Ort: PROGR Turnhalle, Bern
Vorband:

Bohren & der Club of Gore - Bern, 09.04.2025

Noch ein Konzert, das irgendwie auf dem Rückweg aus dem Urlaub liegt. In Bern war ich bisher noch nie, warum also nicht einen kleinen Zwischenstopp wagen und ein Konzert besuchen. Im bee.Flat in der PROGR Turnhalle sind für diesen Mittwoch Bohren & der Club of Gore angekündigt. Na das passt doch perfekt, Langsamkeit trifft Ruhe. Der Weg von Zermatt verläuft unplanmäßig. Der Lötschberg ist noch gesperrt und das, was Google Maps als Route von Zermatt nach Bern angibt, somit nicht möglich. Die Alternative Autozug kommt aus zeitlichen Gründen nicht in Frage, und so geht es größtenteils den gleichen Weg wieder zurück. Eigentlich ein Unding bei einem Roadtrip. Nun ja, es stehen halt viele Berge als unüberwindbare Hindernisse am Wegesrand. Da machste nix.

Bern wirkt gemütlich, ruhig, gediegen. Spontan würde ich sagen, die Stadt hat den schönen Charme einer Beamtenstadt. Unser Hotel liegt auf der anderen Seite des Flusses in der Nähe der Kliniken. Hier ist es nochmals extra ruhig, so mein Eindruck. Krankenwagensirenen höre ich während meines Aufenthaltes in der Schweizer Bundesstadt keine, was ich etwas überraschend finde. Nachmittags erkunden wir die Stadt, entdecken tatsächlich in einem der Kellergeschäfte neben der Fußgängerzone einen Plattenladen, in dem man uns für das Konzert am Abend viel Spaß wünscht. Eine Platte kaufe ich jedoch nicht.

Zum Kulturzentrum PROGR sind es am Abend 20 Minuten zu Fuß. Das neoklassizistische Gebäude ist mal wieder so eine Art von Kulturzentrum, auf das ich nur neidisch blicken kann. Wo gibt es sowas bei uns? Der Gebäudekomplex war in einem früheren Leben eine Schule oder Internat. Jetzt ist es eine kulturelle Begegnungsstätte und beinhaltet Ateliers, öffentliche Räume wie ein Cafe und Restaurant, ein Kino und Veranstaltungsräume. Unterteilt ist es in die Areale PROGR Ost, PROGR West und die PROGR Aula.

Der PROGR (voller Name: PROGR – Zentrum für Kulturproduktion), ein ehemaliges Schulhaus (Progymnasium, Nachfolgeinstitut der Hohen Schule) ist ein von der Stiftung PROGR geleitetes Atelierhaus und Begegnungsort am Waisenhausplatz im Zentrum der Stadt Bern. Mehr als 150 Künstler aus allen Sparten produzieren Kunst in über 70 Räumen. Sie arbeiten Tür an Tür zusammen mit Kulturinstitutionen und Veranstaltern. In der öffentlichen Zone im Erdgeschoss werden Ausstellungen und Konzerte veranstaltet. Treffpunkt im PROGR sind zwei Gastrobetriebe. Der PROGR ist als Zwischennutzung der im Jahr 2004 frei gewordenen Räumlichkeiten des bernischen Progymnasiums («Proger») entstanden und bietet Raum für Kulturschaffende und kulturelle Institutionen.

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Das Konzert findet in der Turnhalle statt. Und der Name ist nicht ausgedacht. Ich vermute stark, dass der Raum früher tatsächlich die Schulturnhalle war. Indizien gibt dafür einige: der Bodenbelag ist ein stark abgenutztes Fischgrätenparkett, an einer Wand hängt noch ein Basketballkorb, die Rückwand ist voll von Kletterstangen und von der Decke baumeln die Ringe und Seile, die man auch von früher sehr gut in schlechter Erinnerung hat. Denn nach bloßer Deko sehen die Sachen nicht aus.
Der Zugang zur Turnhalle ist erhöht, der Raum erschließt sich einem über eine Empore. Hier oben ist eine Bar untergebracht, an der auch Kleinigkeiten zum Essen bestellt werden können. Im Saal stehen neben Stuhlreihen auch Sitzgruppen mit Tischen. Das Ambiente schmeckt ein bisschen nach Jazzclub und sieht schön und passend aus. Die Mitarbeiter arbeiten alle ehrenamtlich, diesen Hinweis gibt ein Schild hinter der Bar. Als Gast möge man bitte darauf achten und Rücksicht nehmen, wenn etwas nicht sofort klappt oder ein bisschen länger dauert. Das mache ich gerne. Alles wirkt sehr entspannt und freundlich. Ich fühle mich von Anfang an gut aufgehoben.

