Ort: Lanxess Arena, Köln
Vorband: Deeper

Depeche Mode - Köln, 05.04.2024

‘Yeahh Deuschländ’, der Deeper Sänger ist guter Dinge. Deeper spielen ziemlich genau eine halbe Stunde ihren erfrischenden, modernen Post-Punk und ich frage mich, was sie so denken, wenn sie in die ersten Reihen blicken. Deeper machen definitiv das Beste aus ihrem Opener Slot vor den in wenigen Minuten auftretenden Depeche Mode. Soweit ich das von hier oben sehen kann, denn ich sehe nur den Rücken von Sänger und Gitarrist Nic Gohl. Ich denke, das Interessanteste des Abends liegt nun hinter mir.
In den letzten zwei Jahren habe ich durch mehrere unglückliche Umstände (Wetter, keine Zeit) alle Deeper Konzerte in der näheren Umgebung verpasst und so war es mir wichtig, die Band an diesem Abend konzentrierter zu beobachten. Mir gefällt das, aber ich fürchte, ich bin nahezu der Einzige, der die Band aus Chicago bewusst wahrnimmt. Denn gleich spielen Depeche Mode. Anderes Musikgenre, andere Liga. Und ich als Depeche Mode Fan könnte einer Vorband nicht meine volle Aufmerksamkeit schenken. Ich wäre viel zu aufgedreht und viel zu angespannt, als dass ich das Vorprogramm genießen könnte. So geht es mir, wenn ich mir wichtige Bands sehe. Dann bin ich in Gedanken schon viel weiter und mit reiner Vorfreude beschäftigt. An diesem Abend bin ich das nicht, meine Aufmerksamkeit gehört in diesem Augenblick Deeper.

Ich bin kein sehr großer Depeche Mode Fan, Depeche Mode sind mir nicht superwichtig. Als damals alle enthusiastisch ins Kino rannten, um den Dokumentarfilm 101 zu sehen, war ich mehr Mitläufer als Antreiber. Und als Terry Hoax „Policy of Truth“ coverten, fand ich ihre Version spannender als das Original. So richtig Depeche Mode Fan war ich eigentlich nur während der Olympischen Spiele 1984. Ihr „People are people“ verwendete das ZDF damals als Abspannmusik und vor einigen Olympiareportagen, wenn ich es noch richtig im Kopf habe. Ich glaube, das war meine erste Begegnung mit Depeche Mode und „People are people“ empfand ich damals (und auch heute noch) als einen verdammt guten Song.

Wie ich an ein Ticket für eines ihrer drei Kölner Konzerte kam, ist dann auch eher dem Zufall geschuldet. Krankheitsbedingt und sehr kurzfristig wurde eine Karte frei und als ich gefragt wurde, sagte ich nicht nein. Warum nicht einen guten Abend bei guter Musik in der Kölnarena verbringen? Eben. Da bin ich gerne die Krankenvertretung. Auch als nicht supergroßer Depeche Mode Fan. Der neuerliche Schienenersatzverkehr war zwar nervig, hielt mich aber schlussendlich nicht davon ab, mich auf den Weg zu machen.
Das Ticket ist eines dieser sichtbehinderten Tickets, die vergünstigt verkauft werden. Sitzplatz Oberrang, fast hinter der Bühne. Klingt erstmal ganz okay, ist in Wirklichkeit aber eine schwierige Sache. Im Oberrang ist man eh schon weit weg vom Geschehen, im Block 630 ist man überdies auch weg von der Bühne. Man sieht sie nicht, bzw. ich sehe nur ein Drittel und den Laufsteg. ‘Die Bühnenshow wird mich heute Abend nicht ablenken’, unke ich gedanklich. All die spannenden Einspieler, so es denn welche gibt, werde ich nicht sehen. Überhaupt werde ich kaum etwas sehen. Mein Motto ist eher: dabei statt mittendrin. Immerhin habe ich in Reihe 1 genug Beinfreiheit.

Mit den Kölner Konzerten haben Martin Gore und Dave Gahan die letzte Station ihrer Welt-Tournee erreicht. Vor mehr als einem Jahr starteten Depeche Mode die Memento Mori Tour in den USA, ich sah sie damit teilweise im Sommer letzten Jahres beim Primavera Sound Festival in Barcelona. Dass sie jedoch gleich drei Konzerte in der Kölnarena spielen, war mir von Anfang an nicht ganz klar. Ich wurde erst darauf aufmerksam, als ich einen Post von Deeper sah, der ihre Europakonzerte ankündigte. Darunter waren auch die Opening slots für Depeche Mode und ich mich wunderte, warum dreimal Köln in der Liste auftauchte.

