Ort: Lanxess Arena, Köln
Vorband: Timbaland

Jay Z

Die Fahrzeit mit dem Zug nach Köln-Deutz beträgt knappe 50 Minuten. Das sind nur 5 Minuten mehr, als eine Fahrt von Berlin-Friedrichshain zur Passionskirche in Kreuzberg. Ich dachte darüber nach, weil ich schon länger und immer mal wieder überlege, wie es ist, in einer Großstadt zu wohnen, so von wegen der besseren Möglichkeiten und der flexibleren Verkehrsanbindungen im öffentlichen Nahverkehr. Nun, bei meinem letzten Berlinaufenthalt hätte es sich fahrzeitentechnisch nicht wirklich bemerkbar gemacht, ich hätte auch, ich sag mal, von Strausberg aus zur Passionskirchen fahren können, das wäre wahrscheinlich ähnlich lang gewesen. Oder eben aus der Voreifel nach Köln.
Gefühlt ist der innerstädtische Nahverkehr vielleicht kürzer, entspannter ist vielleicht die Fahrt mit der Regionalbahn aus der Satellitenvorstadt. Manchmal ist es eben gehopst wie gesprungen und das Leben in der Großstadt erfährt eine Überbewertung, die es nicht immer verdient hat. Manchmal aber schon.
Was das alles mit dem Jay Z Konzert zu tun hat. Nichts, aber da ich sehr zeitig unterwegs war, hatte ich viel Zeit, über solchen Unsinn und allerlei Belangloses nachzudenken.

Die Kategorisierung seiner Lieblingsmusik nach der Musiksparte finde ich blöd, denn eigentlich gibt es nur „mag ich“ oder „gefällt mir nicht“, trotzdem möchte ich sie verwenden. Es klingt so schön. Offiziell bin ich Indiemusikliebhaber. Gitarren und so’n Kram. Aber ich habe und hatte schon immer ein kleines Faible für Hip-Hop. Beastie Boys, die ja seinerzeit auch irgendwie Indie waren und Advanced chemistry hörte ich in den 90ern sehr oft, auch Kid Frost oder Warren G und Luscious Jackson, in den 00ern dann The Streets und aktuell Ghostpoet (beide die britische Variante), Frank Ocean, Das Racist und Theophilus London.
Manchmal schleiche ich mich auch zu ihren Konzerten, die letztgenannten habe ich so schon live gesehen. So ganz verstehe ich dabei das Hip-Hop Ding jedoch nicht, ich fühlte mich aber immer und jedes Mal sehr gut unterhalten. Von daher: immer alles richtig gemacht.
Zu Jay-Z (damals noch mit Bindestrich) wollte ich schon im vergangenen Jahr. Seine Konzerte mit Kayne West interessierten mich sehr. Leider zögerte ich zu lange mit meiner Entscheidung, ob ich mir eine Karte kaufen solle oder nicht, und als ich mich entschlossen hatte, hinzugehen, waren sowohl für Frankfurt als auch für Köln alle Innenraumkarten weg. Und Sitzplatz war mir zu doof.
Als dann im Frühjahr die Magna Carta World Tour angekündigt wurde, zögerte ich nicht so lange. Nur eine Stunde gab ich mir des hin und her Überlegens (der Kartenpreis), bis der Verstand siegte. Und der sagte: hingehen!
Als dann das Album „Magna Carta…Holy Grail“ erschien, war ich etwas enttäuscht. An das „Blueprint 3“ Album kam es bei weitem nicht ran. Bisher zumindest bei mir nicht. Der Opener „Holy Grail“ ist mir unerträglich. Das Nirvana Sample finde ich fürchterlich. Beim Rest bin ich noch unschlüssig. Aber der gesamte „Blueprint 3“ Albumskram ist großartig.

Ich war sehr früh in der Arena und wie sich gegen 20 Uhr herausstellte, fiel zu früh; der Innenraum schien nicht ausverkauft gewesen zu sein. Aber ich wollte im Vorfeld auf Nummer sicher gehen, und mich früh in den vorderen Bereichen etablieren, daher wählte ich eine sehr zeitliche Anfahrt. Dass ich auch noch um viertel vor acht bis ganz nach vorne gelangen könnte, wer konnte das ahnen.
Also hatte ich Zeit, zum lesen, zum über meine Lieblingsmusik und mein Hip-Hop Ding nachdenken. „Sag mir welcher Pfad zur Geschichte führt“, ich finde es nach wie vor großartig. „Paul‘s Boutique“ ist ein Meisterwerk, mehr brauche ich nicht zu sagen, MC Solaar’s „Qui sème le vent récolte le tempo“ famos, Neneh Cherry „Homebrew“ eines meiner Lieblingsalben.
In Gedanken kam ich von hier nach da, träumte mich so durch die Wartezeit und lauschte nebenbei Lady, die durch die Arenaboxen schallten. Na, was man eben so aus Langeweile macht, wenn man auf dem Betonboden einer Mehrzweckhalle sitzt.

