Ort: 013 / Cul de Sac / Clancy’s Irish Pub, Tilburg
Bands: Yuck, Mylets, Moon King, TTNG, Gang of Four, Jef Barbara, Beliefs

Wie locker aus dem Ärmel geschüttelt erschien mir das am letzten Wochenende stattgefundene Incubate Festival in Tilburg. Perfekte Clubs und Kneipen, perfekte Organisation, interessante Bands und guter Sound selbst in der kleinsten Bar.
Das Incubate ist ein Klubfestival. Bereits unter der Woche und dann am letzten Wochenende fanden in verschiedensten Kneipen, Klubs, Theatern und Kultureinrichtungen Veranstaltungen zu Musik, Film und Literatur statt. Da es hier um Musik gehen soll, und ich in den anderen beiden Sparten noch weniger Ahnung habe als von Musik, bleibt die Beschränkung auf den Konzerten. So waren für das Wochenende unter anderem I am Kloot, Eaux, Dinosaur Jr., Coco Rosie, Gang of Four, Yuck und viele andere angesetzt. Unzählige Bands also, von denen mich viel interessierte und die ich am liebsten alle gesehen hätte.
Aber hätte, hätte Fahrradkette. Von einem geplanten längeren Wochenendaufenthalt blieb zähneknirschend nur der Samstag übrig, aber auch der allein hatte es in sich. Eingeplant hatten wir TTNG, Yuck, Moon king, Willis Earl Beal, Mylets, A place to bury stranger, Gang of Four, Jef Barbara, Beliefs. Neun Bands in acht Stunden, ein volles Programm. Aber ein machbares. Machbarer wurde es einen Tag zuvor, als bekannt wurde, dass Willis Earl Beal auf den Sonntag verlegt. Schade, sein Lo-Fi Folk-Dings hätte ich mir gerne angesehen und angehört. Aber gut, so blieb Zeit, sich auch ein wenig abseits der Bühnen rumzutreiben.
Hauptveranstaltungsort ist das Tilburger Poppodium 013. Diese Art Veranstaltungszentren gibt es in jeder größeren niederländischen Stadt, und sie sind alle nach dem gleichen baulichen Konzept entwickelt. Relativ neue, sehr gut durchdachte funktionale Bauten mit meist mehr als einem Konzertraum. Dazu hochmodern und chic. Egal ob in Eindhoven, Heerlen, Njimegen oder eben in Tilburg. In solchen Orten machen Konzerte Spaß. In anderen natürlich auch, aber was Kulturzentren und Infrastrukturen angeht, scheint in den Niederlanden das richtige Geld in die richtigen Kanäle zu fließen. Nachmachen wäre eine gute Idee. Das 013, so der richtige Name des Poppodiums, sollte am Samstag TTNG, Yuck, A place to bury stranger und Gang of Four bereithalten.
Als ich pünktlich um 16 Uhr meine Tickets eintausche und mich auf die Suche zur stage 01 mache, folgt Minuten später eine ärgerliche Überraschung. TTNG hätten ihren Auftritt gecancelt, heisst es. Ein Grund wird nicht genannt. Das ist dumm, den TTNG sind einer der Gründe, warum wir uns auf den Weg nach Tilburg gemacht haben.
Aber gut, der Abend ist noch jung und auch andere Bands haben tolle Lieder. Also bleibt Zeit, die übrigen Konzertorte kurz anzuschauen. Im Cul de Sac, einer Bar mit improvisierter Bühne im hinteren Bereich, werde ich mir später noch Moon King, Jef Barbara und Beliefs ansehen – ein rein kanadischer Abend also hier – und in einem Irish Pub den Soloartisten Mylets.
Yuck

