Ort: Stadtgarten, Köln
Vorband:

Sophia - Köln, 19.05.2022

Sind Sophia eine der meist unterschätzten Bands der Welt? Die Frage stelle ich mir an diesem Abend nach einer halben Stunde zum ersten Mal. Und im weiteren Verlauf des Konzertes noch ein paar Mal. Am Ende der gut zwei Stunden Konzert möchte ich sie endgültig mit einem lauten ‘ja‘ beantworten.
Ja, Sophia spielen definitiv zu weit unter dem Radar. Und ich nehme mich da nicht raus. Auch ich unterschätze die Band seit vielen Jahren und schaffe es nicht, mehr als eine Platte zu besitzen. Dabei müsste ich es besser wissen. Warum? Darum:

Vor vielen Jahren trafen wir uns regelmäßig bei Konzerten, ein Grüppchen von drei, vier Leuten. Wir hatten eine gemeinsame musikalische Schnittmenge, jeder darüber hinaus aber seine eigenen Lieblingsbands. Eine Person aus unserer Gruppe stand unter anderem sehr auf die amerikanische Band Sophia und schaffte es gefühlt immer, bei Musikbesprechungen und Diskussionen den Namen Sophia und oder Robin Proper-Sheppard – Bandgründer und einziges Dauermitglied – ins Spiel zu bringen. Oder Meursault oder diese andere Band, auf deren Namen ich gerade nicht komme. Ich hörte seinerzeit die Namen Meursault und Sophia zum ersten Mal. Vorschläge, mir die Bands doch mal anzuhören oder mit auf ein Konzert zu kommen, habe ich jedoch immer wieder verschoben. Zu sehr war ich damals auf meine ‘Sachen’ fokussiert, entdeckte selbst viele neue Bands und hatte einfach nicht die Muße, über meinen Horizont hinwegzusehen. Irgendwann gab es aber kein Entkommen mehr. Ach Quatsch, irgendwann hatte ich schon Lust (und Muße), zumindest Sophia einmal live zu erleben. Es ergab sich ein Konzert in Maastricht, und so fuhren wir dahin und sahen Sophia. Natürlich war es gut, wenn nicht sogar sehr gut. Natürlich, weil Musikempfehlungen – wenn sie nicht gerade von meinen Arbeitskollegen kommen – meist ins schwarze Treffen.

Ich hätte wenig überrascht sein müssen. Ich mochte die schönen Melodien, die Songstrukturen. Allerdings passierte dann das, was mir mit vielen Bands passiert. Ich verpasste es, nach dem Konzert stärker in das Gesamtwerk einzudringen. Nun kannte ich zwar Sophia, aber ich kannte sie auch wiederum nicht. Oder wie ich seinerzeit schrieb:

Es ist wie so oft mit feinen Tipps von Freunden: Ich gehe ihnen zu selten nach und höre sie mir zu selten an.

Gut, das mit dem Song im Filmsoundtrack zu Absolute Giganten, das merkte ich mir irgendwie und als an diesem Abend Robin Proper-Sheppard im Vorlauf zu „If only“ eine kleine Anekdote vom Münchener Konzert ein, zwei Tage zuvor erzählt, erinnere ich mich an all das zurück.
In München sprach ihn nach dem Konzert ein Fan am Merchstand an: ’Ich wusste gar nicht, dass ihr so heavy seid. Ich kenne eigentlich nur ein, zwei Songs, darunter „If only”. Aber das ihr auch so laut und heavy sein könnt, dass wusste ich nicht’, entgegnete ihm ein Fan. Dann erzählte er noch, so Robin Proper-Sheppard weiter, dass Absolute Giganten sein Lieblingsfilm sei und er über den Soundtrack auf die Band aufmerksam geworden sei. Dass das Konzert dann so wild werden würde, davon sei er nicht ausgegangen.
So ähnlich ergeht es mir auch. Ich kenne nicht wirklich Songs von Sophia; ich kenne natürlich „If only” und ich kenne ein bisschen „So slow”. Mehr Songtitel kann ich allerdings nicht aufzählen. So ist es dann auch für mich etwas überraschend, als sie zeitweise mit vier Gitarren ihre Songs spielen, die dann richtig laut und heavy klingen. Hätte ich das aus Maastricht in Erinnerung haben müssen? Ich glaube nicht, denn ich habe mich im Nachgang zu wenig mit diesem Konzertbesuch beschäftigt. Hätte ich allerdings wenigstens jetzt meine alten Artikel gelesen, dann wüsste ich das alles.

