Ort: Kursaal, Ostende
Vorband: –
Konzerte von Lieblingsbands sind etwas Besonderes. Klar, möchte jeder sagen, natürlich sind sie das, es sind ja schließlich Lieblingsbands. Wenn einem solchen Konzert nichts Besonderes anhaften würde, welchem denn dann! dEUS ist eine meiner allerliebsten Lieblingsbands, seit Jahren schon bin ich großer Fan der Belgier. Einige Konzerte habe ich über die Jahre schon gesehen, gefühlt aber immer noch zu wenige.
Auf die aktuelle Soft Electric Tour bin ich trotzdem nur durch einen ganz großen Zufall gestoßen. Eigentlich unverständlich, mag man meinen, Aktivitäten von Lieblingsbands sollte man doch in und auswendig kennen. Sollte man sicherlich auch, ich jedoch nicht.
Im sozialen Netzwerk stolperte ich über einen Satz, der vor Wochen dort geschrieben wurde und in etwa wie folgt lautete:
Auf der aktuellen Tour spielen sie leider nicht „Disappointed in the sun“.
Wie aktuelle Tour? Das hatte mir niemand gesagt und zwei Klicks weiter las ich auf der dEUS Homepage die Termine. Hinter vielen – und auch gerade hinter den erreichbaren – stand bereits ein ausverkauft. Verflucht! da abonniere ich Newsletter von Hinz und Kunz, aber das war mir total entgangen. ‘Na gut, dann eben nicht‘ dachte ich relativ cool. Aber so richtig los ließ mich der Gedanken nicht, denn es gab da einen Termin, der passte zwar nicht, war aber irgendwie möglich. Der Kursaal in Ostende war noch nicht ausverkauft, und Ostende fahrttechnisch machbar.
Was macht denn den Unterschied zwischen Lieblingsbandkonzerten und anderen Konzerten aus?
Antwort 1: Man fährt zu absurden Konzertorten.
Trotzdem entschied ich erstmal, ‘nein, das geht nicht‘. Zwar lag der Konzerttermin auf einem Samstag, aber die Tage Drumherum waren schon sehr voll und der Gedanke daran, alleine zur Nordsee zu fahren, machte mir nicht wirklich Spaß. Und so verging die Zeit. Allerdings ertappte ich mich oft dabei, wie ich mich immer mal wieder und immer mehr für dEUS interessierte. Ich schaute Videos, hörte CDs. Es schien ganz so, als ließe mich die Sache nicht so recht los. Ein paar Tage vor dem Konzerttermin war es dann soweit. In einer schwachen Sekunde entschied ich, nochmal nach Tickets zu schauen. Wenn es noch welche gäbe, so der Plan, würde ich kaufen. Eine Schicksalsentscheidung also, die ich in solchen Momenten gerne als Problemlöser ansetze. Fünf Minuten später ratterte der Drucker und spuckte die Kartenbestellung aus.
Was macht denn den Unterschied zwischen Lieblingsbandkonzerten und anderen Konzerten aus?
Antwort 2: Konzertankündigungen lassen einen nicht kalt.
Ostende. Seebad. Ein Ausflug an die Nordsee im Herbst ist doch toll. So redete ich mir die Autofahrt schön. Es klang einfach: Samstagvormittag hin, nachmittags Seeluft, abends Kursaal, Sonntagmorgen Seeluft, Sonntagnachmittag zurück. Und natürlich funktionierte alles wie geschmiert, R.E.M. lieferten überdies den perfekten Autobahnsoundtrack. Ostende empfing mich freundlich. Alles roch nach einem wunderbaren Wochenende.
Es war nicht nötig, viel früher als zu Konzertbeginn am Ostender Kursaal zu sein. Das Konzert war bestuhlt, die Sesselsitze und Tickets nummeriert. Der Kursaal ist, wie fast alles an der Strandpromenade Ostendes, aus grauem Beton. Eine bedingte Schönheit. In beiden Weltkriegen wurde das Gebäude wegen militärischer Nutzung zwar stark beschädigt, aber später nicht komplett abgerissen und neu gebaut, so lese ich das irgendwo. Ist seine Schönheit von außen nicht zu erkennen, so ist das Gebäude im Innern ein augenschmeichelnder Zweckbau. Breite Treppen führen aus dem Eingangsbereich in die Saallobby, roter Teppich und eine Vielzahl von Sitzgelegenheiten sorgen für ein ruhiges und bequemes Ambiente. Hier konnte ich den Tag sacken lassen, die Anfahrt, und all das. Hier wuchs die Vorfreude auf das Konzert nochmal um einiges an.
