Ort: Lanxess-Arena, Köln
Vorband: Bree Runway
Also Lizzo.
R’n’B, Rap, Gospel, Soul. Ich bin nicht der ganz große Fan dieser Musikrichtungen, höre aber ab und an ganz gerne ein paar Songs und Platten. Oder ich besuche Konzerte. Ja, ich sympathisiere mit diesen Musikgenres. Jay-Z, Solange, Kelela, Celeste oder jüngst beim Le Guess Who Festival Liv.e, es macht mir Spaß, meine langjährige Gitarrenindierockmusik-Blase zu verlassen und mich anderswo umzuhören. Mit Jazz geht es mir seit Jahren ähnlich und im letzten Jahr besuchte ich erstmals Minimal Music Konzerte. Auch nicht übel, sag ich mal. Mit Lizzo ist das so. Als sie vor einigen Jahren nachts auf dem Primavera Sound Festival auf einer der kleineren Bühnen spielte, wollte ich sie schon gesehen haben. Spannend und interessant fand ich damals den Ankündigungstext im Programmheft und obwohl ich musikalisch keinen richtigen Schimmer hatte, was Lizzo nun genau macht (R’n’B, Rap ist ja ein weites Feld), hatte ich Lust auf dieses Konzert. Aber dann schaffte ich es aus dem Grund Müdigkeit leider doch nicht. Der Name Lizzo blieb jedoch in meinem Kopf hängen.
Im Vorfeld ihrer aktuellen Europatour surfte ich ein bisschen durchs Internet und bemerkte, dass nicht alle ihre Konzerte ausverkauft sind. Etwas erstaunt klickte ich mich durch den Kölner Ticketvorverkauf und als ich bemerkte, dass es günstige Stehplatztickets zu kaufen gab, kam ich ins Grübeln. Nach kurzer, dreistündiger Nachdenkzeit schlug ich zu. 50 Euro fand ich okay. Und ich habe am Montagabend noch nichts anderes vor. Die Gegenargumente sind in der Minderheit.
Was mich erwartet, weiß ich nicht genau. Eine große Show, hoffe ich, eine sehr große Show.
Als Bree Runway (‘I say Bree, you say Runway’) die Bühne betritt, stehe ich im Innenraum. Ich blicke mich um: Die Oberränge sind komplett verschlossen, um mich herum ist gemütlich viel Platz. Stressig im Sinne von vollem Innenraum wird es heute Abend nicht. Sehr gut, das kommt mir gelegen.
Bree Runway erzählt fast mehr, als sie singt, äh rappt. Musikalisch passt ihre Mischmasch aus R’n’B, Rap und Pop gut zur nachfolgenden Lizzo Show. Acht Songs stehen auf ihrer Setlist, überraschenderweise kenne ich vielleicht einen. „Gucci“ klingt mir vertraut, unter Umständen verwechsle ich den Song aber auch mit einem anderen Hit. Ich bin mir nicht sicher. Egal. Definitiv kenne ich das Cover, das Bree Runway – ‘I say Bree, you say Runway’, dieses call and response Ding funktioniert tatsächlich nach jedem Song – in ihr Set eingebaut hat: „Paparazzi“ von Lady Gaga.
Nach 40 Minuten verlässt sie die Bühne. Es folgt die Reinigungspause; Umbaupause wäre der falsche Begriff, ab- oder umgebaut werden muss nichts. Das Lizzo Equipment steht bereits fix und fertig installiert hinter einem großen schwarzen Vorhang, der die Bühne im hinteren Teil abdeckt. So läuft nur jemand mit einem Staubsauger über den in den Saal hineinragenden Bühnensteg, um – ja, um was eigentlich? – den letzten Staub wegzusaugen? Find’ ich interessant. Ein spaßiges Intermezzo, das alsbald von den ersten Klängen von „The sign“ abgelöst wird. „The sign“ ist ein toller Opener. Und es ist der erste Song des aktuellen Albums Special. Auch Lizzo hält sich an das ungeschriebene Gesetz, ein Konzert mit dem ersten Song des aktuellen Albums zu eröffnen.
Hi, motherfucker, did you miss me?
Die erste Textzeile passt perfekt, und da der Song ein schöner Tanzflächenfüller ist, tanzt der komplette Innenraum. So habe ich mir das gedacht. Der Abend kann jetzt nur noch gut werden. Die Stimmung ist gut und sie ist besonders.
Hallenkonzerte können manchmal kühl, distanziert und seelenlos wirken. Lizzo und Kolleginnen gelingt es nach wenigen Minuten, das alles nicht entstehen zu lassen. Ich fühle mich nicht weit weg, obwohl ich die billigste und von der Bühne am weitesten entfernte Platzkategorie gebucht habe. Ich fühle mich nicht verloren, obwohl um mich herum genug Komfortzone war, ich fühle mich vielmehr mittendrin in einer großen R’n’B ‘Love you like you are, you are beautiful’ Sause, die eine so positive Stimmung verbreitet, dass es unmöglich ist, nicht mitgenommen zu werden.
Das Konzert ist gut, unterhaltsam. Irgendwann taucht Cardi B. zu einem Hybrid-Duett auf der Leinwand auf und in den Song „Coldplay“ hat Lizzo Samples von „Yellow“ eingebaut. Die Show ist top, der Sound ist top.
Und sonst? Der Kölner Stadtanzeiger stellt fest:
Vor gut drei Jahren, als sie zuletzt in Köln spielte, war es noch im Palladium und die Musik kam vom Band. Heute steht sie mit einer vierköpfigen Frauenband, einer DJ und zehn Tänzerinnen mit den unterschiedlichsten Körpern auf der Bühne. So viele Dellen und Röllchen sieht man selten auf einer Bühne. Und man muss sich tatsächlich erst daran gewöhnen. Einfach, weil es so ungewohnt ist, weil hier niemand den Bauch einzieht, unsicher wirkt. In der Werbung, in Filmen, in Musikvideos werden wir mit einem Schönheitsideal konfrontiert, das die meisten nicht mal im Ansatz erfüllen können. Lizzos Tänzerinnen sind größtenteils dick, aber es kümmert niemanden. Sie begeistern trotzdem mit einer unglaublichen Ausdauer, Ausstrahlung und Beweglichkeit. Warum auch nicht? Lizzo selbst trägt glitzernde, hautenge Outfits, twerkt selbstbewusst und wirbelt über die Bühne.
Rassismus, Misogynie und Fat-Feindlichkeit branden der Sängerin gerade im Internet ständig entgegen. Menschen glauben, ihr Aussehen, ihre vielen Fotos mit nackter Haut kommentieren zu dürfen. Ihr ist das egal. Sie lebt Diversität und hängt sich in der Arena eine Pride-Flagge um als Zeichen ihres Supports der queeren Community. Es ist eben nicht nur egal, wie du aussiehst, sondern auch, wen du liebst.
Es war emotional, es war schrill, es war R’n’B, es war Soul, es war dancy, es war schön. Es war anders als andere Konzerte dieser Art. Lizzo erscheint nahbarer.
Setlist:
01: The Sign
02: 2 be loved (am I ready)
03: Soulmate
04: Phone/Grrrls
05: Tempo
06: Rumors
07: Fitness
08: Scuse me
09: Naked
10: Jerome
11: Break up twice
12: Special
13: Like a girl
14: Birthday Girl
15: Everybody’s gay
16: Water me
17: Cuz I love you
18: If you love me
19: Coldplay
20: Truth hurts
21: I love you bitch
22: Good as Hell
Zugabe:
23: Juice
24: About damn time
Kontextkonzerte:
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