Ort: Tanzbrunnen, Köln
Vorband: Bomba Estéreo
In Barcelona vor ziemlich genau einer Woche hatte ich Arcade Fire noch verpasst. Beziehungsweise gingen sie, aufgrund des Andrangs und Gewusels vor der Bühne völlig an mir vorbei. Es ist nicht möglich, bei einem Großfestival mal eben so ein Konzert vor einer der beiden Riesenbühnen mitzunehmen. Das bedarf einer bestimmten Vorbereitung (früh genug da sein), die ich an diesem Barcelonaabend leider nicht machen konnte. Ich empfand das allerdings als nicht so schlimm, denn ich wusste ja, ich würde Arcade Fire ein paar Tage später erneut sehen. In Köln. Am Tanzbrunnen. Vor einer kleineren Bühne. Mit entsprechender Vorbereitung. Allerdings auch vor einer Menge Zuschauer. Es ist nicht so, dass ich Arcade Fire noch nicht gehen habe. Mein erstes Mal, und dies nur als kleiner Einschub, war nicht – wie bei so vielen – ein Konzert im Gebäude 9, sondern es war beim Monsters of Spex im Kölner Jugendpark. Irgendwann nachmittags, zusammen mit Hard-Fi und weiteren großen Bands, die heutzutage niemand mehr kennt. Das ist lange her, es muss die Zeit vor oder kurz nach ihrem Debütalbum Funeral gewesen sein. Seinerzeit spielten Arcade Fire noch kanadischen Indierock, Songs wie „Rebellion (Lies)“, oder die „Neighbourhood“ Variationen wurden schnell zu meinen Lieblingsliedern. Wie gesagt, das ist Jahre her und seitdem ist einiges an Zeit vergangen, und Arcade Fire haben sich von Album zu Album (vier Stück haben sie mittlerweile veröffentlicht) weiterentwickelt. Auf dem fünften Album Everything now, das bald erscheinen wird, sind sie, wenn ich den Vorabsingles Glauben schenken kann und mag, dem Disco noch näher als bisher schon gekommen. Diese Entwicklung gefällt nicht allen, muss es auch nicht. Aber es reicht, um den Tanzbrunnen auszuverkaufen. Das heißt, 10000 Leute und mehr wollten Arcade Fire sehen.
Entsprechend groß war der Andrang, als ich am Rheinufer ankam. Die Einlaßschlange war zu diesem Zeitpunkt gefühlt unendlich lang, und ich reihte mich sehr weit vor den Tanzbrunnentoren ein. Wie das in Warteschlangen so ist, bekommt man unwillkürlich die Gespräche der anderen mit. Und wie in jeder anderen Schlange, hörte ich auch hier die üblichen Vordrängelgespräche. So auch bei einer Mädchengruppe in meiner Nähe, die scheinbar Bekannte hatten, die viel weiter vorne standen. Solle man nun da hin, oder nicht, so die heiß besprochene Frage. Die Gruppe war zweigeteilt ob der Antwort. Alle bis auf eine waren dafür. Frei nach dem Motto ‘Guck mal, es gehen so viele an uns vorbei‘ wollte man die moralischen Bedenken der Kollegin wegwischen. Diese blieb aber standhaft, und so blieb die Gruppe zusammen und verhielt sich fair den Mitwartenden gegenüber. ‘Gut gemacht‘, dachte ich, und ‘es ist ja auch noch Zeit‘. Das stimmt. Denn selbst nach 30minütiger Schlangenzeit blieb immer noch eine gute Stunde, bis Arcade Fire auf die Bühne gehen sollten.
Nachdem der ganze Anstell- und Einlaßkram erledigt war, war es am Tanzbrunnen zwar voll, aber nicht unmöglich, hinten rum, also auf der entgegengesetzten Seite, bis ganz nach vorne zur Bühne zu gelangen. Ich war froh, dass mir das noch gelang; aus der Erfahrung heraus weiß ich, Tanzbrunnenkonzerte von hinten gehören zur übelsten Kategorie. Entweder einer der Pilzdachpfosten ist im Blickwinkel oder aber man ist umringt von Gesprächskreisgrüppchen. Beides ist eher unvorteilhaft für einen Konzertbesuch.