Was macht denn den Unterschied zwischen Lieblingsbandkonzerten und anderen Konzerten aus?
Antwort 3: Man ist den ganzen Tag vorfreudig nervös.
dEUS lassen auf sich warten. Pünktlich um 20 Uhr waren wir im Konzertsaal, pünktlich um kurz nach 21 Uhr betraten Tom Barman, Mauro Pawlowski, Klaas Janzoons, Stéphane Misseghers und Alan Gevaert die Bühne. Arrogantes Gehabe, würde ich andernfalls sagen, aber hier war es eher die gute Gelegenheit, die Getränkejetons zeitig an der Bar einzutauschen und noch ein bisschen das Ambiente zu genießen und die Spannung aufrechtzuerhalten.
Was macht denn den Unterschied zwischen Lieblingsbandkonzerten und anderen Konzerten aus?
Antwort 4: Vieles ist egal und wird verziehen.
„Wake me up before i sleep“. Ein passender Beginner nach einer Stunde abhängen im bequemen Kursaalsessel. Soft Electric Tour, das hieß nicht Akustikkonzerte, aber es bedeutet eine deutlich ruhigere und reduziertere Songinterpretation und passende Songauswahlen. Auf die ganz großen Knaller und dynamischen Sachen wie „Instant street“ oder „Suds & Soda“ wurde verzichtet, stattdessen kamen die ruhigen Sachen ins Programm. Nahezu ausnahmslos. „Right as rain“, „Serpentine“, „7 days, 7 weeks“. Zwar wurde es manchmal etwas lauter („Dream Sequence 1“), aber der Lärmbogen wurde nie überspannt. Ein untypisches dEUS Konzert daher. Das allerdings führte schönerweise dazu, dass der rote Faden, die Idee dieser Soft Electric Tour, zu jeder Zeit erkennbar blieb: ruhige Songs in einem mittelruhigen und ruhigen Ambiente vorzuspielen. Passend zur Weihnachtszeit also Besinnlichkeit und Entschleunigung. Für uns als Zuhörer natürlich der perfekte Soundtrack zum wegdimmern und träumen.
Das Konzert lief sehr gut. Alles war perfekt, die Stimmung, das Ambiente, die flämischen Ansagen von Tom Barmann. Und dann kam „Magdalena“ und es wurde perfekter.
Auf The Ideal crash geht mir das Stück zwischen „Sister drew“, „The magic hour“, „The ideal crash“ und „Instant street“ ein bisschen unter. An diesem Abend verzückte es mich mit einer Gänsehaut und war zum heulen schön. Mein lieber Scholli, ein Hammervortrag! Nach „Magdalena“ war der Abend eigentlich gelaufen. Viel schöner konnte es nicht mehr werden. „Right as rain“ im Anschluss hielt den Level jedoch hoch. Dieser Song von Worst case scenario, wie lange hatte ich ihn nicht gehört? Wie toll er doch klingt!
Ich schaute etwas umher. Im Kursaal waren bis auf ein paar Plätze auf dem Balkon rechts alle Sessel belegt. Die Stimmung war entspannt und freudig. Tom Barman sprach zwischen den Songs immer mal wieder ein paar Sätze zum Publikum, deutete auf den ein oder anderen in den vorderen Reihen. Da ich jedoch kein flämisch verstehe, verstand ich nur Bahnhof. Waren das Freunde, Verwandte oder fremde Menschen? Egal. Ich schaute weiter. Mauro Pawlowski sah ich erst vor einigen Tagen mit seiner früheren Band Evil Superstars. Wild war das, und laut. Jetzt saß er ganz entspannt die meiste Zeit auf einem Hocker und spielte besonnen die elektrische Gitarre. Was für ein Kontrast. Egal. Ich dachte über dEUS nach. Wie lange ich diese Band schon mag, wie sehr ich ihre Songs verehre. Vor 21 Jahren kaufte ich mir die absurd klingende LP My Sister = My Clock, damit fing es an. Songstücken, absurde Klangmomente, kaum ein Fetzen länger als zwei Minuten. Ein merkwürdiges Album. Kurz danach besorgte ich mir das Debütalbum Worst case scenario. Wow! „Suds & Soda“, „Via“, „Hotellounge (be the death of me)“. Welthits zum Einstieg und zum besseren kennenlernen. Das gefiel mir schon besser, das Album war zugänglicher und blieb lange mein Nachmittagssoundtrack. Mein Lieblingslieder waren immer die Grower, diese Songs, die erst peu a peu ihre wahre Schönheit präsentieren: „For the Roses“ war der erste, auf allen nachfolgenden Alben gab es dann immer mindestens einen. „Instant street“, „Bad timing“, „When she comes down“.
