Ort: Junkyard, Dortmund
Vorband:

Bohren & Der Club of Gore - Dortmund, 30.12.2022

Kurz vor Silvester. Ein trister Abend in Dortmund. Bedrohlich und trostlos wirkt die Stadt, als wir uns zu Fuß auf den Weg in den Dortmunder Norden machen. Immer der Bornstraße entlang, Bohren & der Club of Gore spielen im Junkyard mein Jahresabschlusskonzert 2022. Ich habe die Band vor ein paar Jahren entdeckt, oder besser gesagt neu entdeckt. Damals in den 1990er Jahren war ich nicht so an ihnen interessiert. Ich stand und stehe nicht so auf Metal, den die Band auf ihren ersten Platten spielte. Meine Wiederentdeckung kam mit dem Doppelalbum Bohren for Beginners, ein Geschenk zu einem meiner Geburtstage. Ich weiß nicht mehr, zu welchem. Das Album überraschte mich (verortete ich doch die Band immer noch im Metal) und gefiel mir so gut, dass ich auch alsbald ein Konzert der Band besuchen musste. 2019 sah ich Bohren & der Club of Gore dann in Bochum in der Christuskirche. ‘Endlich’ klänge zu dramatisch, aber es wurde doch irgendwie Zeit.

Das Saxophon tat es mir an, die gesamte Grundstimmung gefiel mir. In meiner aktuellen Erinnerung war es seinerzeit ein gutes Konzert. Damals wie an diesem Abend spielen Robin Rodenberg, Morten Gass und Christoph Clöser eine Vielzahl an Instrumenten, darunter Bass, Vibraphon, Klavier, Schlagzeug und (natürlich) ein Saxophon. Nach eigener Aussage – so lese ich es auf ihrer Webseite – spielen sie ‘doom ridden jazz music’. Whatever that means. Horror, Dark und Detective Jazz sind weitere Begriffe, mit denen ich nichts anfangen kann. Mit ‘Langsamste Band der Welt’ (einer ihrer Twitter Hashtags) schon. Alles, aber auch alles spielen Bohren & der Club of Gore sehr bedächtig und genau. Selbst die schnellen Tonfolgen kommen und klingen irgendwie langsam. ‘Musik an der Grenze zum Stillstand’, lese ich noch. Ja, das passt.

Wir sind früh im Junkyard an der Bornstraße. Früh genug, um einen der Sitzplätze zu ergattern. Teilbestuhlung war immerhin auf der Veranstaltungsseite ausgewiesen, was und wie viel an Stühlen das auch bedeuten mag. Die Teilbestuhlung entpuppt sich als vier Stuhlreihen mit je 20 Stühlen. Als wir den benebelten Saal betreten, sind die vier Sitzreihen bereits fast gefüllt. Wir ergattern die letzte beiden zusammenhängenden Plätze. Es ist kurz nach 19 Uhr, um sieben hat der Laden aufgemacht. Glück gehabt, denn ein Bohren & der Club of Gore Konzert im Stehen möchte ich nicht erleben. Das stelle ich mir sehr anstrengend und mit wenig Konzentration für und auf die Musik vor. Das dachten dann wohl auch andere.
Bis zum Konzertbeginn um halb neun bleibt noch Zeit. Das Junkyard ist relativ neu. ‘Seit 2016’ steht auf der Leuchtreklame am Eingang. Ziehe ich die zwei verlorenen Jahre der Pandemie ab, bleiben circa vier Jahre Konzert-und Clubbetrieb. Der Laden wirkt auf mich improvisiert und zusammengeschustert. Früher war hier ein Schrottplatz (sic!) und ich habe den Eindruck, dass einige der Schrottplatzfunde im Club wiederverwertet wurden. Einen Waschbeckenunterbau aus alten Autoreifen habe ich zumindest bisher noch nirgends gesehen.
In der Halle ist es kuschelig. Von der Decke strömt warme Luft in den Saal. Manchmal stärker, manchmal weniger stark. Das macht die kalte Luft, die von hinten und von den Seiten in den Saal kriecht, erträglicher. Mir kommen frühere Gebäude 9 Konzerte in den Sinn, die ich in dicker Winterjacke erlebt habe. Alte Industriegebäude sind eben nur bedingt wintertauglich. Aber das stört nicht weiter, denn je später der Abend, desto weniger Chancen bekommt die kalte Luft, sich durchzusetzen. Gegen 20 Uhr ist der Laden voll und spätestens jetzt ist das Thema Kälte vorbei.

