Ort: Christuskirche, Bochum
Vorband: 

Christuskirche BochumDie Christuskirche war eines der Großprojekte des Fachbereichs Photogrammetrie der Fachhochschule Bochum. Die vermessungstechnische Aufnahme der Kirche für verschiedenste Auswertungen und Projekte beschäftigte einige Abschlussjahrgänge. Ein Diplomandenduo, das mit mir zeitgleich seine Diplomarbeit schrieb, hatte es ich zur Aufgabe gemacht, die Außenfassade des Kirchenturms photogrammetrisch hochgenau zu erfassen, um daraus ein möglichst realistisches 3-D Modell herzuleiten. Eine Sisyphusarbeit, all die Vorsprünge und Verstrebungen händisch aus den aus unzähligen Bildaufnahmen zusammengerechneten stereoskopischen Bildpaaren zu digitalisieren. Heute wäre so ein Projekt ökonomisch und rasch mit einer UAV Befliegung und anschliessender Punktwolkengenerierung abgearbeitet. Vor 20 Jahren war es eine Herkulesaufgabe, die dem Fachbereich ein gemeinschaftliches Arbeiten abverlangte. So fand auch ich mit eines Sonntags vor der Kirche wieder, um beim Messaufbau der terrestrischen Photogrammetrieaufnahme zu unterstützen.
Das war mein bisher erster und einziger Kontakt mit der Christuskirche, die etwas am Rand der Innenstadt direkt neben dem Platz des europäischen Versprechens liegt. Ein schöner Name, wie ich finde.

Schon früh stehen Männergrüppchen am noch verschlossenen Eingang. Ich geselle mich nicht dazu sondern drehe noch eine Runde durch die Fußgängerzone. Ich war lange nicht mehr hier, da möchte ich die Zeit jetzt nutzen.
Um 18 Uhr hat sich eine größere Menge vor der Kirche versammelt. Schnell sind nach Türenöffnung die vorderen Reihen des Kirchensaals belegt. Der Konzertbeginn ist für 19 Uhr angegeben. Es ist also noch etwas Zeit. Die Bühne schimmert in einem rötlichen Licht, aus den Boxen läuft Gott sei Dank keine Karnevalsmusik. In Bochum ist es ein ganz normaler Montag.

19.30 Uhr. Es ist so verdammt dunkel.
Bohren & der Club of Gore werden in wenigen Sekunden die Bühne betreten. Das Licht ist schon erloschen, einzig die Lichtkegel dreier Taschenlampen leuchten den Musikern den Weg.
Bohren for Beginners heisst eine Doppel-CD, die mich im letzten Jahr mit Bohren & der Club of Gore vertraut gemacht hat. Vor einigen Jahren noch hielt ich ihre Musik für zu anstrengend, für zu langsam, um zuhören zu können. Da passiert ja nix, war ein reflexhafter Gedanke. Jetzt, wo ich älter bin, sehe ich das vollkommen anders. Da passiert sehr viel! Ich mag jetzt dieses punktierte, ruhige und bedächtige im Sound von Bohren. Und ich mag das Saxophon!
Bohren & der Club of Gore. Ihre Musik wirkt so ernüchternd wie eine Bingo After Show Party irgendwo in einer trostlos abgewrackten alten Halle mitten im Nirgendwo. Unvorstellbar, das Bohren & der Club of Gore mal eine Metalband waren. Daran erinnert nun so gar nichts mehr.

Auch aus dem Grund ‚Kontrastprogramm zum karnevalistischen Treiben in meiner Region‘ habe ich mich sehr über diese Konzertansetzung gefreut. Nun sitze ich auf der Empore und die Dunkelheit brennt in meinen Augen. Der hellste Punkt im Saal ist das Notausgangsschild an der linken Wand. Die Bühne ist nahezu unbeleuchtet, nur die Instrumente sind spärlich angestrahlt. Die Kirche ist voll. Obwohl nicht alle Besucher genau wissen, was sie erwartet (ich lauschte am Nachmittag in einer Pommesbude einem Gespräch von Konzertgängern, aus dem ich diesen Rückschluss ziehe), herrscht eine andächtige Ruhe. Es ist das perfekte Ambiente für Bohren & der Club of Gore Musik.
In der Christuskirche liegt kein Konfetti. Karneval ist in Bochum weit weg, und in der Christuskirche gefühlt noch weiter. Oder auch nicht: Bohren & der Club of Gore betreten mit Indianerkopfschmuck die Bühne. ‘Die drei Schoschonen‘ wie Christoph Clöser später sagen wird, sind allerdings die einzigen Personen mit (angedeuteter)Verkleidung im Saal. Surrealität lässt grüßen.
Nach dem Rückzug ihres Schlagzeugers Thorsten Benning sind Bohren & der Club of Gore als Trio unterwegs. Auf das Schlagzeugspiel muss die Band aber nicht verzichten. Trommeln und Becken werden von den drei Musikern per Fußpedal bedient. Neben dem Stuhl von Bassist Robin Rodenberg steht eine Trommel und neben den Pulten von Morton Gass und Christoph Clöser steht ein Becken.

„Karin“, „Unrasiert“, „Midnight black earth“. Bohren & der Club of Gore spielen sich durch ihr Programm. Christoph Clöser wechselt zwischen Saxophon und Vibration. Mir gefallen die Saxophon Songs besser. Oh ja, ich liebe dieses traurig schöne Saxophon. Es bohrt sich in die Dunkelheit.
Nach einer Konzertstunde fällt mir das Sitzen auf der Kirchenbank schwer. Zu dem Zeitpunkt quäle ich mich schon zwei Stunden auf dem Büßerbänkchen, das macht sich jetzt bemerkbar. Meine Konzentration schwindet ein wenig, aber nur ein wenig. Denn da sind ja noch die launischen Ansagen von Christoph Clöser. Sein Wortwitz ist wirklich gut, dumm nur, dass ich die meisten Ansagen bereits wieder vergessen habe. Eine konnte ich mir merken:

‘Das ist ein Song für die Leute, die am liebsten mit den schwarzen Buntstiften malen.‘

Ha ha, der wirkt erst spät.

Die Dunkelheit ist anstrengend. Eigentlich sollte ich die Augen schließen und meinen Gedanken nachhängen. Aber ich kann nicht denken. Obwohl die Musik ruhig und geradezu meditativ daherkommt, kann ich mich nicht ablenken. Ist es das Saxophon, das meine Konzentration auf die Musik aufrecht erhält? Ich finde auf die Frage keine Antwort. Bohren & der Club of Gore kamen im Dunkeln und sie verschwinden im Dunkeln. Noch nicht einmal zum Schlussapplaus geht das Licht an.

Horror-Jazz lese ich. Der für mich irritierende Versuch, einen Genrebegriff für die Musik von Bohren & der Club of Gore zu finden. Horror-Jazz ist eine blöde Beschreibung und noch dazu eine falsche: Fürchten muss man sich bei Bohren & der Club of Gore nicht. Ich habe selten ein so entspanntes Konzert erlebt. ‚Other bands play, Bohren bore!‘ Falsch! Das ist definitiv falsch!

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