Ort: Muziekgieterij, Maastricht
Vorband: –

André Rieu Festspielwochen in Maastricht. Vom 03.07 bis 20.07. spielt der Musiker 12 Konzerte auf dem Vrijthof-Platz in Maastricht. Entsprechend voll ist die Stadt, Reisebusse und Menschen in Abendgarderobe prägen die Boschstraat, die von der Muziekgieterij beinahe schnurstracks zum Vrijthof führt. 12 Konzerte in einer Konzertlocation, das haben selbst dEUS zu ihren besten Zeiten nicht geschafft. Einmal spielten sie im Rahmen der The Ideal Crash Tour achtmal in Folge im Ancienne Belgique in Brüssel. Nah dran, aber eben nur nah dran. André Rieu ist dann doch eine andere und größere Hausnummer. Die Konzerte auf dem Vrijthof-Platz sind für 8000 Menschen ausgelegt.
Aber wegen André Rieu sind wir nicht in Maastricht.
dEUS spielen diesen Sommer ein paar Mal ihr Debütalbum Worst Case Scenario auf diversen Festivals in Benelux. 30 Jahre Worst Case Scenario sind ja Grund genug, mit den Albumtiteln ein paar Sommerkonzerte zu spielen. Die ersten Auftritte hat die Band bereits hinter sich, inklusive zweier try-outs in einem kleinen Club in der Nähe von Antwerpen. Geübt werden musste für die Festivalauftritte aus zweierlei Gründen. Zum einen ist Gitarrist Mauro Pawlowski aus gesundheitlichen Gründen nicht bei den Konzerten dabei und wird durch den Norweger Simen Følstad Nilsen ersetzt, und zum anderen sind auf Worst Case Scenario Songs, die dEUS seit Jahren oder besser Jahrzehnten nicht mehr live gespielt haben. Diese ersten try-outs und Festivalauftritte hatte ich verpasst. Aber an diesem Abend sind wir überpünktlich in Maastricht, sodass ich sogar das André Rieu Spektakel bei einem kurzen Abstecher in die Stadt noch miterleben konnte.
Durch die zuvor verpassten Shows von dEUS kommt dieser Termin natürlich wie gerufen. Worst Case Scenario in Gänze live, das kann ich mir nicht entgehen lassen. Schön, dass sie noch einen weiteren Clubgig eingeschoben haben. Am Wochenende dann spielen sie in Brügge das Cactus Festival sowie im August beim Lokerse Feesten und in Kortrijk beim Drift Festival. Das Salz in der Suppe und der Grund für diese weitere Übungs-Show hängt allerdings mit dieser – sehr tollen – Nachricht zusammen:
Nach den ersten Albumkonzerten kündigten dEUS im Juni überraschend noch eine zweite Personalveränderung an. Der ehemalige Gitarrist und Songschreiber Stef Kamil Carlens sei für die weiteren Albumkonzerte im Juli/August eingeplant, hieß es lapidar in einem Info-Post auf Instagram. Wow, was für ein überraschendes Statement. Und von wegen lapidar! Seit einem Vierteljahrhundert hat Stef Kamil Carlens nicht mehr mit dEUS zusammengespielt. Überdies war man Ende der 1990er Jahre nicht super freundschaftlich auseinandergegangen und dEUS wäre seinerzeit beinahe an dem Ausstieg der zweitwichtigsten Person der Band zerbrochen. (Wenn ich das so korrekt im Kopf habe.) Erst nach einigen Jahren der Pause haben dEUS danach wieder Musik gemacht. Will sagen, da kommt also nicht irgendwer für ein paar Konzerte zurück.
We zien elkaar zo’n twee keer per jaar voor een paar Karmelietjes, en laatst gingen we nog sushi eten. In december hebben we het beslist. Stef gaat deze zomer bassen en Alan (Gevaert, de vaste bassist, red.) speelt vliegende keeper. Er is genoeg tijd overgegaan zodat het voor iedereen fijn is. Het voelt juist om het nu te doen.”
Nieuwsblad.be
Nun, nach Jahrzehnten der Trennung ist es also für alle fein, wieder zusammenzuspielen. Sehr schön, super!
Nachdem sich die Nachricht rumsprach hieß es, nicht lange nachdenken, sondern Tickets zu kaufen. Das würde ratzfatz ausverkauft sein, und es war ratzfatz ausverkauft. Ursprünglich war für das try-out nur der kleine Saal der Muziekgieterij angedacht. Da passen gut 400 Leute rein. Als dann aber die Tickets binnen Stunden weg waren, entschied man sich, in den größeren Saal (1100er Kapazität) umzuziehen. Immer noch in okayer Größe, aber halt auch dreimal so groß wie der kleine Saal. Das angekündigte intime Event wurde es also nicht wirklich. Schade, aber nicht weiter tragisch. So haben eben mehr Leute die Chance, dabei zu sein. Der große Saal war dann auch zwei Tage später ausverkauft, was viel über den Stellenwert der Band in Belgien und den Niederlanden aussagt. Falls es dazu noch eine Aussage benötigt.