Die kolumbianische Vorband Bomba Estéreo war bei ihrem letzten Song „Fiesta“ angekommen, als ich meinen Platz gefunden hatte. Ich kann nicht beurteilen, ob und wie gut die Band, die in Südamerika sicher groß ist, nun wirklich war. Der Applaus der umstehenden zeigte mir, dass sie mit ihrem Auftritt nicht alle Sympathien verspielt hatten.
Gut 2 Stunden später.
Arcade Fire haben gerade die Bühne verlassen, und die blaubehelmten Bühnenarbeiter dieselbe betreten, als ich immer noch leicht sprachlos und entgeistert rumstehe. Wow, was für ein Konzert haben die Kanadier da gerade abgeliefert. War das großartig! Hätte ich ihnen das zugetraut? Ein ganz klares ‘nein‘ ist die Antwort auf diese Frage. Denn zu merkwürdig finde ich die neuen Songs, in meinen Ohren zu schwach Reflektor, das letzte ihrer bisherigen vier Alben. War nicht schon zu dancy? Und jetzt setzen die neuen Singles „Everything now“ und „Creature comfort“ auf dancy noch einen drauf. Du kannst auch Abba zu mir sagen, lese ich überall in den Kommentaren und Anmerkungen. Beim ersten Hören von „Everything now“ kam mir spontan „Can’t take my eyes off you“ in den Sinn. Aber vielleicht haben Abba auch gecovert.
Jedoch egal ist all das in diesen Minuten nach dem Konzert. Die drei neuen Songs, neben den beiden Singles spielten sie noch einen weiteren neuen Song, waren formidabel, und der Rest eh alles Hits. Alles passte an diesem Abend zusammen. „The Suburbs“, ich hatte die Schönheit dieses Songs fast vergessen, „Neighborhood #3 (Power out)“, „Wake up“ gegen Ende des Konzertes, oder „Rebellion (lies)“, „No cars go“ und „Haïti“ eher zu Beginn waren ebenso toll. Ich höre zuhause nicht oft Arcade Fire Songs, und Funeral, das erste Album, lag schon ewig nicht mehr im CD Spieler. Umso besser, hier schöne und modifizierte Liveversionen („Haïti“ war völlig anders) präsentiert zu bekommen.
Schnell wurde getanzt und an den richtigen Stellen mitgeklatscht. Ich freute ich mich, dass sowohl die Band als auch das Publikum in großer Feierlaune waren. Win Butler turnt auf den Monitorboxen, besucht kurz die erste Reihe. Seine Ehefrau Régine Chassagne tanzt im ledernen Jumpsuite und einem Lachen im Gesicht über die Bühne und Bruder William jagt wie eh und je mit der Trommel im Arm über die Bühne, spielt Gitarre oder hüpft zwischen seinen beiden Keyboardtürmen hin und her. Es ist ein typisch irrer Arcade Fire Auftritt. Am Morgen nach dem Konzert lese ich viel Kritisches über das Mitgeklatsche und die Animationsunternehmungen der Band, dieses zu tun. Ich wundere mich immer ein wenig über solche Kritik, denn ist es nicht vollkommen egal, ob, wann, wie und warum mitgeklatscht wird. Wenn William Butler zum mitklatschen auffordert, dann muss man dem ja nicht folgen. Aber diejenigen, die das machen, sollte man auch nicht kritisieren. Die Band kritisiert einen ja auch nicht, wenn man ihrer Aufforderung nicht nachkommt (was allerdings auch merkwürdig wäre). Wie heißt es so schön: Leben und leben lassen. In diesem Fall sicher die beste, und für alle entspannendste Wahl.
Scheinbar half es, dass die spiegelnde Verkleidung der Bassdrum und Keyboards vor Konzertbeginn nochmals ordentlich von Roadiehand gewienert wurden. Der Abend glitzerte ohne Ende.
Kontextkonzert:
Arcade Fire – Köln, 22.08.2007 / Palladium
Arcade Fire – Rock a Field, Luxemburg, 26.06.2011
Arcade Fire – Primavera Sound Festival Barcelona, 29.05.2014
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