Endlich mal wieder. Yuck’s Debütalbum mag ich sehr. Ich höre es sehr oft beim Laufen im Stadtwald. Es hat diese schöne Mischung aus The Cure und Dinosaur jr. Beim Primavera Sound vor Jahren habe ich Yuck zum letzten und einzigen Mal gesehen. Seitdem ist musikalisch nicht viel passiert, wie mir ihr Auftritt in einem gut gefüllten kleinen Saal zeigte.
Yuck machen nach wie vor diesen Alternative Pop. Personell verließ Sänger Daniel Blumberg die Band, Mariko Doi (Bass), Jonny Rogoff (Schlagzeug) und Max Bloom verblieben. Letzterer übernimmt jetzt sämtliche Gesangsparts, was ich nicht unbedingt gut finde. Gerade bei den alten Yuck Songs vermisse ich die etwas markantere Nörgelstimme Blumbergs, und wenn jetzt Mariko Doi „Get away“ singt, passt das nur bedingt. Sicherlich ist der fehlende Originalgesang auch ein Grund dafür, dass Yuck mehr von der aktuellen Platte spielen. Also höre ich an diesem Abend kein „Suicide Policeman“, „Georgia“ oder „Stutter“.
Natürlich sind auch die neuen Stücke schön und indiepoptechnisch eins-a, aber sie erscheinen mir belanglos austauschbar und geraten schnell in Vergessenheit. Ich vermisse hier den aha Moment, das besondere, dass mich im Nachgang länger an dieses Yuck Konzert zurückdenken lässt. Beim Primavera war es der tranige Gesang, der hängenblieb und Yuck interessant machte; 2013 war es das nicht. Nichtsdestotrotz sind Yuck die richtige Band am richtigen Ort.
Ein schöner Einstieg in den Abend, der damit aber noch nicht sein Pulver verschossen hat.
Mylets

Quasi die Vorband von TTNG auf deren aktueller Europatour. Oh je, ich hatte Befürchtungen, dass auch sein Konzert abgesagt wird, als ich durch den Pub bis ganz nach hinten durchgehe. Die Glastür zum ‚Konzertraum‘ ist noch zu, aber – ich bin erleichtert- da hinten baut Henri Cohen gerade sein Werkzeug auf: den Drumcomputer.
Und da ist doch auch der Sänger von TTNG. Sie sind also da, warum haben sie nicht gespielt?
Eine Frage, die mir nicht beantworten werden kann. Ich habe sie aber auch niemandem gestellt, sollte ich fairerweise dazu sagen. Vielleicht ist ja jemand von den dreien krank, oder es gab andere logistische Probleme. Ach, wer weiß.
Während des Mylets Auftritts ergibt es sich, dass aus dem Publikum ein TTNG Edelfan plötzlich das Wort ergreift, und allen mitteilte, dass TTNG um seven-thirty auftreten würden. ‚Oh cool‘, sagt und denkt nicht nur Mylets. Auch ich nehme die Information freudig zur Kenntnis.
Mylets ist Solokünstler, einer dieser Loopisten. Mit der Gitarre und ganz vielen Pedalen nimmt er unentwegt Songsequenzen auf, spielt diese ab um dann darüber zu singen oder andere Gitarrendinge zu machen. In Bochum war das schon sehr beeindruckend, leider war dort sein Drumcomputer noch defekt, und kam nicht zum Einsatz. Hier und heute funktioniert das Elektrogerät einwandfrei und kommt entsprechend zusätzlich zur Gitarre zum Einsatz. Toll! Grandios! Er setzt auf die Mylet’sche Virtuosität nochmals einen drauf. Wie wild springt er zwischen seinen Pedalen hin und her, bedient den Drumcomputer, singt, spielt Gitarre. Das hat hohen Unterhaltungswert und ist überdies musikalisch wundervoll. Durch das ewige Geloope sind die Songs alle sehr lang, aber irgendwie nie langweilig. Es passiert so viel, es gibt genug Abwechslung. Und dann das: eine einzigartige Coverversion von U2’s „Zoostation“. Wofür braucht man eigentlich eine ganze Band?
Moon King
Teil eins des kanadischen Abends im Cul du Sac. Neben Moon King will ich in dieser Bar/Restaurant auch noch Jef Barbara und die ebenfalls wie Moon King aus Toronto kommenden Beliefs sehen. Unter der Woche lerne ich aus dem sehr sehenswerten Ben Affleck Film Argo, dass Toronto ‚Toronno‘ ausgesprochen wird; also ohne das ‚t‘ gegen Ende des Wortes.
Daniel Benjamin & Maddy Wilde sind die Moon King, live werden sie von einem Schlagzeuger unterstützt. In Tilburg haben sie ihren ersten kontinentaleuropäischen Auftritt. Obsession heisst ihr Debütalbum, mit Dream Pop und Shoegaze bezeichnen sie selbst ihren Musikstil.

