Ort: Düsseldorfer Schauspielhaus, Düsseldorf
Vorband: –

Mein letzter Besuch beim New Fall Festival ist schon ein paar Jahre her. Schade eigentlich, denn das Musikfestival rund um die Tonhalle und den Robert-Schumann-Saal ist ein schönes Indoor-Festival. Doch leider hat es sich über die Jahre seit der ‘Erstausstrahlung’ nicht so oft ergeben; manchmal lag es an mir, manchmal an den Festivalangeboten. In diesem Jahr stimmte das Angebot. Große Namen, interessante Konzerte versprachen einiges. Wet leg, Róisín Murphy, Yann Tiersen, Perfume Genius, Betterow, Samy Deluxe, Charlie Cunningham, selten war ein New Fall Festival so hochkarätig besetzt. leider hatte ich nicht an jedem der Festivaltage Zeit, aber Betterov am Klavier im Düsseldorfer Schauspielhaus am Sonntag wollte ich (und konnte ich) mitnehmen. Das versprach interessant zu werden und im Düsseldorfer Schauspielhaus war ich auch noch nie. Also buchte ich ein Ticket und stellte dann fest, dass das Konzert für 15 Uhr nachmittags angesetzt war. Ist das ein Problem? Nein. Im Gegenteil, so sprach nichts gegen eine – sicherlich gemütliche – Anreise mit dem Zug. Um es gleich vorweg zu erwähnen, das Konzert im wirklich sehr schönen Düsseldorfer Schauspielhaus war gemütlich, die Zugfahrt eher so semi-gemütlich.
Am Sonntag Mittag und -nachmittag gehören die Regionalbahnen den Sportfans. Eishockey und Fußball dominieren an diesem Sonntag das Sportgeschehen in der Stadt, entsprechend themenbelastet und wuselig ist meine erste Zugetappe. Ich erblicke einen HSV-Fan unter viel rot-weiß und höre Geschichten vom UEFA Cup Halbfinale 1980 gegen Ipswich Town bis hin zum letzten Schiedsrichterversagen im DFB-Pokalspiel am letzten Dienstag. ‘Wo ist der VAR, wenn man ihn braucht’, lautet zusammengefasst der Tenor einer Dreiergruppe mit Reissdorf-Sixpack. Interessanterweise klingen die drei jedoch eher nach Fussballfantraditionalisten, die ansonsten und eigentlich jedwede Existenzberechtigung des Kölner Kellers in Frage stellen. Motto: Entscheidungen sollen auf dem Platz gefällt werden und nicht nach 5-minütigem Zeitlupe gucken vor einem Monitor. Lange Rede kurzer Sinn: sowohl die Zugfahrt nach Düsseldorf als auch zurück (starker Besuch von Lautern Fans im RE nach Koblenz) ist amüsant und unterhaltsam. Aber eben auch sehr voll.
Betterov.
Betterov am Klavier. So wird das Konzert angekündigt. Und das ist glatt gelogen. Auf der Bühne steht kein Klavier, dort steht ein Keyboard oder allerhöchstens ein Digitalpiano. Den Unterschied kennen nur Musikprofis. Ich bin keiner, daher weiß ich nur, dass ein Klavier anders aussieht. Vielleicht meinen und nutzen die New Fall Macher in ihren Ankündigungen zum Konzert auch die ältere Definition des Begriffs Klavier. Bei Wikipedia lerne ich, dass historisch betrachtet das Wort Klavier allgemein irgendein Tasteninstrument bezeichnet, gelegentlich auch nur eine Klaviatur, also einen Teil eines Instruments. Und schon wäre alles wieder gut. Okay. Genug.
Von Betterov kenne ich nicht viel. Vor vielen Monaten sah ich mal ein Video zu „Dussmann“, vor einigen Tagen schaute ich mir das Video zu „Papa fuhr immer einen großen LKW“ an. Bei beiden Songs reizte mich der Titel. Sicherlich sehr ungewollt, aber bei mir hat der Clickbait funktioniert. Beide Songs fand’ ich auf Anhieb toll. Ich nahm mir daraufhin vor, Betterov etwas im Auge zu behalten. Die Ankündigung seiner Akustikkonzerte (Betterov am Klavier) verfolgte ich bis zu dem Punkt, an dem das New Fall Konzert hinzukam. Betterov am Klavier im Düsseldorfer Schauspielhaus; ‘wenn schon, denn schon’, dachte ich mir und griff zu.
