Ort: Ancienne Belgique, Brüssel
Vorband: Maya’s Moving Castle

Cat power

Mein erster Eindruck: Ist Chan Marshall wirklich so groß? Das Ancienne Belgique und seine riesenhafte Bühne sind spärlich ausgestattet und wirken so überdimensioniert. Eine Schlagzeugempore im Hintergrund, daneben die Bass Station, auch leicht erhöht. Links die Keyboards, rechts das Mikrofon der Gitarristin, die auch die Zweitstimme gibt. Jeder Musiker hat seinen angestammten Bereich, klar abgegrenzt. Am vorderen Bühnenrand stehen zwei Mikrofonständer, ein weiteres Mikrofon liegt direkt vor mir auf dem Boden. Zwischen den Instrumenten ist enorm viel Platz. Sicherlich ein kleines Volleyballfeld hat Chan Marshall Raum, um sich ausgibigst zu bewegen. Das hinterlässt Eindruck, der noch verstärkt wird durch die im Hintergrund auf einer Videoleinwand vorbeiziehenden blauen Himmel, Menschen und anderlei Filmsequenzen.
Nach guten anderthalb Stunden fällt die Antwort leicht. Oh ja, Chan Marshall hat mittlerweile eine Bekanntheitsstufe erreicht, die ich noch vor Jahren für nicht möglich gehalten hätte. Vor Jahren heißt Anfang der 00er, als ich sie zum ersten Mal im Kölner Gebäude 9 sah. Es war mein verstörtestes Konzert ever. Der Beginn schleppte sich unendlich, als gegen Mitternacht Cat Power die dunkle Bühne betrat. Mit dem Rücken zum Publikum saß sie am Klavier, spielte Songs, brach sie ab, verharrte in Stille, improvisierte, spielte Songfragmente an, brach ab, verschwand von der Bühne. Nach einer halben Stunde schien das Konzert beendet, wir gingen, um dann später in der Zeitung lesen zu müssen, dass sie noch sehr, sehr lange weitergespielt hat. Ich hatte mich seinerzeit sehr über mich geärgert, dass ich nicht länger diese Eskapaden ausgehalten und ausgestanden habe. Gerade auch, weil es für lange Zeit mein letztes Cat Power Konzert gewesen sein soll.
Spätestens aber mit ihrem Cover Album „Jukebox“ und dem aktuellen „Sun“ ist sie irgendwo im Mainstream angekommen. In den USA ist sie weltbekannt, in Europa fehlt dazu nicht mehr viel.
Das AB ist ausverkauft, seit langem. Es ist dies das Ersatzkonzert der ausgefallenen Novembertour aus dem letzten Jahr. Damals hatte ich ein Ticket für Köln, und mich maßlos geärgert, dass das Konzert wegen „finanzieller Schwierigkeiten“ (wie die gesamte Tour) abgesagt werden musste. Vielleicht hatte es auch andere Gründe, egal.
Als im Frühjahr dann Brüssel angekündigt wurde war klar, da muss ich hin. Also besorgte ich ein Ticket, buchte eine Thalys Fahrt und machte mich auf den Weg. Das AB ist ja auch viel schöner als das E-Werk, und Brüssel immer eine Option.
Und so stand ich in dem Saal, in dem ich vor Wochen noch Veronica Falls gesehen hatte. Nur dieses Mal sperrten keine Samtvorhänge den Großteil des Raumes ab. Die Tribüne im hinteren Bereich lag frei, ebenso die beiden Ränge an den Längsseiten. Und überall war es pickepacke voll. (Also für belgische Verhältnisse, im Nachbarland ist ein ausverkauft ja viel angenehmer als bei uns.)
Das Konzert begann wie es endete, mit zeitgemäßer New Yorker Hiphop Musik von Band. Zu den letzten Takten betrat die Cat Power Gitarristen und Zweitstimme Adeline Fargier die Bühne, gefolgt vom Bassisten. Alleine spielte sie minutenlang ein sanftes Gitarrenintro, in das der Bass nach und nach ruhig einsetzte. Dann kamen Schlagzeuger und ein weitere Gitarrist hinzu und es vergingen nochmals einige Minuten, bis Chan Marshall mit den ersten Textzeilen von „The Greatest“ die Band komplettierte. Ein grandioser, stilsicherer Auftritt. Just in diesem Moment war es eindeutig, es wird ein großer Abend. Mit schwarzer Lederjacke und blondierten Haaren erinnerte sie manchen an Brigitte Nielsen, der look-a-like Vergleich hinkt aber enorm. Ich musste in diesem Augenblick an den Welt Artikel denken und ihm zustimmen.
Nach „The Greatest“ folgte mit „Cherokee“ gleich der nächste Welthit. Die beiden amerikanischen Pärchen neben mir nahmen das zum Anlass, noch ausgiebiger das zu tun, was sie schon zur Pausenmusik (!!!) taten: hin und her zu schwofen. Das war da schon leicht nervig, wurde nun aber noch locker dadurch getoppt, dass der Junge direkt neben mir („oh, ich bin so müde, ich wäre fast vor dem Computer eingeschlafen“, erzählte er noch Minuten zuvor seinem Kumpel) sich seines T-Shirts entledigt hatte und im Unterhemd seine Freundin umschlang. Ab diesem Augenblick hätte ich mir ein Räucherstäbchen als Duftbäumchen gewünscht. Das glimmte jedoch wenige Meter von mir entfernt am Boden von Cat Powers Mikrofonständer, direkt neben der Tasse Tee, die sie dort abgestellt hatte. Ab und an fächerte sich Chan Marshall den Rauch ins Gesicht, er sollte sie wohl etwas beruhigen. Denn ein bisschen nervös wirkte sie schon. Unterdies ging das Achselhöhlen- Inferno neben mir munter weiter und geleitete mich von nun an durch den Abend. Gott sei Dank blieb es bei wenigen Mitklatschsequenzen mit hochgereckten Armen. Nach „Cherokee“ war damit erst mal sense.
