Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: Bo Candy & his broken hearts

Ja, Panik

Nein, Gelassenheit. So hat die österreichische Band Ja, Panik ihren Onlineshop genannt. Die Aussagenverdrehungen sind dabei sicherlich bewusst gewählt, wird doch im allgemeinen Ja, Panik als Musikgruppe plus x angesehen. Neben ihren Alben veröffentlichen sie auch Literatur: ein Kochbuch und das 197 Seiten umfassendes Taschenbuch „Schriften – erster Band“, welches parallel zur vorletzten Platte DMD KIU LIDT veröffentlicht wurde.
DMD KIU LIDT war eines meiner wichtigsten Alben der letzten Jahre, das die Platte beschließende „DMD KIU LIDT“ ein ständiger Gast auf meinem IPod. 15 Minuten Abrechnung mit dem eigenen leben und dem Leben der anderen. Herrlich zynisch, wunderbar anklagend und vorwurfsvoll. Ganz dringend wollte ich Ja, Panik deswegen auf ihrer letzten Tour sehen. Blöderweise kam mir am Tag ihres Kölnkonzertes eine heftige Erkältung dazwischen, die mich an der Fahrt ins Gebäude 9 hinderte. Was ich seinerzeit verpasst hatte, sah ich wenige Tage später auf youTube. Eine wunderbare Livedarbietung von „DMD KIU LIDT“ als Zugabe. Oh Mann, was habe ich mich geärgert und was habe ich in den Wochen darauf umso mehr nach Ja, Panik Konzerten Ausschau gehalten.
Im Sommer 2012 klappte es dann im Rahmen eines Festivals: Beim schön zu lesenden, aber leider besuchertechnisch katastrophalen Lüften Festival spielten Ja, Panik in einem kleinen Vorraum der Jahrhunderthalle.
Damals traten sie noch als reine Jungsband auf, neben den heute noch zur Band gehörenden Andreas Spechtl, Sebastian Janata und Stefan Pabst zählten Christian Treppo und Thomas Schleicher zur Gruppe.

2014 ist vieles anders.
Andreas Spechtl, Sebastian Janata und Stefan Pabst bilden aktuell das Kernteam, das live durch die Keyboarderin Laura Landergott und den Gitarristen Jonas Poppe ergänzt wird. Zusammen ergibt das eine schön anzusehende Liveband. Gerade die Keyboarderin passt stilistisch sehr gut zu den ganz in schwarz gekleideten Ja, Panik Kernmitgliedern. Sie bringt ein wenig The XX Stil in die Band, was sehr gut passt, wie ich finde. Jonas Poppe stand genau auf der anderen Seite und somit nicht in meinem direkten Blickfeld, daher taucht er in dieser Beschreibung nicht weiter auf.
So wie DMD KIU LIDT ein mir sehr wichtiges Album war, so sehr habe ich bisher noch meine Schwierigkeiten mit Libertatia. War der Vorgänger schwer, und sperrig schön, so ist Libertatia eher Pop. Das klingt jetzt banal, aber gute Popmusik machen ist keineswegs banal, ich weiß. Ich höre auf Libertatia mehr Keyboards und Synthierefernzen als je zuvor bei Ja, Panik. Das öffnet der Band sicher neue Märkte. Mit ihrem deutsch-englisch kauderwelsch haben Ja, Panik zwar immer noch ein quasi Alleinstellungsmerkmal – Andreas Spechtl, der Sänger und Kopf hat auch auf Libertatia die Wörter und Sprachen fest im Griff – , ich jedoch finde das aktuelle Album (noch) nicht so schön wie DMD KIU LIDT.

„Vergiss das ganze Pipapo – von wegen high und living low – vergiss die troubles und den blues – forget your well worn worried shoes – denn ich hab Gäselistenplätze – für das allerletzte aller Fest.“

Ich könnte Unmengen von Beispielen nennen. So wie ich vor einer Woche bei Stephen Malkmus über sein textlichen Absurditäten schmunzeln konnte, bin ich hier in gleichem Maße fasziniert. Es passt einfach.

