Ort: Muziekgieterij, Maastricht
Vorband: Maria W Horn
Wie erklärt man Menschen, deren Musikkosmos sich im Intervall zwischen WDR2/ Radio Antenne irgendwas irgendwas und Kneipenparties bewegt, dass das, ‚was diese komische Band, deren Video du gepostet hast‘, da macht, nicht irgendein ‚komischer Kram‘ ist, sondern ein Musikgenre? Und wie erklärt man diesen Menschen, warum man dafür Geld bezahlt und sich ‘sowas’ anschaut? Nun, am besten gar nicht und man begibt sich in die schweigende Position des Besserwissers und des leicht arroganten Kulturschlaumeiers. Manchmal geht es halt nicht anders. Manchmal muss man diesen unsäglichen Diskussionen einfach aus dem Weg gehen. Mit ‘man’ meine ich übrigens mich und mit ‘manchmal’ den Montagmorgen nach dem freitäglichen Swans Konzert. Es ist halt schwer verständlich, was die Swans so machen.* Ich verstehe das auch nicht immer. Und natürlich ist es einfacher, sich über die letzte Helene Fischer Show auszutauschen als über das, was die Swans gut zweieinhalb Stunden lang auf die Bühne der Muziekgieterij gelegt haben. Das war nämlich zum einen ordentlich schwere Kost und zum anderen ein Konzert ohne jegliche Showeinlagen. Sogar das Licht blieb die ganze Zeit über unverändert.
Die Swans habe ich bisher nur auf Festivals gesehen. Dachte ich zumindest. Dabei vergaß ich ihr Dortmunder Konzert im FZW. Da war ich auch, ich kann mich nicht erinnern. Komisch eigentlich, denn die Hauptsache eines Swans Konzert – die unerträgliche Lautstärke – kann ich für diesen Abend in der Muziekgieterij mit den gleichen Worten beschreiben wie vor gut 10 Jahren:
Lasst mich über den Lärm reden. Er war irgendwann da. Ungefähr zur Hälfte des ersten Songs erreichte er seinen Hauptpegel und ab diesem Augenblick ging er nicht mehr weg. Selbst in den fünf Songpausen des Konzertes hallte er in meinen Ohren nach. Dabei tat der Lärm nicht punktuell weh; es war nicht so wie ein zu hoher Ton oder ein schlecht und zu stark ausgesteuertes Mikrofon oder Instrument. Es war auch nicht so wie bei einem Technobass, der tief und stark im Magen wummert. Hier war es vielmehr die Wucht des Ganzen, die, so kann ich es vielleicht am besten beschreiben, in Wellen auf meinen Körper prallte. Ich habe sowas zuvor bei einem Konzert noch nicht erlebt, aber genauso wie ich mich vor der Bühne fühlte, muss sich eine Brille in einem Ultraschallreinigungsgerät fühlen: Immer und immer wieder kleinen (Druck)wellen ausgesetzt, die einen durchschütteln. Als ich mich nach einigen Momenten daran gewöhnt hatte, empfand ich es als durchaus angenehm. Es fühlte sich nicht nervend an, aber es war irgendwie fordernd. „Ich bin platt“, so oder so ähnlich hörte ich es nach dem Konzert im Vorraum öfter. Und ja, auch ich fühlte mich erschlagen. Zweieinhalb Stunden Lärm sind scheinbar doch nicht ohne.
Bis auf den Ausdruck ‘Als ich mich nach einigen Momenten daran gewöhnt hatte, empfand ich es als durchaus angenehm’ passt die Beschreibung eins zu eins auf das Maastrichter Konzert. Angenehm empfand ich es jedoch zu keiner Sekunde, angenehm ist irgendwie der falsche Ausdruck für das, was auch noch Stunden später in meinen Ohren dröhnte.