Ich freute mich sehr auf den Abend. Stef Kamil Carlens offensichtlich auch.
Zum einen ist Worst Case Scenario ein sehr tolles Album und zum anderen gibt es da ein paar Dinge, die ich bei meinen bisherigen dEUS Konzerten noch nicht erlebt habe. Allen voran, Tom Barman und Stef Kamil Carlens gemeinsam auf einer Bühne stehen zu sehen. Das hatte ich noch nicht. Und ich höre ein paar Sachen erstmals live oder nach längerer Zeit wieder: „Jigsaw you“, was sonst nie gespielt wird, muss an diesem Abend gespielt werden, „Hotellounge“, was ich ewig nicht mehr live gehört habe, muss gespielt werden; gleiches gilt für “Mute”, dass sie seit Jahrzehnten nicht im Set hatten. Und „Secret hell“ oder „Right as rain“ sind auch so seit Jahren nicht live gespielte Songs. Spannungspotential hat das Konzert damit allemal. Und Worst Case Scenario hat natürlich den ersten dEUS Überhit „Suds & Soda“, einer der wichtigsten Songs der 1990er Jahre. Über den schreibt die FAZ in ihrer Reihe Pop Anthologie folgendes:
….Doch der Über-Hit der belgischen Alternative-Band ist und bleibt ihre erste Single „Suds & Soda“, mit der sie sich einst auf die Suche nach einem Plattenlabel begaben. Sie ist gewissermaßen das belgische „Smells Like Teen Spirit“ – ein Song, der die Atmosphäre Mitte der neunziger Jahre einfängt, das Publikum seit jeher elektrisiert, Höhepunkt eines jeden Konzerts der Band ist. Das häufigste Wort des Songs lautet „Friday“. In den Transkriptionen des Textes wird es meist erst zum Ende hin erwähnt. Dabei ist es wie das Geigen-Motiv ein zweites stilprägendes Element der Komposition: Der erste Abend des Wochenendes wird geradezu beschworen. Es geht in dem Song ums Ausgehen, womöglich um den Moment, in dem dEUS zu dem wurden, was sie sind: eine Band, die alle Einflüsse um sich herum aufsaugte und zu konsistenten Kunstwerken verschmolz. Der Freitagabend als Initiation zum Künstlerwerden, zum Erleben von Musik, Kunst und Gemeinschaft. „Teen Spirit“ auf Antwerpisch.
Doch all diese Dinge hin oder her, das Wichtigste an diesem Abend ist das, was zum dritten Song „W.C.S.“ passiert. Stef Kamil Carlens betritt unter großem Jubel die Bühne. Das ist der Augenblick, auf den hier alle gewartet haben. Wen interessiert eine Oasis Reunion, wenn seit 25 Jahren die beiden ursprünglichen dEUS Songschreiber erstmals wieder gemeinsam auf der Bühne stehen. Oder so: mit Stef Kamil Carlens, Tom Barman und Klaas Janzoons stehen ⅗ der dEUS Urbesetzung auf der Bühne. Das gab es seit der The Ideal Crash Tour 1999 nicht mehr, nach der der damalige Schlagzeuger Jules de Borgher die Band 2003 verließ.
„Don’t look back in anger“ in Maastricht. In der belgischen Musikszene ist das ein bedeutenderer Augenblick als die Oasis Reunionkonzerte.
Stef Kamil Carlens bleibt bis zur finalen Zugabe auf der Bühne, spielt Bass und Gitarre, singt und tanzt. Er hat Spaß an seinem Auftritt, man sieht es ihm an. Zusammen mit Tom Barman hat er die ersten drei Alben der Band entscheidend mitgeprägt. Worst Case Scenario (1994), In a bar, under the sea (1996) und die EP My sister = My clock (die ich bis heute nicht ganz verstanden habe) sind sowas wie der erste musikalische dEUS Block, der sich merkbar von den folgenden Platten abhebt. The Ideal Crash, das im Anschluss an In a bar under the sea erschien, ist bereits weniger experimenteller und spürbar gitarrenlastiger und Alternative rockiger. Sicher auch ein Ergebnis dessen, dass Stef Kamil Carlens da bereits nicht mehr Teil der Band war. Alle späteren Alben setzen diese Entwicklung fort; vom ursprünglichen Krach und dem musikalischen Experimentieren der Anfangsjahre entfernen sich dEUS immer mehr. Stef Kamil Carlens dagegen knüpfte da mit seinen Bands Moondog Jr und Zita Swoon an. Musikalische Differenzen, ein Grund der Trennung.