Und von innen wärmen ab halb neun Bohren & der Club of Gore. (Grandiose Überleitung).
Doch bevor das Konzert startet, sind Bühne und Saal für ein paar Minuten dunkel. Die drei Musiker lassen sich Zeit, die Bühne zu betreten. Ich denke, das gehört zum Konzept. Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit soweit sind und die ersten leisen Töne erklingen, dröhnt aus dem Thekenbereich der Kaffeevollautomat oder Mixer. Das passt ja wie bestellt. Der Saal schmunzelt, die drei auf der Bühne lassen sich aber nicht ablenken. „Total falsch“ ist der erste Song der aktuellen Platte und der erste Song des Abends. Und es ist nicht der letzte Song des vor zwei Jahren veröffentlichten Albums. Man spiele das komplette letzte Album Patchouli Blue, so die Ankündigung nach dem ersten Song. Das wären dann elf Stücke. Und elf Mal tolle Songs, denn ich behaupte, Patchouli Blue hat keinen einzigen schwachen Song. Neben der Musik gefallen mir an diesem Abend auch die Ansagen und Randbemerkungen. Meine liebsten beiden sind diese:

Das nächste Stück handelt vom BVB. Es geht um vorbildliche Herzenskälte. „Tief gesunken“.

sowie

Wir wollen fröhlich in die Zukunft schauen. Unsere Musik gibt euch die Kraft dazu. „Meine Welt ist schön“.

Bei letzterem Statement muss die Band selber lachen. Zu Recht, wie ich finde. Bohren & der Club of Gore Songs mögen viel können, aber Fröhlichkeit und Hoffnung entfachen sie bei mir nicht. Selbst sanfte Jazzstücke wie „Verwirrung am Strand“, die ein gewisses Fröhlichkeitspotential hätten, klingen bittersüß und haben ganz viel Blues.

Die Spielzeit des Albums beträgt eine gute Stunde, im Junkyard sind Bohren & der Club of Gore um zehn vor zehn mit dem Album durch. Sie benötigen also ein paar Minütchen mehr. Es ist den längeren Ausführungen geschuldet, aber es ist dennoch leider ein viel zu kurzes Konzert. Ich hätte durchaus noch etwas mehr doom ridden jazz music vertragen können. Die Stimmung ist gut, die Stühle bequem, warum also schon gehen?
Ein bisschen was packen sie dann dankenswerterweise noch drauf. Drei weitere Songs folgen, nach eigener Aussage das, ‘was uns gerade so einfällt, und hoffentlich haben wir dabei alle die gleichen Songs im Kopf’. Haben sie, die Zugaben laufen einwandfrei. Und sie schaffen es noch, ihrem Edelfan Sven – ich glaube, so lautet sein Name, ein Geburtstagsständchen zu spielen. ‘Lieber Sven, dieser Song ist für dich: Die Zukunft ist schwarz, „Maximum Black“.’ Humor haben sie.
Nach den drei Zugaben ist dann jedoch Schluss. Man hätte noch etwas zu erledigen, morgen sei schließlich Silvester. Okay. Akzeptiert.

Das letzte Konzert des Jahres hätte besser, treffender nicht ausfallen können. Es war so ein Abend , an dem alles wie ganz selbstverständlich zusammenpasste. Vom Spaziergang zum Junkyard bis zum Abschlußbier. Es war ein ruhiger, reflektierender Abend mit Musik, die viel Raum lässt, um – wie meine Sitznachbarin – kurz wegzunicken oder seinen Gedanken hinterher zu spinnen.

Setlist:
01: Total falsch
02: Verwirrung am Strand
03: Glaub mir kein Wort
04: Patchouli Blue
05: Deine Kusine
06: Vergessen & vorbei
07: Sollen es doch alle wissen
08: Tief gesunken
09: Zwei Herzen aus Gold
10: Sag mir, wie lang
11: Meine Welt ist schön
Zugabe:
12: Im Rauch
13: Maximum Black
14: Midnight Walker

Kontextkonzerte:
Bohren & der Club of Gore – Bochum, 04.03.2019 / Christuskirche

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