Das Duo erinnert mich während ihres gut halbstündigen Konzertes sehr oft an die Stars. Nicht, weil ihre Musik so klingt, vielmehr liegt das am Sänger und Keyboarder Daniel Benjamin, der genauso extrovertiert daherkommz wie Torquil Campbell von den Stars und im Zusammenspiel mit seiner Partnerin Maddy Wilde ein ähnliches Minenspiel stattfindet wie bei den Duetten oder nicht-Duetten von Amy Mullen und Torquil Campbell.
Beide sind schön anzusehen. In ihren Songs lassen sie nichts anbrennen, sie erinnern sehr an Beach house oder Slowdive. Ich glaube, von dieser Band werde ich noch das ein oder andere hören. Eine irre Bühnenpräsenz, gute Songs, das ist doch das Geheimrezept, oder?
Die Moon Kings sind mir jede Minute wert und ich bin so angetan, dass ich mir ihren Auftritt in voller Länge ansehen muss, und nicht nach zwanzig Minuten zu TTNG aufbreche. Deren Konzert wird dummerweise genau in die Pause zwischen Moon King und Gang of Four gelegt, mit leichten Überlappungen zu beiden Bands.
TTNG

Ich komme just in dem Augenblick im Konzertraum an, als Henri Kohen a.k.a. Mylets zusammen mit TTNG auf der Bühne steht. Davor schnappe ich noch einige kleine Fetzen eines scheinbar sehr unterhaltsamen Bühnengesprächs auf. Mylets erzählt irgendwas, als ihn Henry Tremain unterbricht: ‚Tell them you’ve got merchandise.‘ ‚I‘ve got merchandise.‘ Das nachfolgende Gelächter ging hinüber den gemeinsamen Song. Ich glaube, der aus Amerika stammende Mylets und die Briten haben sich auf ihrer gemeinsamen Tour ordentlich angefreundet. Nun, da mir alle vier grundsympathisch und nett zu sein scheinen, ergibt das Sinn.
TTNG, noch bis vor kurzem This town needs guns machen Mathrock. So nennt man das, wenn vertrackte Gitarren auf hackeligen, melodienhaften Pop treffen. Mit Sänger Henry Tremain haben die Brüder Tim und Chris Collis im Januar ihr zweites Album 13.0.0.0.0 veröffentlicht. Ich bekomme noch eine gute halbe Stunde ihres Auftritts mit, er war genauso unterhaltsam wie vor einigen Wochen im Bochumer Bahnhof Langendreer. Mit diesen beiden Konzerten haben sich TTNG und Mylets dick in mein Musikherz gespielt. Bitte, bitte macht noch weiter viele schöne Platten!
Das Publikum ist größtenteils das gleiche wie bei Mylets. Zufall oder nicht, aber beide Künstler scheinen eine Schnittmenge zu haben, die anderen gefällt.
Gang of Four

Nach TTNG habe ich die wichtigsten Bands gesehen. Was jetzt noch kommt, ist ein wenig durchschnaufen und Zugaben. Gang of Four und Jef Barbara sind zwar interessant, aber unbedingt sehen hätte ich sie nicht müssen. Aber ein Festival macht ja auch deswegen soviel Spaß, weil man die ’nicht unbedingt sehen müssenden‘ Bands sehen kann und sich anschaut. Und Beliefs, ach ja, schauen wir dann. So die Denke im voraus.
Gang of Four sind als einzige Band im großen Saal des Poppodiums angesetzt. So irritiert uns etwas die um eine halbe Stunde nach hinten versetzte Anfangszeit, gestattet aber einen kurzen Abstecher nach draußen. Als ich gegen kurz nach halb neun den großen Saal betraten, tut sich immer noch nichts. Gang of Four, von denen ich nur das erste Album Entertainment! kenne, lassen auf sich warten.
Die Band gehört zu diesen richtungsweisenden Gruppen, auf die sich heutzutage viele Bands und Musiker beziehen. Gang of Four gründete sich 1977. Von den ersten vier Andy Gill (Gitarre), Jon King (Gesang), Hugo Burnham (Schlagzeug) und Dave Allen (Bass) ist aktuell nur noch Andy Gill Teil der Band. In Tilburg tummeln sich um ihn herum drei Jungspunde: Thomas McNeice und Mark Heaney – der übrigens auch bei den famosen Seahorses Schlagzeug spielte – kann ich ausmachen, der Sänger ist mir unbekannt. Ein übler Poser, der sehr wichtigtuerisch daherkommt.
Gegen neun Uhr wird das Publikum merklich ungeduldig, einige verlassen gar den Saal. A place to bury stranger starten just in diesem Augenblick einen Saal entfernt, es scheint, dass es viele dorthin zieht. Als Gang of Four gegen viertel nach neun die Bühne betreten, gibt es nicht nur Applaus. So eine Verspätung in einem fixen Festivalplan ist aber auch durchaus ärgerlich, erst recht, wenn sie scheinbar ohne erkennbare Not passiert. Gang of Four merken dann auch in den ersten Minuten, dass man nicht unbedingt auf sie gewartet hat. Zwar sind sie so etwas wie der Headliner des Festivalabends, wenn ich mal die Aciiiid-Party mit 808 state in der Nacht auslasse, aber anderswo gibt es auch interessante Bands zu sehen. So wird es in den ersten zwanzig Minuten sehr deutlich leerer vor der Bühne. Nachdem noch um viertel vor neun der Saal nahezu voll war, sind jetzt vielleicht noch ein Drittel der Leute da.
Aber sie spielen die richtigen Songs, gleich drei von Entertainment! in den ersten zwanzig Minuten. Das hält mich vorerst vom gehen ab. Als dann aber eine Mikrowelle als Trommel herhalten muss, verabschiede auch ich mich endgültig von den Gang of Four. Trotz der guten Songs empfinde ich beim Konzert von Anfang ein Gefühl von Schlussverkauf. Das gefiel mir nicht, und eigentlich will ich auch noch ein bisschen A place to bury strangers schauen.
Als ich in Richtung des kleinen Saals gehe, merke ich aber schnell, dass das ein unmögliches Unterfangen wird. Der Saal ist proppenvoll und es ist nicht möglich, noch hineinzukommen.
Also gehe ich direkt ins Cul de Sac und warte dort auf Jef Barbara.
Jef Barbara