‚Guten Abend, wir sind die Gruppe Ja, Panik.‘

Ich zucke kurz zusammen. Solche Konzertansagen mag ich sonst nur nicht von Dirk von Lowtzow. Ist es schon soweit? Ist Andreas Spechtl den Lowtzow’schen Songansageorgien verfallen? Spontan kommt mir das Bild eines Duos Spechtl / Lowtzow in den Sinn. Ich versuche, es mir auf einer Bühne vorzustellen. Ich schaffe es nicht, weil ich es nicht schaffen möchte. Ein solches Duo wäre mir arg zu anstrengend anzuschauen. „Radio Libertatia“ ist gerade verklungen und „Post shakey time sadness” steht bevor, als diese Sätze fallen. Es ist der Beginn eines tollen Konzertes und Gott sei Dank die letzte dieser Art von Ansagen. Sicher hat das eine auch mit dem Anderen zu tun. Ja, Panik spielen sich hauptsächlich durch neues Material (es sind alle Songs vom aktuellen Album zu hören) und DMD KIU LIDT Kram.

Ich hatte Erwartungen, dass sie auch „DMD KIU LIDT“ spielen, Hoffnung darauf allerdings kaum. Ich dachte mir auf der Hinfahrt, dass es wohl nicht so recht passen würde. Als Ersatzdroge guckte ich mir daraufhin „Eigentlich wissen es alle“ aus. Ein großer Song, so ruhig und laut zugleich. Es ist der beste Konzertmoment und für mich definitiv der Punkt, auf den alles andere an diesem Abend hinzeigt. Mein Konzertschlüsselmoment schlechthin. Die Konzertphase davor, zwischen „Dance the ECB” und “Libertatia”, war die poppigste. „ACAB“ forderte enorm den Harmoniegesang von Pabst, Landergott und Spechtl, der neben den Keyboards hier am stärksten zu Falco-ähnlichem Sprechgesang hochfährt.
„Alles hin, hin hin“ im Anschluss an „Eigentlich wissen es alle“ und das Madagaskar-Hauptstadtlied „Antananarivo“ beenden den regulären Auftritt nach gefühlt arg kurzer Zeit. Jedoch rasch kommt die Band zurück. Also das Dreierkernteam, das diesen ersten Zugabenblock eröffnet. Zwei weitere Songs später finde ich mich damit ab, an diesem Abend auch kein „Nevermind“ zu hören. Aber, die Messe ist erst gelesen wenn die dicke Frau geschlachtet ist. Andreas Spechtl kommt nochmals allein auf die Bühne. ‚Ich spiele euch noch einen Song‘, genau: „Nevermind“. Grandios! Er allein spielt den einen Song. Aber zusammen mit Ja, Panik spielt er dann noch „Nevermore“, und dann ist wirklich Feierabend.
Ja, Panik liefern einen mehr als glorreichen Auftritt. In den letzten Tagen überlegte ich, ob ich mir nicht auch schon ein Ticket für Düsseldorf im April kaufen solle. Immer wieder sagte ich mir, warte erst noch das Konzert ab, vielleicht wird es dir ja doch zu kopflastig. Das war natürlich Quatsch, ich seh‘ euch im April!

Kontextkonzert:
Lüften! Festival – Frankfurt, 22.06.2012 / Jahrhunderthalle

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Eddie Walker

    Hi! Schöne Rezension, ein herrlicher Konzertabend. Das DMD KIU LIDT Video hab ich damals geschossen, und diesmal „Nevermind“, übrigens 2011 auch, da haben sie es mit verteilten Rollen gesungen. Bin erst vor ein paar Monaten drauf gekommen, das auch mal hochzuladen. Viel Spaß damit!

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