Ort: Rober-Schumann-Saal, Düsseldorf
Vorband: Chassol

Apparat

Chassol machen das gut. Auf der Videoleinwand am Bühnenhintergrund flimmern Filmschnipsel. Dokumentationsauszüge, selbstgedrehtes, vornehmlich von der Südseeinsel Martinique. Dazu spielen der französische Komponist und Pianist Christophe Chassol und sein Begleitmusiker eine Art Soundtrack. Man muss sich das so wie früher in einem Stummfilmkino vorstellen: Musiker, die vor der Leinwand sitzen, untermalen das Geschehen auf der Leinwand musikalisch. Chassol intonieren die Sequenzen jedoch so, dass sie dadurch in einen anderen Kontext gestellt werden. Wurde im Stummfilmkino Spannung durch dramatische Musik erzeugt, so wird bei Chassol aus einem Monolog eines Jugendlichen urplötzlich Hip-Hop oder aus den Erläuterungen und dem Beispielpfeifen eines Vogelstimmenimitators ein wunderschönes easy-listening Stück. Die 60 Minuten sind enorm kurzweilig und abwechslungsreich, das Zusammenspiel zwischen Leinwandaktion und Musik zu verfolgen, macht Spaß.

Zwei Stunden später höre ich bei Apparat auch Vogelstimmen. Mittlerweile ist die Hektik ist aus dem Saal gewichen. Als Chassol spielten, war sie noch da, weil viele Leute erst spät in den Saal kamen, umherirrten und mit ihren Handys die Stuhlreihen nach der richtigen Reihe und der Sitznummer ableuchteten. Das Krächzen von Wildgänsen taucht kurz in einem seiner Songs auf. Zu diesem Zeitpunkt spielen Apparat schon eine ganze Weile und ich bin fasziniert von seinem Auftritt. Doch was ist das für eine Musik, die Sascha Ring mit seinen Musikerkollegen aufführt? Dinge gilt es beim Namen zu nennen, aber hierfür fällt mir kein passender ein: Elektro, Ambient, Dance-trance, all das scheint mir unpassend. Später am Abend google ich noch und werde rasch mit diesem Satz fündig:

Seine aktuelle Musik ist eher dem Electro, clicks & cuts oder IDM zuzuordnen und wird zum Teil von klassischen Instrumenten begleitet.

Mhh, diesen Satz wirft in mir Fragen auf, weil ich den Begriff clicks & cuts noch nie gehört habe und mir die Abkürzung IDM bisher nicht geläufig war. Aber intelligent dance music gefällt mir, auch das Wörtchen Electronica, das im weiteren Kontext des Artikels auftaucht, finde ich geeignet.
So wird meine Frage vom Konzertabend beantwortet. Es war so ziemlich das einzige, was mir während des Konzertes durch den Kopf ging. Denn ein gedankliches wegdösen geht nicht. Die Musik ist zwar elektronisch sanft, aber sie ist trotzdem unruhig und fordernd. Da hilft auch ein gemütlicher Konzertsaal mit bequemen Stühlen und angenehm abgedunkeltem Licht nichts.
Apparat kommen zu fünft auf die Bühne, soweit ich das aus der Entfernung und im dunklen Licht sehen kann. Eigentlich ist Apparat Sascha Ring, live unterstützen ihn jedoch weitere Musiker. Violine, Trommeln, Gitarre, aber natürlich auch einige Keyboard und Computerkram bestimmen die Szenerie. Zusammen mit Modeselektor hat er noch eine andere Band: Moderat. Moderat und Apparat verwechsle ich andauernd, „Bad kingdom“, diesen feinen Tanzflächenstampfer bringe ich fälschlicherweise immer wieder mit Apparat zusammen; er ist von Moderat. Ganz sicher weiß ich jedoch, dass das Album Krieg und Frieden von Apparat stammt, dessen kleiner Hit „LightOn“ auch an diesem Abend gespielt wird. Es ist einer der vereinzelten Song, zu denen sich Sascha Ring von seinem Sitz erhebt, ans Mikrofon stellt und singt.
Viele andere Stücke kenne ich nicht. Das stört wenig, denn Soundtracks, so der Name der Tour und irgendwie auch ihr Motto, funktioniert hervorragend. Es ist wahrlich ein Soundtrack, der sich eingängig in meinen Kopf schleicht und nicht mehr weggeht. „Black water“ bleibt hängen, „LightOn“ auch. Es sind die Songs, die ich kenne.
Die Videoinstallationen, die über die Leinwand flackern, werden dabei live auf der Bühne zusammengebaut. Hier kommt nichts von Band. Kraftwerk machen das auch so. Die Videosequenzen sind oft sehr düster, graue Quader und andere geometrische Objekte schieben sich durch ein Nichts und in Verbindung mit der Musik erinnert mich das an Filme wie Blade Runner oder Abyss. Der Sound ist brillant. Es ist mal wieder eines dieser typischen New Fall Konzerte, mit bedacht und großem Musikverständnis dem Konzertort angemessen ausgewählt und bestmöglich in Szene gesetzt.
Da die Stücke fast immer mit leisen Klängen ineinander übergehen, traut sich niemand, zu applaudieren. Apparat spielen sicher schon über eine halbe Stunde, bis sein erster Klatscher einfach in einen solchen leisen Songübergang hineinapplaudiert. Ab diesem Zeitpunkt stellt sich die Applausfrage nicht mehr, groß ist der Jubel nach jedem weiteren Song.
Als zur Zugabe alle Musiker hinter ihren Laptops / Keyboards standen und rhythmisch mit den Oberkörpern hin und her wippten, sah das nicht nur witzig aus. Es wurde auch enorm laut und wuchtig. Was für ein schönes Musikgenre das Electronica Ding doch ist, dachte ich.
Ein tolles Konzert.

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