Support Timbaland hieß es in der Ankündigung. Als gegen 20 Uhr die Hallenbeschallung etwas lauter wurde, schien es so, als ob der Support beginnen würde. Allerdings blieb die Deckenbeleuchtung an und auf der Bühne war außer ein paar Roadies nichts zu sehen. War das jetzt das angekündigte DJ Set? Aus meiner Position heraus konnte ich nicht erkennen, ob Herr Timbaland auf der Bühne „Platten“ auflegte, ob er aus seinem Hilton- Hotelzimmer heraus seine IPod Wiedergabeliste in die Halle streamte oder ob nur jemand aus der Technik aus Versehen an den Lautstärkeregler gekommen. Parallel zur lauteren Musik wurden in der 2. und 3. Etage der Bühne nach wie vor Schlagzeug und Keyboards feinjustiert. Mmhh.
Egal, Timbaland sollte in der Mitte des Jay Z Sets noch seinen Auftritt haben. Und was er dann vom Stapel ließ, war wunderbar. Timbaland besetzte dann den linken Keyboardturm, auf der rechten Seite unterstützte ihn Omar. Schlagzeuger und Gitarrist waren auf den hinteren Türmen noch eine Etage höher platziert.
„Er erinnert mich an Vito Spatafore aus dem Soprano Clan“, kam es mir in den Sinn. Welch ein Koloss von Mann und welch ein Gespür für tanzbare Beats und Songübergänge. Seinen Mix hätte ich sehr gerne zum nachhören. Da passte einfach alles und es machte mir riesigen Spaß, zuzuhören. Ernsthaft.

Der „Gastauftritt“ Timbaland markierte einen Bruch im Jay Z Konzert. War der Beginn doch eher zögerlich zaghaft, setzte es nach dieser Pause nur noch Hits. „Niggas in Paris“ (drei Mal), „Run This Town“, „I just wanna love U (give it 2 me)”, „Empire State of mind“. Da war es dann auch sehr egal, dass Rihannas und Alicia Keys Gesangstimme nur vom Band kam, zu diesem Zeitpunkt war es bereits das perfekte und ein richtig gutes Stadionkonzert. Lichtshow, Videoinstallationen, Interaktion mit dem Publikum (Kamerazooms in die Menge – so wie man sie vom Football kennt – mal süß, mal peinlich).
Das Konzert hatte sich zu einer wirklich guten Show entwickelt und ich hätte nie und nimmer gedacht, dass mich Jay Z mit einem so großen Staunen zurücklässt. Und wenn während der einzelnen Musikervorstellung im Zugabenteil diese plötzlich Coldplay anstimmen (Keyboarder Omar) oder U2, dann mag das peinlich klingen, war es im Moment aber keineswegs.

Ja, ich war relativ sprachlos und ja, das Konzert überraschte mich positiv über alle Maßen. Ich hatte völlig vergessen, wie schön unterhaltend Stadionkonzerte sein können. Jay Z und Gaunerkollegen zeigten mir das an diesem Abend auf wunderbarste Art und Weise. Dieser rundum perfekte Abend kann natürlich nicht der allgemeingültige Maßstab sein, aber er zeigte mir sehr gut, was möglich ist. Auch bei einer relativen kleinen musikalischen Schnittmenge. Meine Neugierde war in diesem Fall gut, die Euros und 50 Cent wohlbringend angelegt!

Der Kölner Stadtanzeiger zeigt sich ähnlich schwelgerisch. Ich habe dem nichts hinzuzufügen, nicke aber innerlich sehr:

Jay Z ist der Sinatra des Rap, eine Führungspersönlichkeit mit virtuosem Mundwerk. Alles, was das Publikum will, ist, eine Nacht in seiner Aura zu baden und sich von seinem unnachahmlichen Flow verführen zu lassen. Neue Regeln können sich andere ausdenken. Da sollte man sich weder von den hektischen Videoeinspielungen täuschen lassen, die geschickt von Überwachung, Information und Datenleaks erzählen, noch von der Anwesenheit des alten Produzentenmeisters Timbaland, der jetzt für König Z das Keyboard bedienen darf – und in der Mitte der Show beatboxend und samplend an seine alten Erfolge erinnert.
Das schlaue Geklotze beherrscht Jay Z nun mal perfekt. Aber was diese Arena-Show lohnenswert macht, ist die beiläufige Eleganz, mit welcher der Rapper die Reime fallen lässt – und die erstaunliche Tatsache, dass er dabei aller gebotenen Coolness zum Trotz stets lächeln muss.

Multimedia I:
http://www.youtube.com/watch?v=7ynWPcE4ZjE

http://www.youtube.com/watch?v=xV_9epCoDh4

Kontextkonzerte:

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