Ort: Luxor, Köln
Vorband:

Built to Spill

Ich hatte kein gutes Gefühl, als ich am frühen Abend in den Zug in Richtung Köln stieg. Einige Minuten zuvor hatte ich eine kleine Diskussion darüber, ob es gut, schlecht, richtig oder falsch sei, an diesem Abend ein Konzert zu besuchen. ‚Es wird sicherlich eine komische Stimmung herrschen, jeder wird an Paris denken‘ so das Argument, dass mich in meiner ursprünglichen Entscheidung, Destroyer anzusehen, wanken ließ. Und mehr als das.
Den Tag über hatte ich mir ehrlich gesagt sehr wenige Gedanken darüber gemacht und es überhaupt nicht in Frage gestellt, den heutigen Abend wie geplant zu bestreitet. Schon vor Wochen kaufte ich mir ein Ticket für das Konzert, ich freute mich richtig darauf, das vermeidlich beste Album des Jahres Poison season live präsentiert zu bekommen. Die Band um Dan Bejar, der vor circa einem Jahr mit den New Pornographers im Luxor auftrat, ist sowas wie die Band der Stunde für mich. Poison season höre ich rauf und runter. Es war somit keines dieser Konzerte, die man gerne mal ausfällen lässt, weil man zu müde, zu lustlos oder zu was-auch-immer ist. Nein, Destroyer wollte ich sehen.
Bis zu der Unterhaltung kurz vor meiner geplanten Abfahrt stand dieser Plan unumstößlich. Eine gute halbe Stunde später stand er nicht mehr. Er war kurz vor dem umfallen. Ich hatte im Laufe des Gesprächs viele gute Gründe gehört, nicht hinzugehen, natürlich auch ein paar, doch hinzugehen. Aber die anderen Gründe schienen mir plausibler. Ich fühlte mich nicht unsicher, dazu sah ich keinen Anlaß, aber ich war verunsichert. Dass ich mich nach einigen alleinigen Überlegungen dann doch dazu entschied, hinzugehen, steht jedweder rationalen Erklärung. Ich habe mein Gefühl entscheiden lassen. Irgendwann sagte es mir, ‚geh‘ hin‘.

Noch einigermaßen rechtzeitig entschied ich mich dafür, loszufahren, so dass ich zur Punktlandung fünf Minuten vor Konzertbeginn am Luxor ankam. Die Vorgruppe hatte ich zwar verpasst, aber in letzter Zeit verpasse ich Vorgruppen häufiger. Immer noch mit komischem Gefühl im Magen betrat ich das Luxor. So ganz konnte ich es auf der Zugfahrt nicht loswerden. Ist das wirklich okay, was ich hier mache? Ich hatte mir zwar die Antwort darauf schon gegeben, aber trotzdem war ich immer noch unsicher.
Zu meiner Überraschung war das Luxor rappelvoll. Ich hätte vielmehr ein paar Hände voll Leute erwartet, die – genauso wie ich – nicht so recht wussten, was sie hier sollten, aber trotzdem da waren. So war es aber nicht, es war eigentlich wie immer: die Stimmung gut, die Leute angeheitert. Ein scheinbar normaler Samstagabend in einem Klub.
Ich fand das irritierend und beruhigend zugleich. Mein komisches Gefühl im Magen wurde kleiner. Ganz verschwand es aber erst, als Destroyer auf die Bühne kamen und ihren ersten Song spielten. „Bangkok“, mein liebstes Lied der aktuellen Platte. Ich mag diesen Song sehr. Ich mag es, wenn um Minute 2:30 das easy listening-hafte Klavier einsetzt, wenn die Band langsam teilnimmt und das Stück vollständig entfächert. „Bangkok“ versetzte mir vom ersten Augenblick an, in dem ich es erkannte, eine Gänsehaut. Es war so, als ob in diesen Minuten alles zusammenkam, was mich an diesem Tag beschäftigt hat, was ich gesehen und gehört habe. „Bangkok“ war großartig und ich war unendlich froh, es live zu hören. Es tat gut und es wurde mir in diesen Minuten klar, dass es richtig war, hier hinzugehen.