Dass der Abend ganz unterschiedlich körperlich spürbar werden würde, beginnt schon mit Maria W Horn, die für die Swans eröffnet. Auf einem großen Tisch sind allerlei Knöpfe und Schalter durch Kabel miteinander verbunden. Es sieht wüst aus, ein scheinbar undurchdringbares Dickicht, in dem es nur schwer auszumachen ist, wohin welcher Kabelstrang führt und was er miteinander verbindet. Maria W Horn allerdings muss es wissen, sie dreht und drückt Tasten, wiegt dazu mit dem Kopf und erzeugt wie ganz selbstverständlich sphärische Klänge. Maria W Horn ist ordentlich laut, aber anders laut als die Swans eine Stunde später. Hier dröhnt der Bass so stark, dass sich die Härchen auf meinen Armen hochstellen und die Hosenbeine gefühlt flattern. Hier wimmert die untere Bühnenverkleidung bei jedem Beat. Einerseits. Andererseits höre ich in den ganz leisen Momenten den Boden knarzen, wenn jemand ein paar Schritte geht. Der österreichische Verein Heart of Noise schreibt über die Schwedin:
Maria W. Horn lebt in Stockholm und manipuliert Raum- und Zeitwahrnehmung durch extreme sonische Überfälle zwischen Minimalstrukturalismus und Offensivelektronik. Dazu verwendet sie analoge Synthesizer, nachbearbeitete akustische Instrumente und audiovisuelle Bühnenkomponenten. Als Mitglied der Sthlm Drone Society zelebriert sie die Langsamkeit des Seins, die Klangfarben des Unhörbaren und das Zermalmen und Zermahlen der allgegenwärtigen Muzak.
heartofnoise.at
Eine gute halbe Stunde geht ihr Set; es plätschert ein bisschen an mir vorbei.
In der Umbaupause füllt es sich vor der Bühne etwas stärker, allerdings merke ich schon, dass der große Saal der Muziekgieterij nicht wirklich voll ist. 600 von 1400 möglichen Zuschauern sind da, erfahre ich. Immerhin ist so ein angenehmes Stehen mit genug Komfortzone um einen herum möglich. Spätestens nach dem ersten Song/ Track, also nach 75 Minuten, bin ich dafür sehr dankbar.
Die Swans beginnen sehr entspannt. Michael Gira setzt sich auf seinen Hocker, nimmt die Akustikgitarre, stöpselt alles in einer Seelenruhe ein und sagt dann irgendwann ‘lights off’, so dass das Raumlicht ausgeht und nur die rote Bühnenbeleuchtung in den Saal schimmert. Sein Partner Kristof Hahn weist ihn vorher noch kurz darauf hin, den Verstärker anzustellen. Beide sitzen in der ersten Reihe, in der zweiten Reihe sind Larry Mullins, Schlagzeuger Phil Puleo und Dana Schechter positioniert. Christopher Pravdica am Bass steht etwas abseits.
Und dann ist die nächsten 75 Minuten erstmal keine Ruhe mehr. The Beggar nennt sich das neue Album der Swans, und „The beggar“ ist auch der erste Track des Konzertes. Er zieht sich über 75 Minuten. Sicherlich der längste Track, den ich auf einem Konzert gehört habe. Die nachfolgenden Tracks sind kurze Songs, jeweils zwischen 9 und 15 Minuten lang. „Away“ bleibt dabei hängen. Er klingt richtiggehend ‘poppig’ und hebt sich dadurch ab. „Birthing“ am Schluss des Sets will dann für mich irgendwie kein Ende nehmen. Mittlerweile nervt mich die Lautstärke enorm, eigentlich möchte ich am liebsten gehen. Zumindest etwas nach hinten. Aber bei jedem Blick auf die Uhr denke ich: ‚Ach, ist gleich elf Uhr, ist eh’ jeden Moment vorbei, kannste auch noch abwarten.’ Es wird dann doch zwanzig nach elf, bis die Swans sich erheben und die Bühne verlassen. Gott sei Dank spielen sie keine Zugabe.
Endlich vorbei, endlich Ruhe. Also eine Art von Ruhe, denn meine Ohren müssen weiterhin den Lärm verarbeiten. Es rauscht ordentlich im Innenohr und das wird auch noch die nächsten Stunden anhalten. Bemerkenswert und erschreckend zugleich finde ich, wie viele Zuschauer während des Konzertes keine Ohrenstöpsel in den Ohren hatten. Kann man eigentlich nicht bringen, ist viel zu gefährlich. Wie geht es denen jetzt, und wie morgen? Ich meine, ich habe trotz super toller Ohrenstöpsel noch stundenlang Problemchen, richtig zu hören.
Es war irre laut. Ich denke, mein lautestes Konzert ever und damit ein würdiger Nachfolger für das My bloody Valentine Konzert 1992 (?) in Köln.
Setlist:
01: The Beggar
02: The Hanging Man
03: I Am A Tower
04: Guardian Spirit
05: Away
06: Red Yellow
07: Birthing
*Oder: Ich könnte auch einfach keine Videos mehr posten bzw. die Zielgruppe für diese Postings ändern.
Kontextkonzerte:
Swans – Primavera Sound Festival Barcelona 03.06.2017
Swans – Dortmund, 15.05.2015 / FZW
Swans – Primavera Sound Festival Barcelona, 24.05.2013