Ort: Robert Schumann Saal, Düsseldorf
Vorband: Fryars

Billy Bragg

Dieser Tage überlegen sich die französischen Fußballspieler bzw. alle Vereine der ersten und zweiten französischen Liga, Ende des Monats den Spielbetrieb einzustellen. Sie wollen damit gegen die Reichensteuer von Präsident François Hollande protestieren, die von den Unternehmen für alle Angestellten bezahlt werden muss, die mehr als 1 Million Euro im Jahr verdienen. 75% beträgt der Steuersatz auf dem Papier, der die Gemüter in Wallung bringt.
Auch Billy Bragg bringt oder brachte so einiges in Wallung: Bergwerksschliessungen, Krieg, politische Ungerechtigkeiten und Fehlhandlungen, das Verlassen werden durch die Freundin. Im Vergleich zu den Protestlern des französischen Fußballs sind dies essentielle und wichtige Gründe. (Obwohl, Fußball ist auch wichtig!).
Als Protestsänger wurde der britische Sänger vom New Fall Conférencier vorgestellt. Das New Fall Festival und Billy Bragg. Als ich die Konzertankündigung las, fragte ich mich spontan, ob diese Kombination zusammenpasst. Auf der einen Seite das neue, jungdynamische, zeitgenössische Festival mit – so kam es mir in den letzten beiden vor – frischen, jungen Bands, und auf der anderen Seite der alte Billy Bragg, der besser in einen kleinen Club oder Pub passt, auch wenn er kein Bier mag, als auf die Konzertbühne eines Museums. Diese eher oberflächliche Einschätzung relativierte sich im Laufe des Abends allerdings sehr schnell. Sehr gut passte Billy Bragg und seine vierköpfige Band auf die Konzertbühne des Robert-Schumann Saals, der mit seiner bequemen Bestuhlung und einer ausgezeichneten Akustik glänzte.
Das New Fall Festival (oder „as we in England say, neue Herbst Festival“ (Billy Bragg)) 2013 scheint endgültig etabliert zu sein. Drei Konzerte des Festivals waren bereits im Vorfeld komplett ausverkauft, und auch bei den guten 90 Minuten im Robert Schumann Saal blieb kaum ein Stuhl leer. Es ist aber auch eine herrliche Idee, Konzerte in einem Museumssaal und in der benachbarten Tonhalle stattfinden zu lassen. Es machte mir auch dieses Jahr wieder mächtig Spaß, in dieser entspannten und aufgeregten Atmosphäre Bands und Musik zu genießen.

Billy Bragg stand schon länger auf meiner Konzertliste. Irgendetwas in mir wollte ihn immer schon mal live gesehen haben. Ich bin nicht der ganz große Fan, vielleicht sogar auch überhaupt kein Fan, aber es gibt da dieses eine Album, dass ich sehr mag und das ich früher sehr oft gehört habe: Don’t try this at home aus dem Jahr 1991. Es ist mein einziger ernsthafter Berührungspunkt mit Billy Bragg, das in den Scheunendiscos Ende der 80er herauf und heruntergespielte „New England“ möchte ich nicht als ernsthaften Berührungspunkt ansehen. Das kannte seinerzeit jeder, egal ob im Original oder als Kirsty MacColl Coverversion. „A new England“ ist ein toller Song, einer, den man voller Verständnis nach- und mitgrölen kann: „I don’t want to change the world, I’m not looking for a new England, I’m just looking for another girl”. Aber seine wahre Schönheit entdeckte ich erst später, Jahre nach den Scheunendiscodisastern.