Und nun sitze ich hier und vergöttere Songs, die sonst ein bisschen untergehen. Es ist unbeschreiblich und ein wenig surreal. Aber ich vermisse die Hits nicht.
Im normalen Leben ist „Bad timing“ einer dieser Grower-Songs, die keine andere Band so gut beherrscht wie dEUS. An diesem Abend ist es der einzige Song, der extra für die Soft Electric Tour umarrangiert wurde. Nur mit Akustikgitarren versehen bekommt „Bad timing“ einen Tonfall, der so weit weg vom Original ist wie möglich und gleichzeitig doch so nah dran ist am Original wie der Kursaal an der Strandpromenade. „Bad timing“ war für mich unangefochten das zweitbeste Lied des Abends und eine riesengroße Überraschung.
Was macht denn den Unterschied zwischen Lieblingsbandkonzerten und anderen Konzerten aus?
Antwort 5: Es gibt besondere Momente.
Dieses Konzert hatte viele besondere Momente. Mit „Nothing really ends“ endete das reguläre Set nach einer guten Stunde viel zu früh. Von jedem Album haben dEUS mindestens einen Song gespielt. Es war eine kleine Werkschau der besonderen Art. Ohne Best-of Charakter, aber dafür in sich enorm stimmig und gut ausgesucht. Es war ein Vorspielen der ruhigen, kleinen Songs aller dEUS Epochen. (Und damit irgendwie doch ein Best-of Konzert).
Aber wo waren „Little arithmetic“, „Hotellounge“ oder „Disappointed in the sun“? Alle drei hätten verdammt gut in diesen Abend gepasst. Sie waren nicht da, das war ein bisschen schade. Doch unter uns gesagt: so viel schlechter sind „Constant now“, „Eternal Woman“ und „The magic hour“ auch nicht. Oder „Secret hell“. Ein Wahnsinnsvortrag!
Nach dem Konzert schlendere ich noch ein bisschen durch die Stadt zurück zum Hotel. War der Tag bis hierhin zwar lang und anstrengend, die Müdigkeit stellt sich nicht ein. Zurück zum Hotel? Jetzt noch nicht. An einer Bar/Restaurant in der Fußgängerzone steht die Band mit Freunden und Bekannten umher. Niemand scheint sie zu beachten. ‘Ah, dachte ich, also doch Freunde im Publikum‘. Ich guckte mir die Menschentraube kurz an, überlegte, noch ein Getränk zu holen, ging dann aber weiter.
Was macht denn den Unterschied zwischen Lieblingsbandkonzerten und anderen Konzerten aus?
Antwort 6: Man braucht einiges an Zeit, um sich von dem Konzert einer Lieblingsband zu erholen.
Setlist:
01: Wake me up before I sleep
02: The Real Sugar
03: Eternal Woman
04: Include me out
05: Magdalena
06: Right as rain
07: Nothings
08: Constant now
09: 7 Days, 7 Weeks
10: Sirens
11: Secret hell
12: Smokers reflect
13: The Magic Hour
14: Nothing really ends
Zugabe I:
15: Bad Timing
16: Serpentine
Zugabe II:
17: Dream Sequence #1
Kontextkonzert:
dEUS – PIAS Nites Festival Brüssel, 15.03.2014
dEUS – Köln, 28.11.2011 Live Music Hall
dEUS – Köln, 11.10.2008 Live Music Hall
dEUS – Melt! Festival, 18.07.2008
dEUS – Köln, 14.04.2008 Kulturkirche Nippes
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