Nach technoider und loveparade-esken Umbaupausenmusik (bei der irgendwann viele in der Arena in einen Mitklatschmodus übergehen) starten Depeche Mode mit zwei neuen Songs vom aktuellen Album Memento Mori: „My cosmos is mine“ gefolgt von „Wagging tongue“. Okay, kenne ich nicht. Aber kurze Zeit später und mit „Walking in my shoes“ bin ich drin. Jetzt kommen all die 80s/90s Depeche Mode Erinnerungen zurück. Erschreckend, wie textsicher ich noch in einigen Songpassagen bin. „In your room“ spielen sie in einer merkwürdigen Mixversion, ich erkenne es nicht direkt zu Beginn. Es folgen „Policy of Truth“, „It’s no good“ und „Everything counts“. Das ist schon mal alles großartig.
Leider ist mein Sitzplatz das nicht. Wie erwähnt, mein Sitzplatz ist etwas suboptimal schräg hinter der Bühne. Ich sitze damit direkt hinter Martin Gore, nur mehrere Meter (sowohl horizontal als auch vertikal) entfernt. Der Keyboarder/Gitarrist ist dann auch der einzige Musiker, den ich über die gesamte Konzertdauer sehe. Dave Gahan erblicke ich nur, wenn er in Laufstegnähe seine Pirouetten dreht oder das Mikrofon in die ersten Reihen hält. Die übrigen Musiker (wie viele sind es eigentlich?) sehe ich null. Im laufe des Konzertes nimmt mir das ein bisschen die Freude am Spektakel. Denn ich glaube, all‘ das hier ist ein Spektakel. Ich vermute eine sehr gute Bühnenshow.

In der Mitte des Sets passiert dann etwas, womit ich nicht gerechnet habe und auf das ich nicht vorbereitet bin. Martin Gore singt nur in akustischer Klavierbegleitung „Strangelove“ aus dem Jahr 1987 sowie „Heaven“. Beide Songs hauen mich um. Diese Minuten, dieser Augenblick ist mehr als großartig! Definitiv einer meiner besten Konzertmomente ever. Alleine hierfür lohnt der Konzertbesuch. Kann es danach noch besser werden? Nein.

Es folgen „Ghosts again“ vom neuen Album, „I feel you“ und „A pain that I’m used to“. Für mich hängt das Konzert jetzt leicht durch. Kurz nach „I feel you“ verlasse ich meinen Platz. Für die letzten Songs vor der Zugabe versuche ich, durch irgendeine Tür in einen Block oder Bereich der Halle zu gelangen, von dem aus ich wenigstens kurz einen Blick auf die Bühne erhaschen kann: neugierig darauf, wie die Bühne aussieht und wie das Bühnenbild ist, bin ich schon. Doch überall werde ich nach wenigen Minuten vollkommen zurecht von sehr aufmerksamen Ordnern darauf hingewiesen, dass man an den Ausgängen oder in den Gängen nicht einfach stehen darf. Okay, akzeptiert. Dann sehe ich die Bühne eben nur für ca. 30 Sekunden. Reicht ja für einen Eindruck. Auf die Leinwand ist ein großes M projiziert, daneben sehe ich Videoleinwände.
Kurze Zeit später reicht es mir mit Depeche Mode. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich noch irgendetwas verpasse. Vor der Zugabe – die ich in identischer Songfolge mit den gleichen drei Songs bereits in Barcelona gesehen habe – schleiche ich aus der Kölnarena.

Im Internet wird bereits darüber spekuliert, ob die drei Konzerte die letzten Livekonzerte von Dave Gahan und Martin Gore als Depeche Mode sind. Ich habe dazu keine Meinung und möchte nicht mitspekulieren, denke aber, die Möglichkeit ist groß.

„People are people“ haben sie an diesem Abend leider nicht gespielt. Aber Martin Gore hat zwei traumhaft schöne Songs gesungen. Das bliebt im Gedächtnis. Ein für mich überraschend wunderbarer Abend!

Kontextkonzerte:
Depeche Mode – Primavera Sound Festival Barcelona, 02.06.2023

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