Um kurz nach halb neun betreten Bohren & der Club of Gore die Bühne. Morten Gass, Robin Rodenberg und Christoph Clöser machen seit vielen Jahrzehnten zusammen Musik, sie sind ein eingespielter Haufen. Das merkt man. Sie spielen harmonisch zusammen und verlieren nie ihr Zusammenspiel. Doom Jazz, Dunkel Jazz, Label, mit denen versucht wird, die Musik der Band zu umschreiben. Ich kann mir unter diesen Begriffen nichts Greifbares vorstellen. Auch in Bern fallen diese Begriffe, als eine Conférencieuse Bohren & den Club of Gore mit diesen Worten auf die Bühne bittet.

Und kaum sind die drei Musiker da, wird es dunkel. Also im visuellen Sinn, gegebenenfalls auch im musikalischen. Das Bühnenlicht wird bis auf vier, fünf kleine Halogenpunktstrahler nicht mehr existent, das Saallicht ist sowieso aus. Selbst aus der ersten Reihe sind die Musiker nur schattenhaft zu erkennen. Der Saal ist bis auf den letzten Stuhl besetzt. Vorher hatte ich Mühe mir vorzustellen, wie viele Besucher Bohren & der Club of Gore in Bern ziehen würde. Jetzt bin ich etwas überrascht über ihren hohen Bekanntheitsgrad. Den hätte ich ihnen nicht wirklich zugetraut. 300 Leute sollten sicherlich im Saal sein, schätze ich. Patchouli Blue ist immer noch das aktuelle Album von Bohren & der Club of Gore. Es wäre an der Zeit für neue Songs, sechs Jahre lagen zwischen den letzten beiden Albenveröffentlichungen. Dieser Zeitspanne nähert sich die Band so langsam wieder.
Langsam und zart erklingen die ersten Töne. Man muss schon genau zuhören, um die ersten Sequenzen mitzubekommen. In schwacher Sequenz zupft Robin Rodenberg den Standbass, gemächlich setzt erst das Schlagzeug und dann das Saxophon ein. Diese und dazu das Vibraphon sind die Hauptinstrumente, die wir an diesem Abend hören. Besonnen und in einer geradezu stoischen Ruhe spielen Song an Song. nichts kann Bohren & der Club of Gore aus der Ruhe bringen. Christoph Clöser moderiert die Zwischendurch die Songs, nennt Titel und erzählt manchmal die Hintergründe.

In Summe spielen sie vielleicht 10,11 Songs. Inklusiver drei umjubelter Zugaben. Während des gesamten Konzertes spielen sie ihre Instrumentalsongs als Kollektiv. Bohren & der Club of Gore haben keine Soli, kein Frontmann-Gehabe. Niemand ist präsenter als der andere. Alle drei tragen Anzüge, alle drei sitzen bzw. stehen gleich stark im Schatten der kleinen Halogenstrahler. Erst zum Ende treten sie hinter ihren Instrumenten hervor, verneigen sich mehrfach vor dem Saal. Es ist die einzige Aktion, die während der anderthalb Stunden Konzert auf der Bühne passiert. Jetzt könnte man meinen, ein Bohren & der Club of Gore Konzert sei langweilig. Weil, es passiert ja nichts. Aber es ist nicht langweilig. Die Ruhe und Langsamkeit, die Melancholie und die Traurigkeit der Songs sind enorm spannend. Die Ansage von Christoph Clöser vor, ich glaube „Midnight Black Earth“, fasst es gut zusammen:

Das nächste Stück beginnt relativ lebhaft, endet aber ratzfatz in der üblichen Tristesse.

Schön auch, dass sie „Karin“ gespielt haben. Es ist einer meiner Bohren & der Club of Gore Lieblinge. Es bleibt die Frage, was ist Junker für eine Biersorte?

PS: Bohren for Beginners, das Album aus dem Jahr 2016,  ist übrigens ein guter Einstieg in die Welt der drei Mülheimer.

Kontextkonzerte:
Bohren & Der Club of Gore – Dortmund, 30.12.2022 / Junkyard
Bohren & der Club of Gore – Bochum, 04.03.2019 / Christuskirche

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