Ein paar Tage in Skopje.
Diese Stadt wirkt merkwürdig. Gebäudefassaden im römisch, neo-klassizistischem Stil wechseln mit sozialistischen Betonbauten und Neubauprojekten, die hoffentlich zuende geführt werden. Betritt man zum ersten Mal den Platz an der alten Steinbrücke ist man erstmal erschlagen. Eine riesengroße Statue nimmt den gesamten Blick ein: überdimensioniert und einfach zu groß erhebt sich das Standbild von Alexander dem Großen in der Mitte des Platzes.
Groß ist hier Programm, denn riesig ist auch die Staue auf der anderen Seite der Brücke vor dem Eingang zum alten Bazar, direkt neben dem jüdischen Mahnmal und nur einen Steinwurf entfernt von der mazedonischen Philharmonie, einem Betonbau in schönster Brutalismus Optik.

Skopje - Macedonia SquareDoch zurück zum Macedonia Square und der 22 Meter großen Statue. Die alte Steinbrücke – eines der Wahrzeichen der Stadt – wirkt dagegen fast mickrig, das alte Kinderkarussell ein paar Schritte weiter in Richtung Vardar, wie aus einer anderen Zeit. Denn nicht nur die Statue wirkt fehl am Platz. Auch die Hausfassaden erscheinen befremdlich. Wo früher einmal sozialistische Betonbauten im Stile des osteuropäischen Brutalismus standen, stehen sie zwar heute mitunter immer noch, allerdings mit aufgeklebten Fassaden im neoklassizistischen Stil. So bildet sich ein irriger Baumix aus alten Steinbauten, 1960er Jahre Betonbauten, pseudoantiken Tempeln und Gebäuden.

‚Skopje 2014‘ hieß das Programm, das zu einer vollständigen unverständlichen Umgestaltung der Innenstadt Skopjes führte. Ohne Rücksicht auf bestehende Sichtachsen oder ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gebäuden und Platzgröße wurde überall im Zentrum überdimensional und „fake-baroque“ gebaut. Ein Triumphbogen hier, ein Kuppelbau mit Säulen dort. Sogar Piratenschiffe wurden an das Flussufer des Vardar gesetzt. Die Regierung des ausgehenden letzten Jahrzehnts hatte die unsinnige Idee, die Innenstadt Skopjes im neo-klassizistischen Stil neu zu gestalten. So wurden die Fassaden bestehender Gebäude einfach überklebt und mit Säulen, Ornamenten und was-weiß-ich-noch allem ausstyroporisiert. Das sieht auf den ersten Blick ganz amüsant aus, ist aber eine große architektonische Sünde, über die man nur den Kopf schütteln kann. Mal ganz abgesehen von dem Geld, das in diesen Projekten verbraten wurde.
Skopje - VardarDie Bauprojekte und -ideen wurden im letzten Jahr von der neuen Regierung gestoppt. Gott sei Dank, möchte ich sagen. Leider wird es wohl nicht möglich sein, den alten Bauzustand wieder herzustellen. Ab und an sieht man ihn noch in der Stadt, in den Seitenstrassen und den weniger markanten Plätzen. Hier entdeckt man interessante Betonbauten und durchdachte Stadtplankonzepte. Entstanden sind diese Bauplänedurch japanischen Stararchitekt Kenzo Tange. Das war 1963 nach dem großen Erdbeben, bei dem weite Teile Skopjes zerstört wurden. Kenzo Tange hatte den Auftrag, die Stadt wieder aufzubauen.

Sein Masterplan sollte die Fehler der frühen Moderne vermeiden: Er respektierte die erhaltenen Stadtstrukturen und integrierte die neuen Gebäude in die Blockrandstruktur, Funktionen wurden überlagert und Nahversorgung angestrebt. Mit Kommunikations-, Bildungs- und Kulturachsen, innenstadtnahem Wohnen – in der „City-Wall“ aus achtgeschossigen, langgezogenen Wohnbauten – und mit einem Bahnhof auf neustem technischen Stand wurde begonnen, Skopje im zukunfts-optimistischen Geist der sechziger Jahre neu aufzubauen.

Auch wenn Vieles davon weg ist oder nie zuende gebaut wurde, weil andere Interessen die konsequente Umsetzung der Pläne des Architekten behinderten, hat Skopje genug Charme, um der Hauptstadt Mazedoniens einen besuch abzustatten: das alte Stadtviertel rund um den alten Bazar zum Beispiel, den Stadtpark, die alte Festung, das Flussufer. Auch ein paar schöne Brutalismusgebäude existieren noch: das alte Postamt, die St. Klement Kathedrale, das Rundfunk-und Fernsehgebäude.

Ein lesenswerter Link der New York Times habe ich noch gefunden. Ich möchte ihn empfehlen.

 

Aber zur Musik:
Bernays Propaganda kennt man hierzulande nicht. Überhaupt weiß man, oder zumindest ich, viel zu wenig über die osteuropäische Indiemusikszene. Motorama, klar, die sind ein Begriff, aber dann hört es auch schon auf. Bernays Propaganda kommen aus Skopje und machen Postpunk. Vor einigen Jahren besuchte ich ein Konzert der mazedonischen Band in einem Jugendzentrum in Maastricht vor vielleicht 50 Leuten. Die Mehrfachsteckdosen hingen von der Decke, der Filmprojektor für die Visuals war nicht wirklich leistungsfähig genug, es gab selbstgebackenen Kuchen. Ein interessanter Abend, der durch seine Improvisationen eine Menge Liebenswürdigkeit versprühte.

Kontextkonzert:
Bernays Propaganda – Maastricht, 04.05.2016 / B32

Bernays Propaganda sind Sängerin Kristina Gorovska, Gitarrist Vasko Atanasoski und Deni Krstev. Musikalisch stehen sie seit ihrem letzten Album Politika irgendwo zwischen Postpunk Gitarren und Elekropop. Das mit dem Elektropop ist dabei neu, ihre ersten Alben der Jahre 2009 bis 2013 (Happiness Machines, My Personal Holiday, Zabraneta Planeta) sind gitarrenlastiger und punkrockiger.

The result is their new album »Politika« (released March 2016) which flirts with electronic new-wave, taking away some of the guitars’ sharp edges, while the pace is dictated by a drum machine. The new material recalls the sound of New Order and other new-wave artists from the early 80s, as well as the sounds of German indietronic in the vein of The Notwist, a band that underwent a similar sound transformation with their album “Neon Golden”.

Ich sehe den Vergleich nicht wirklich, aber okay. Ich kann nur sagen, dass die aktuelle Platte Politika sehr gut ist und Bernays Propaganda es durchaus verdient hätten, ein bisschen bekannter zu werden.

„Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben. Sie beeinflussen unsere Meinungen, unseren Geschmack, unsere Gedanken.“ – Edward Bernays, Hörspiel Propaganda.

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