Holding on / Letting go ist das aktuelle Sophia Album, dieses Konzert Teil der dazugehörigen Tour. Das Album erschien 2020, die Tour ist, so glaub’ ich, zwei- bis dreimal verschoben worden. Die Wiener Zeitung schreibt über das Album:

Der in San Diego geborene Musiker lebt derzeit in Berlin und hat eine neue Band um sich geschart, die seinem originären Mix aus Singer-Songwriter-Folk und Indierock zu einem volleren und satteren Sound verhilft. Die von ihm besungenen emotionalen Wechselbäder gibt es diesmal schnell und langsam und laut und leise. „Holding On / Letting Go“ ist das erste in voller Bandbesetzung – Jeff Townsin (Schlagzeug), Sander Verstraete (Bass), Jesse Maes (Gitarre) und Bert Vliegen (Keyboard & Synthesizer) – eingespielte Album von Sophia seit 1996 („Fixed Water“). Zusammen gelingt es der Band, Rock-Klänge, dichte elektronische Soundflächen und behutsam ins Klangbild eingebaute akustische Gitarren zu einem stimmigen Ganzen zu arrangieren.

Stücke des neuen Albums bilden einen großen Block auf der Setlist: „Strange Attractor“, „Undone. Again.“, „Alive“ oder „We see you (taking aim)“ stehen unter anderem an diesem Abend im Programm.

Robin Proper-Sheppard hat sechs Musiker mit dabei. Das sorgt nicht nur für eine vollgepackte Bühne im Stadtgarten, dass bringt auch eine enorme Dichtheit des Sounds. Schon die beiden ersten Stücke zeigen das. „Strange Attractor“ und „Undone. Again.“ sind heftig, laut und elegisch. Dazu tragen auch ein Violinist und ein Saxophonist bei. beide Instrumente werden im Verlauf des Konzerts mal weniger, mal stärker eingesetzt. Der Saxophonist hat später noch seinen besonderen Auftritt. Ein Song endet mit einem extrem langen und schmalzigen 1980er Jahre Saxofonsolo. Schrecklich und hervorragend zugleich.

Sophias Musik hat enorm viele schöne Melodien und reichlich Melancholie. Sowas finde ich ja immer toll. Ein wenig fühle ich mich an mein letztes Cigarettes after sex Konzert erinnert. Damals wurde ich überrascht von der Schönheit der Songs und fühlte mich so gut aufgehoben, als ob ich die Band und die Songs seit Jahren kennen würde. Das tat ich aber nicht, ich hörte vorher ein, zwei Songs und beschloss daraufhin, den langweiligen Tag mit einem Konzertbesuch zu beenden.
Genauso ergeht es mir an diesem Abend. Die Schönheit der Songs überwältigt mich. Sie beeindruckt mich. Ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht. Nach guten zwei Stunden ist das Konzert vorbei. Sophia spielen noch eine Zugabe, dann geht das Licht an.

Aber nicht nur ich bin von diesem Konzert sehr angetan. Nach der Zugabe lässt der Applaus einfach nicht nach. Egal, dass das Saallicht bereits aufleuchtet und die Rausschmeissermusik vom Band läuft. Aber man kennt das ja. Irgendwann hört der Applaus auf und es passiert nichts mehr. Gedanklich bin ich schon seit und stehe schon an der Tür, nur das Anziehen der Jacke hält mich noch vom Gehen ab. Gut so, denn just in diesem Augenblick kommen Sophia tatsächlich noch einmal zurück.

Fucking hell, we already changed our clothes and everything!

Die Band ist sichtlich überrascht. Ich auch. Die Musiker tragen bereits ihre after Show T-Shirts und Robin Proper-Sheppard hat schon seine Brille auf der Nase. Das merkt er aber erst nach dem Ende des ersten Songs.

Oh, my glasses. That’s not Rock’n’Roll. 

Haha. Dann spielen sie noch einen weiteren Rock’n’Roll Song, bevor der Abend endgültig zu Ende geht.

Im Herbst sind Sophia erneut unterwegs. Dann spielen sie u. a. im Zakk in Düsseldorf. Ich glaube, ich bin wieder auf einem ihrer Konzerte.

Setlist:
01: Strange Attractor
02: Undone. Again.
03: I left you
04: I’d rather
05: Alive
06: Wait
07: Birds
08: Desert song No. 2
09: Road song
10: If only
11: So slow
12: Bastards
13: Resisting
14: The River song
Zugabe 1:
15: Directionless
16: It’s easy to be lonely
17: We see you (taking aim)
Zugabe 2:
18: Ship in the sand
19: Oh my love

Kontextkonzerte:
Sophia – Bruis Festival Maastricht, 04.09.2015
Sophia – Maastricht, 23.04.2016 / Muziekgieterij

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