Das Schauspielhaus füllt sich langsam, als ich den Saal betrete. Ich hatte vorher keine genaue Vorstellung, wie groß der Raum sein wird, die Größe deckt sich mit meinen Vermutungen. Gut 700 Leute finden im großen Saal Platz, eine angenehme Größe, wie ich finde. Das Konzert ist ausverkauft, seit einigen Tagen schon. Es ist das letzte Betterov Konzert in der Machart Solo am Klavier. Ende der Woche erscheint sein neues Album Grosse Kunst, aus dem er an diesem Abend einige Songs präsentiert, im Frühjahr 2026 folgt dann eine weitere Tour.
Betterovs Album „Große Kunst“ wird als opulentes, persönliches und klanglich vielfältiges Werk beschrieben, das seine Biografie, Familiengeschichte und die Erfahrungen des Aufwachsens in der DDR verarbeitet. Die Reviews heben die Mischung aus melancholischen Balladen und eingängigem Indie-Rock mit Dark-Wave- und NDW-Elementen hervor, die durch eine kontrastreiche Inszenierung von lauten und leisen, dramatischen und warmherzigen Momenten gekennzeichnet ist.
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Und der NDR titelt ‘Indie mit Tiefgang: Betterovs Sound der neuen Melancholie’. Ich denke, das trifft es sehr gut.
Die bereits im Sommer veröffentlichten Songs „17. Juli 1989“ und „18. Juli 1989“ stehen exemplarisch für das, was man von Grosse Kunst erwarten kann. Ich höre sie an diesem Nachmittag zum ersten Mal, auch die Geschichte dahinter, und bin direkt emotional angefasst. Hier erzählt jemand dramatisches aus seinem Leben, sowas nimmt alle irgendwie mit. Und Betterov erzählt es so gut und die Musik dazu ist so perfekt ausgewählt, dass es einfach zwei schöne, melancholische Songs sind. Erst recht in der reduzierten Version nur mit Klarinette/Saxophon- und Kontrabass-Begleitung.
Zu dritt stehen sie auf der großen Bühne. Links die Klarinettistin, rechts der Bassist. In der Mitte sitzt frontal zum Publikum Betterov am Keyboard/Digitalpiano. Meine schlimmste Befürchtung war, dass er den ganzen Abend mit dem Rücken zu mir sitzt, weil das Klavier eher im rechten Winkel zum Bühnenrand aufgebaut ist. Bei anderen Konzerten hatte ich durchaus dieses Pech. (Billy Corgan solo fällt mir da spontan ein). Musikalisch klingt das sehr oft sehr melancholisch und traurig schön. In diesem Sinn ist es ein gutes Herbstkonzert, die ruhigen Molltöne, das sanfte Saxophon und Betterovs unaufgeregter Gesang passen gut zu dieser Jahreszeit. Vom indierockigem oder post-punkigem in seinen Melodien bleibt in dieser Konstellation wenig übrig. Das finde ich jedoch nicht schade, ganz im Gegenteil. Ich bin zwar neugierig, wie seine Songs live mit Band klingen, aber besser als in dieser Konstellation geht es eigentlich nicht. Oder doch. Ich fürchte, ich muss mir Betterov im nächsten Frühjahr mit Band ansehen. Einfach, um es herauszufinden.
Diese Konzert hat mich voll überzeugt. Von den ersten Minuten an bin ich gefesselt und ich genieße die gut 80 Minuten sehr. Was für eine tolle Veranstaltung, was für ein schöner Nachmittag.
PS: Ich brauche seine drei bisher veröffentlichten Platten.
Setlist:
01: Alles nur ein Film
02: Du hast in mein Herz gemalt
03: Nacht
04: 17. Juli 1989
05: 18. Juli 1989
06: Hier wache ich
07: Papa fuhr immer einen großen LKW
08: In meinem Zimmer spielen sich Dramen ab
09: Mücken-Song
10: Mein Leben ist monoton
11: Angst
12: Viertel vor Irgendwas
13: Dussmann
14: Schlaf gut
Zugabe:
15: Irrenanstalt
16: Platz am Fenster
Kontextkonzerte:
Die Sterne – New Fall Festival Düsseldorf Summer Edition, 26.07.2021
Destroyer – New Fall Festival Düsseldorf, 19.11.2017
John Grant – New Fall Festival Düsseldorf, 29.10.2016
Apparat – New Fall Festival Düsseldorf, 30.10.2015
Billy Bragg – Düsseldorf, 02.11.2013
Stabil Elite, Dillon – Düsseldorf, 06.10.2012