dahin gab es Höhen und Tiefen. Nach den ersten sehr, sehr stark umjubelten Songs ist ein bisschen die Luft raus, „The way I feel“, „Sunshine“ und „You are young“ erden ein bisschen. Auch die Phase um das mit ordentlich Ibiza Beats angefütterte „Spiralling“ gefällt mir wenig. Dagegen stehen die großen Momente, die in der Zusammenfassung dann doch überwiegen: das Trio „This is the last time“, „Crystal ball“ und „Somewhere only we know“ zum Beispiel, oder „She has no time“ und das tolle „Bedshaped“.
Nachmittags hatte ich noch spöttisch behauptet, Keane hätten doch nur drei wirklich gute Songs. Ich habe jedoch drei weitere Songs vergessen, das wird mir an diesem Abend klar.

Es war ein schönes und unterhaltsames sing-a-long Konzert. Vielleicht manchmal mit etwas zu viel Pathos und Call and Response Einlagen, aber hey, Keane waren lange weg und überhaupt:

What do I know
What do I know
I know

‘I still feel very connected to the songs’ sagt Tom Chaplin in einem NME-Interview auf die alten Songs angesprochen. Ich auch, zumindest teilweise. (Erschreckend, dass ich „Somewhere only we know“ beinahe komplett mitsingen kann.)

Setlist:
01: Can’t stop now
02: Silenced by the night
03: Bend and break
04: Your eyes open
05: Nothing in my way
06: The way I feel
07: Sunshine
08: You are young
09: Everybody’s changing
10: On a day like today
11: Perfect symmetry
12: A bad dream
13: Untitled 1
14: Spiralling
15: Is it any wonder?
16: She has no time
17: This Is the last time
18: Crystal ball
19: Somewhere only we know
Zugabe:
20: We might as well be strangers
21: Sovereign Light Café
22: Bedshaped

Kontextkonzerte:
Tom Chaplin – London, 02.09.2022/ Rough Trade East
Keane – Rock am Ring 2006

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