Großartige Unterhaltung! Es ist eine kleine Wohltat, nach dem aufgesetzten Gang of Four Auftritt ein durch und durch sympathisch wirkendes Konzert Jef Barbaras sehen zu können. Lametta gab es im Cul de Sac zwar auch, aber es war anders.
Als ich die vorbereitenden Arbeiten zum Konzert betrachte, fällt mir als erstes der gold glitzernde Ganzkörperanzug des Sängers auf. Was wird mich denn gleich erwarten? Disco 2000? Ich hatte zwar am Morgen kurz in die Songs Barbaras hineingehört, aber ehrlich gesagt kann ich mich nur noch vage erinnern.
“Wonderfully weird pop songs brought to you by our generation’s next superstar. It’s people like Jef Barbara that give the world color. An appearance that puts a big smile on our face and he’s also packing some wonderfully weird (and f’ing catchy) pop songs. Take the charisma of George Michael and Prince, throw that through some great new-wave tracks and play those songs while driving a red Testarossa down Miami boulevards in the 80’s.”
So beschreibt es die Incubate Homepage. Und was soll ich sagen, es stimmt. Schon nach wenigen Augenblicken muss ich an Prince denken. Nach wenigen Minuten hat Jef Barbara mit seiner Einzigartigkeit die Leute in der Tasche. „Florida is the future“, heißt einer seiner Songs vom aktuellen Album Soft to the touch. Es versprüht sehr eindrucksvoll die tanzbare, varieteehafte Leichtigkeit aller Jef Barbara Songs. Er hat zwar auch zwei oder drei Begleitmusiker dabei, ob es seine Stammband ist, weiß ich jedoch nicht. Allerdings muss ich zugeben, dass ich sie kaum beachtet habe. Zu groß war das Bühnenspektakel des Sängers.
Beliefs

Jesse Crowe und Josh Korody sind Beliefs und “drinking buddies” von Moon King Sänger Daniel Benjamin, wie ich früher am Abend erfuhr. Beliefs sollte mich in die Nacht begleiten, die Kanadier sind die letzte Band, die ich auf dem Incubate sehen wollten.
Die Bühne ist fast zu klein, um die Band aufzunehmen. Zwei weitere Gitarristen und Schlagzeuger komplettieren Josh und Jesse. Nach den ersten Sekunden ist klar, Belief passen und gefallen mir sehr. Schon beim Internethören auf Spotify sagte mir alles zu, live aber war es noch eine Spur besser. Genau so muss Gitarrenmusik sein: Laut, melancholisch, vielschichtig. Und es braucht eine Frauenstimme. Und all das haben Beliefs.
“Melancholic duets and sometimes a bit of dream-pop. Shoegaze is back to stare at its own feet and let us drift off… thank you Beliefs.”
So sah ich die beste Band zum Abschluss des Tages mit dem allerbesten Nachtsoundtrack.
Kontextkonzerte:
Yuck – Primavera Sound Festival Barcelona, 28.05.2011
TTNG – Bochum, 03.09.2013 / Bahnhof Langendreer
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