Ort: Gloria, Köln
Vorband:

Cat Power

„Es war ein schönes Konzert. Ich hatte im Vorfeld schlimmeres befürchtet.“

So fasste ich das Cat Power Konzert vor 8 Jahren in der Live Music Hall zusammen. Ein ähnlich gutes Fazit zog ich ein paar Jahre später nach dem Besuch des Brüsseler Konzertes. Ja, ich bin großer Fan und verfolge das Treiben von Chan Marshall so ziemlich genau seit ihren ersten Alben. Mit „Nude as a news“ wurde ich – wie wohl fast jeder – auf Cat Power aufmerksam. Das Rumpelstück hatte etwas Besonderes, es war Indie  und erinnerte mit der Schüchternheit und scheinbaren Gebrechlichkeit der Stimme. Wer seinerzeit auf Mazzy Star und ähnliches stand, hörte auch Cat Power.
Zwangsläufig kaufte ich mir die Alben. Dear Sir, Moon Pix, What would the community think. Und auf allen Platten hörte ich das gleiche: Gitarren und diese markante Stimme. Rauchig, bluesig, tief. So wird sie umschrieben. Mich beeindruckte aber vielmehr die Zartheit und Schüchternheit, das leicht holprig, verwundbare und diese unendliche Melancholie, die in jeder Note mitschwang. Cat Power Songs klangen traurig.
Mit You are free und später mit Jukebox und Sun änderte sich das. Mit Sun wurde Cat Power groß, untermalte mit einem Stück einen Apple Videospot und verkaufte das Brüsseler AB aus. Auf dieser Tour erkannte ich Chan Marshall fast nicht wieder: kurze, blondgefärbte Haare, eine Band und eine große Bühne. Auf einmal war Glitzer in den Stücken, Keyboards und Elektro piepsten hervor. Sun war fast schon durchgängig tanzbar. Wo ist sind die kleinen, dunklen Klubs, das spärliche Bühnenlicht, die abgebrochenen Songs und Konzerte, das kleine, sanfte, leise, zerbrechliche? Und die viel größere Frage, die ich nie stellte, aber immer dachte: Wie kommst du damit klar, Chan? Durch Interviews lernte ich sie als eine Person kennen, die ihre Ängste hat. Chan Marshall verschweigt ihre Probleme nicht, ihre Bühnenangst, ihre Nervosität, ihre alten Drogengeschichten. Jeder kann das nachlesen, es gibt unzählige Interviews, die darüber berichten. Vor einigen Jahren kam dann noch eine Krankheitsdiagnose dazu, Angioödem.

An diesem Abend spukte mir all das durch den Kopf, als ich mich ins Gloria aufmachte. Was wird mich erwarten? Sicher war ich mir, dass es nicht so wild wird wie damals im Gebäude 9, als Chan Marshall erst Stunden auf sich warten ließ und dann nicht mehr aufhören wollte, zu spielen. Die chaotischen frühen Jahre liegen hinter ihr. Auch das hatte ich gelesen. Aber was wird sie spielen, neue Sachen? Seit Sun gibt es kein neues Material, es könnte also sein, dass ich ein, zwei unbekannte Sachen hören werde. Oder altes Zeugs und Cover. Und wie wird sie auftreten, mit Band?

Zuerst einmal las ich, eine Vorband gäbe es nicht. Das ist gut, schärft den Sinn aufs Wesentliche und kostet nicht unnötig Zeit. Gerade im Sommer macht es nicht so viel Spaß, länger in einem Raum voller Leute auszuharren, wenn es draußen warm ist und drinnen noch ein paar Grad wärmer und stickig.
Das Gloria ist gut besucht, als ich etwas über der Zeit im Saal ankomme. Trotz aller Vorfreude und Anspannung auf das Konzert war ich deswegen nicht unruhig oder hektisch. Der Newsletter des Gloria weist zwar darauf hin: keine Vorband, Beginn 20 Uhr, aber das Konzert findet nicht in Belgien oder den Niederlanden statt, wo eine solche Ankündigung auch durchgezogen wird. Als gegen kurz nach halb neun das Saallicht erlischt und eine Frau mit Gitarre zögerlich und beinahe unbemerkt die Bühne betritt, sehe ich mich bestätigt. Chan Marshall kommt allein. Ohne Begleitung. Das Licht im Gloria bleibt dunkel. Das Ambiente passt zur Musik. Ich höre Cat Power nie im hellen, nachts klingen ihre Songs dreimal schöner als bei einer sommerlichen Autofahrt.