Nach einem lichttechnisch hellen Beginn wurde es dann dunkler. „Manhattan“ und „Bully“ (das wohl brandneueste Cat Power Stück) waren die nächsten großen Aufreger. Als zu letzterem plötzlich ein Mädchen in den ersten Reihen umkippte, erschrak nicht nur Gregg Foreman. Der Gitarrist ließ seinen Blick nicht von der Szenerie, eilte gar von der anderen Bühnenseite herüber, um eine Flasche Wasser zu reichen. Nach dem Ende des Songs, erst jetzt hatte Chan Marshall alles mitbekommen, erkundigte sie sich persönlich bei dem Mädchen, das mittlerweile Gott sei Dank wieder auf den Beinen war, nach ihrem Wohlbefinden. Ein paar Worte, ein aufmunterndes über den Kopf streicheln und das Drehen des Bühnenventilators in ihre Richtung sorgte für rasche Erholung.
Mit einem „Kleidungswechsel“ nach „Angelitos negros“ begann der zweite Teil des Abends. Statt der Lederjacke trug Chan Marshall nun eine Jeansjacke und mit „Metal heart“ (Erstausgabe 1998), dem Boys next door‘s Cover „Shivers“ und „I don’t blame you“ (2003) kamen ältere Songs. „I don’t blame you“, ich hätte es fast nicht erkannt. Wenig ist in der Liveklamotte von dem Originalstück übrig geblieben. Cat Power zogen es und spielten in einer sehr bluesigen und orchestralen Variante. Das klang weltmännisch, ich wünschte mir jedoch lieber die ruhige, heimlige Version zurück. Diese Zeiten scheinen vorbei, das musikalische Frühwerk Cat Powers blieb unangetastet. Und unter uns, es hätte auch nicht hineingepasst. Was bitte hätte ein „Nude as the news“ hier verloren. Gar nichts. Es wäre gescheitert.
Vor dem vorletzten „Peace and love“ eilte Chan Marshall von der Bühne. Es schien mir, als ob sie die das gesamte Konzert dagewesenen Tonprobleme mit ihren Ohrhörern und den Monitorboxen zusehends annervte und oder irgendetwas an den Ohrstöpseln repariert werden musste. Die Band spielte eine minutenlanges, monotones Intro und blickte sich gegenseitig hilfesuchend an. Irgendwann kam sie zurück, sang sichtlich beruhigt groß auf und blickte nicht mehr hilfesuchend in Richtung Tontechniker. Stattdessen verteilte sie weiße Blumen an die ersten Reihen. Den Abschluss des Abends bildete ein 10 minütiges „Ruin“. Danach war Schluss, Cat Power spielte keine Zugabe. Schon während des Songs zeigte sie öfters auf ihre imaginäre Armbanduhr, ganz so, als ob sie sagen wolle, wir haben doch keine Zeit mehr. AB Konzerte enden zeitig, halb elf ist hier in der Regel Feierabend. Die AB Homepage erwähnt dies ausdrücklich und mit dem Hinweis, dass die Besucher so noch alle Züge nach außerhalb bekommen können. Die gewährleistete Abreise scheint den Betreibern ein wichtiges Anliegen.
Nach einer ausgiebigen Ovation verließen Chan Marshall und Band dann gegen zehn vor elf die Bühne, jedoch nicht ohne zuvor unzählige Setlisten zusammengeknüllt ins Publikum zu werfen und kleine Klebetatookärtchen zu verteilen. Mann oh mann, dieser Ausflug hat sich mehr als gelohnt.
Großartiges Konzert!

Setlist:
01. The Greatest
02. Cherokee
03. Silent Machine
04. Manhattan
05. Human being
06. King rides by
07. Bully
08. Angelitos negros
09. Alway on my own
10. 3, 6, 9
11. Nothing but time
12. I don’t blame you
13. Metal heart
14. Shivers
15. Peace & Love
16. Ruin

Kontextkonzert:
Cat Power – Köln, 04.06.2008

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Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. e.

    schöner, runder bericht. ich erkenne chan nicht mehr wieder. nicht nur optisch.

    1. frank

      Hi eike,
      geht mir genauso. Ich bin immer noch baff darüber, was aus ihr geworden ist. Aber es freut mich für sie, dass sie Erfolg hat. Den hat sie sich verdient!!!

  2. e.

    ja, absolut. und ich finde ja auch nicht, dass sie sich dafür prostituiert hätte. nur muss man eben nicht jeden weg mitgehen. eine tolle künstlerin und entertainerin ist sie allemal.

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