Am Samstagabend beendete Billy Bragg „New England“ sein Konzert. Standesgemäß, möchte man sagen, der größte Hit zuletzt. Zusammen mit „There will be a reckoning“ bildete er den zweiten Bandblock, nach einem zuvor gespielten, längeren Soloauftritt. Dieser wurde eingerahmt von den beiden Überhits des 1992er Albums Don’t try this at home. „You woke up my neighbourhood“ war der letzte Song in Bandbesetzung vor und „Sexuality“ der erste Song in Bandbesetzung nach dem Solopart. Dazwischen spielte Billy Bragg eine Handvoll älterer und alter Lieder. Und er erzählte sehr unterhaltsame Geschichten: über Morrissey und seinen Lieblingstee, über Amsterdam, Lou Reed, die Frisur des Gitarristen, Gott und die Welt sowie ein bisschen über Politik, natürlich.
Dass der Engländer ein großer Woody Guthrie Fan ist, erfuhr ich im ersten Teil des Konzertes. Mit “I ain’t got no home“ vom aktuellen Album spielte er mindestens einen Woody Guthrie Song, aber ich glaube, auch „All you fascists are bound to lose“ war im Programm. Beides steinalte Stücke, die aber kein bisschen an Aktualität, textlich wie musikalisch, eingebüßt haben. Zeitlose Klassiker eines zweifellos großartigen Musikers.
Diese kleine Woody Guthrie Sektion gefiel mir weniger gut, das war mir etwas zu viel Pedal-Steel-Gitarre und Country. Im Laufe des Abends reduzierte sich der Einsatz dieses Instrumentes. Zwar hört man auch auf, zum Beispiel, „You woke up my neighbourhood“ dieses Instrument heraus, allerdings ist es dort nicht so vorherrschend eingesetzt wie eben bei den Songs des neuen Albums oder den Guthrie Covern. Und somit hat Billy Bragg natürlich recht, wenn er sagt, dass er die Pedal-Steel Gitarre schon immer eingesetzt hat, und nicht erst mit „Tooth & Nail“ countrylastig geworden ist. Es wurmt ihn bei den aktuellen Plattenbesprechungen ein bisschen, nun als „Countrymusiker“ bezeichnet zu werden. Der Begriff Country scheint in England einen schlechten Ruf zu haben, und Billy Bragg wollte seine Beziehung zur amerikanischen Musik und zur Pedal-Steel-Gitarre wohl irgendwie erklären. Für mich hörenswerter wird es dadurch allerdings nicht.

Eine Band mit Namen Fryars bildeten den Support. Ich kannte sie bis dato nicht, überdies war ich ohne Hoffnung auf einen Vorband nach Düsseldorf gefahren. Umso schöner, dass es nicht nur bei einem musikalischen Auftritt an diesem Abend blieb. Ich hätte mich anschließend wohl dumm und dusselig gegooglet, wenn Ben Garrett, der Mann hinter Fryars, den Bandnamen nicht explizit buchstabiert hätte. Vermerkt ist er nämlich weder im Spielplan noch auf lastfm. Die Band im Internet nicht wiederzufinden wäre schade gewesen, denn Fryars machen James Blake Musik, so mein erster pauschaler Liveeindruck. Und da ich James Blake sehr mag, fand ich auch Fryars nicht verkehrt.
Leider hielt sich um mich herum der Applaus in Grenzen, die Ankündigung des letzten Songs nutzten überdies viele dazu, noch schnell den Saal für eine Zigarettenpause zu verlassen.

„Accident waiting to happen“ setzte den Schlusspunkt an diesem Abend. Es war ein schönes Ausrufezeichen, ein würdiges Finale und für mich das bessere „New England“. Das hat im Bandgefüge gespielt doch zu viel von seiner Energie und Dynamik eingebüßt, „Accident waiting to happen“ dagegen ist auch in voller Instrumentierung ein Überhit.
Ein Billy Bragg Soloauftritt ist schon eine ganz andere Nummer, vielleicht sogar die bessere Wahl für ein Billy Bragg Konzert. Mit diesem Gedanken verließ ich den Robert-Schumann Saal, hatte natürlich den „New England“ Refrain im Kopf und war mir trotz Bandkonzert sehr sicher, ein wunderbares Konzert gesehen zu haben.

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