Chan Marshall beginnt einfach: ein kurzer Wink ins Publikum eröffnet den Abend. Vom ersten Gitarrenton von an ist es ruhig im Gloria. Gebannte, gespannte Ruhe. Das Gitarrenspiel startet bedächtig. „Old Detroit“, dann „Fool“. Sie muss sich einfinden, die Stimme finden, die in den ersten Tönen noch leicht hinterher hinkt. Aber sie spielt, Song eins geht nahtlos über in Song zwei, der anfangs klingt wie „The greatest“, sich aber dann doch als ein anderes Stück entpuppt. Zu früh gejubelt, obwohl, eigentlich möchte ich schon jubeln. Doch Chan Marshall lässt das nicht zu, auch der nächste Song schließt sich nahtlos an, es gibt keine Pause. Als sie nach vier Songs ans Klavier wechselt, nimmt das Publikum die Gelegenheit auf und zwängt brandenden Applaus in die Stille. Endlich kann man seiner Begeisterung Ausdruck geben. Er klingt für mich beruhigt und glücklich.

Alle drei, vier Songs nimmt sich der Saal ab da die Freiheit, einfach loszujubeln. Chan Marshall untermalt ihn mit musikalischen Zwischenspielen, bedankt sich leise und freut sich über den Zuspruch. Der ist riesengroß, nach den drei Gitarrenstücken ist jedem klar, dass es ein guter und erinnerungsträchtiger Abend werden würde. Zwar verspielt sie sich des Öfteren, aber Perfektion braucht hier und jetzt niemand. In diesen Momenten spielt Chan Marshall einfach weiter und flucht oder nuschelt nur leise etwas vor sich hin. Es ist gut, wie es ist. Cat Power Songs brauchen nur wenige Akkorde, die kriegt sie immer irgendwie hin.
Cat Power spielt viele Songs. Ich höre „Great Expectations”, „I don’t blame you”, „The Greatest”, „The Moon”, „Maybe not”. Es sind hauptsächlich ältere Stücke und Cover, die ich wahrnehme. Die Sun Phase lässt sie bis auf „3,6,9“ außen vor. Mich packt sie mit „Names“. Es ist das zweite Klavierstück und es lässt mich an viele Dinge denken. Die Gänsehaut ist da und sie bleibt eine Weile. Das Konzert kommt jetzt auf Touren, Chan Marshall erreicht Betriebstemperatur. Sie ist grandios, spielt grandios, wirkt einzigartig. Der Grundton wird sich in der nächsten Stunde Klaviermusik nicht ändern. Wäre man gemein, könnte man ihre Songs monoton nennen. Gleiche Grundstrukturen, gleiche Stimmlage. Bei den weniger eingefleischten Fans macht sich so ein bisschen Unruhe breit. Stehen und zuhören ist anstrengend. Wer sich im Cat Power Kosmos nicht so auskennt, könnte es nun zäh und langatmig finden. Ein Pärchen startet eine Unterhaltung, vor mir filmt einer einen Facebook Livestream über zwei Songs und Pings geben mir zu erkennen, dass er Kommentare dazu erhält.  Konzertalltag.

Nach einer Stunde am Klavier wechselt Chan Marshall zum Abschluss zurück an die Gitarre. Mit „The moon“ und „Metal heart“ geht sie von der Bühne, genauso unscheinbar, wie sie sie anderthalb Stunden zuvor betreten hat. Der Jubel ist groß, sehr groß. Eine Zugabe spielt sie nicht.

Das berührendste Konzert des Jahres.

Kontextkonzert:
Cat Power – Brüssel, 26.06.2013 / AB
Cat Power – Köln, 04.06.2008 / Live Music Hall

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