Dan Bejar steht wie ein alter Mann auf der Bühne. Dabei ist er gar nicht alt. Gerade mal ein Jahr jünger als ich. Seine Bewegungen sind kontrolliert, mit dem linken Arm stützt er sich auf einem eingeschobenen Mikrofonständer ab wie auf einem Gehstock. Seine Augen blicken dabei suchend ins Publikum. Er dirigiert seine siebenköpfige Band ohne Dirigent zu sein. Eine Rampensau ist er wahrhaftig nicht. Bis auf das Saxophon (oh, das Saxophon war toll!) und die Trompete stehen oder sitzen die Musiker hinter ihm. Das Schlagzeug, die Gitarre, der Bass und das Keyboard. Die Bühne des Luxors war voll.
Destroyer spielten fiel vom neuen Album. Und sie spielten die beiden Übersongs des letzten Albums Kaputt: „Chinatown“ und „Kaputt“. Da dies auch die beiden einzigen Alben sind, die ich von Destroyer im CD-Schrank stehen habe, kannte ich somit alles. Mit Kaputt hatte ich bis dato so meine Schwierigkeiten, die beiden Hits des Albums waren die einzigen Stücke, die ich wirklich oft gehört hatte. Sie jetzt hier live im quasi Orchesterverbund zu erleben, war traumhaft. Sie swingten förmlich dahin, passten gut zu den Stücken von Poison season, die eine schöne Verquickung von Jazz, Swing, Easy listening, 70s Rock und Pop sind. Und ganz viel Saxophon und Trompete beinhalten. Aber nicht zu viel. Saxophon und Popmusik sind ein schmaler Grad. Destroyer überreizen ihn aber nicht.
Ich überlege die ganze Zeit, mit welchem Begriff ich die Musik Destroyers belegen könnte. Und tags drauf lese ich es dann im schlauen Kölner Stadtanzeiger: Yacht Rock. Ja richtig, Yacht Rock passt zu hundert Prozent.
Ich hatte vor einigen Monaten eine Klaus Fiehe Radiosendung gehört, in der er dem Genre Yacht Rock, den Begriff hatte ich bis dahin überhaupt noch nie gehört, eine volle Stunde widmete. Eine der schönsten Radiostunden der letzten Monate. Irgendwo muss ich auch noch den Zettel liegen haben, auf dem ich mir damals die Bandnamen und Songs notiert hatte, die mir besonders gut gefielen. Yacht Rock. Kann man mal hören.
Erst recht, wenn es von Destroyer live dargeboten wird. „Midnight meet the rain“, „Poor love“ oder das direkt nach „Bangkok“ angesetzte „Forces from above“ verzauberten den Abend. Sie sind die Hauptverantwortlichen für einen sehr tanzbaren, aber auch für einen melancholisch träumerischen und zuweilen in den free Jazz abgleitenden Konzertabend. Den Jazz entdecke ich ja gerade ein bisschen, daher gefällt es mir derzeit sehr, wenn das Saxophon sich in den einzelnen Stücken so schön durchsetzen kann wie bei Destroyer. Das Konzert entwickelte sich zu einer luftig-leichten Angelegenheit, die Melodien schwebten samtweich durch die Luft. Mit einem Wort, es war schön, Destroyer zuzuhören.

Poison season ist eines meiner drei Alben des Jahres, dieses Konzert war eines meiner Konzerte des Jahres.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Nebbich

    Mir steht mein erstes Destroyer-Konzert noch bevor (20.06.16) – vielen Dank für diese nachvollziehbare Konzertbeschreibung.
    Mit einem halben Jahr Abstand sind deine Gründe, eventuell NICHT zu diesem Konzert zu gehen, allerdings überhaupt nicht mehr nachzuvollziehen – geht’s dir da ähnlich?

    hier:
    „das vermeidlich beste Album des Jahres Poison season“

    war wohl etwas anderes gemeint – und das dort:

    „Dass ich mich nach einigen alleinigen Überlegungen dann doch dazu entschied, hinzugehen, steht jedweder rationalen Erklärung.“
    ergibt für Außenstehende wenig Sinn; fehlt da ein Wort…?

    ansonsten: ich freu mich darauf

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