An diesem Abend sind dEUS wieder die alten dEUS. Das Set klingt rockiger, experimenteller und musikalisch verworrener als meine bisherigen dEUS Konzerte. Bis auf „Instant street“ spielen sie nur Songs aus dieser ersten Epoche. Und sie spielen die Songs von Worst Case Scenario nicht in Reihenfolge. In meinen Augen eigentlich ein Unding für ein Albumkonzert, aber ich muss auch sagen: Natürlich spielen sie es nicht in Reihenfolge.
About the only thing wrong with dEUS‘ full-length debut is that the band put its best foot forward right at the start with the great „Suds & Soda.“ A tense, energetic rip with Klaas Janzoons‘ violin the final touch that sends everything over the top, it has all the wired energy of early-’90s rock, but with its own arty edge.
Folglich steht „Suds & Soda“ nicht am Beginn des Konzerts. Sie starten mit dem ewig nicht mehr live gespielten „Jigsaw you“, einem der besten und meist unterschätzten Songs des Albums, wie ich finde. Dann folgt der erste Hit „Via“, bevor, wie erwähnt, Stef Kamil Carlens auf die Bühne tritt. Jetzt rückt der langjährige Bassist Alan Gevaert etwas in den Hintergrund, platziert sich neben dem Schlagzeuger. Das wird auch bei den nächsten Songs immer so sein, wenn Stef Kamil Carlens Bass und nicht Gitarre spielt. Links am Bühnenrand und leicht abseits der Scheinwerfer steht die zweite Sommerneuverpflichtung, Gitarrist Simen Følstad Nilsen. Er macht seinen Job meist unbeobachtet. An diesem Abend sicherlich noch unbeobachteter als sonst, denn Stef Kamil Carlens gilt wohl die meiste Aufmerksamkeit. Es wäre ein bisschen so, als würde der BVB nach der ersten großen Verpflichtung Jobe Bellinghams jetzt noch Jadon Sancho zurückholen. Das Scheinwerferlicht würde neu justiert. So ähnlich ist es auch hier.
Zu „Secret hell“ und „Right as rain“ setzen sich die beiden ‘Bandleader’ auf Hocker, das vorher eher wilde dEUS Konzert wird jetzt etwas ruhiger. Kurzzeitig. „Mute“ mit seinem irren Finale schwenkt im Anschluss wieder in die andere Richtung. Das lang nicht live gehörte „Hotellounge (be the death of me)“ läutet langsam aber sicher das Finale ein. Nach einer guten Stunde folgt das belgische „Smells like teen spirit“, „Suds & Soda“. dEUS spielen es gar nicht so extrovertiert wie von mir erwartet, aber doch leicht anders, als ich es live in Erinnerung habe. Vielleicht irre ich auch und bin nur abgelenkt durch die ungewohnten Tanzmoves von Stef Kamil Carlens. Ich bilde mir aber ein, dass er dem Song nochmal eine ganz andere Note verleiht.
Zum Abschluss bleiben sie dem Album treu. Mit dem letzten Song des Albums verabschieden sich dEUS in Richtung Zugaben. „For the roses“ und „Fell off the floor, man“ vom Worst Case Scenario Nachfolger In a bar, under the sea sowie „Instant street“ runden die 1990er Jahre ab. Beim letzten Song steht Stef Kamil Carlens nicht mehr mit auf der Bühne. Das macht Sinn. Als der Song geschrieben wurde, war er schon raus aus dEUS.
Sinniger wäre es da vielleicht gewesen, wenn sie stattdessen „Song for a jacket“ gespielt hätten. Aber na ja, ich kann nicht alles haben.
Setlist:
01: Jigsaw you
02: Via
03: W.C.S. (First draft)
04: Morticiachair
05: Secret hell
06: Right as rain
07: Mute
08: Shake your hip
09: Great American Nude
10: Let’s get lost
11: Hotellounge (be the death of me)
12: Suds & Soda
13: Divebomb Djingle
Zugabe I:
14: For the roses
15: Fell off the floor, man
Zugabe II:
16: Instant Street
Kontextkonzerte:
dEUS – Maastricht, 13.04.2023 / Muziekgieterij
dEUS – Rock Herk Festival, 16.07.2022
dEUS – Leuven Air Festival, 21.08.2021
dEUS – Brüssel, 25.05.2019 / AB
dEUS – Luxemburg, 18.05.2019 / Den Atelier
dEUS – Köln, 06.05.2019 / Gloria
dEUS – Antwerpen, 10.02.2017 / Lotto Arena
dEUS – Gent Jazz Festival, 16.07.2016
dEUS – Ostende, 12.12.2015 / Kursaal
dEUS – PIASNites Festival Brüssel, 15.03.2014
dEUS – Köln, 28.11.2011 / Live Music Hall
dEUS – Köln, 11.10.2008 / Live Music Hall
dEUS – Melt! Festival, 18.07.2008
dEUS – Köln, 14.04.2008 / Kulturkirche Nippes