Ort: zakk, Düsseldorf
Vorband:

Mutter - Max Müller

‘Hoffentlich drückt mir niemand das Mikrofon in die Hand. Hoffentlich drückt mir niemand das Mikrofon in die Hand.‘ Mutter sind beim letzten Song des Konzertes angekommen, „Ein kleines Stück Papier“, gleichzeitig auch das letzte Song auf der Platte Hauptsache Musik, und Sänger Max Müller, der bis dahin schon viel erzählt hat, leitet den Song als poppiges sing-a-long Stück ein, bei dem jeder die Möglichkeit haben soll, mitzumachen. ‘Ich lasse einfach das Mikron rundgehen und jeder singt einmal den Refrain. Der ist ganz einfach und geht so: Ein kleines Stück Papier, lalala, ein kleines Stück Papier. Wer weiß, vielleicht erleben wir hier den Beginn einer großen Karriere.‘ Ich brauche keine Karriere, denke ich, ich hatte bisher auch keine und das gefällt mir ganz gut. Hoffentlich gibt mir niemand das Mikrofon.

Schon zuvor herrschte Seitens des Sängers eine starke Interaktion mit den Anwesenden. Gut die Hälfte der Songs sang Max Müller aus dem Publikumsraum und stellte zwischendurch immer mal wieder lästige Fragen wie ‘Warum bist du hier?‘ oder ‘Und du, warum bist du hier?‘. Aus Langeweile, war eine Antwort, woraus sich ein munteres Gespräch entwickelte. ‘Ist aber auch langweilig hier, die Musik und so. Schrecklich langweilig, jaja.‘ Hihi, der Abend hatte Entertainmentqualitäten und viele solcher Momente. Von Langeweile also nicht die geringste Spur.
Mutter spielen Hauptsache Musik war mein zweites Konzert im Rahmen des Festivals Lieblingsplatte. Dieses Mal spielte das Konzert in der kleineren Halle des zakk, vor knapp hundert Zuschauern. Auch dazu hatte Max Müller eine Geschichte. Vor Jahren seien sie das letzte Mal hier gewesen, und das ‘war gar nicht gut, das war gar nicht gut‘ nuschelte er in sein Mikrofon, bevor die Band das erste Stück von Hauptsache Musik, „Freundinnen und Freunde“, anstimmte.
„Freundinnen und Freunde“ war anderthalb Stunden später auch die einzige Zugabe. Sie fänden es so toll hier, sie würden jetzt einfach noch einmal alles spielen. Aber anders. Die Ansage vor der Zugabe erinnerte mich an ein Konzert von Blumfeld Anfang der 1990er Jahre in der Dortmunder Live Station. Seinerzeit kündigte Jochen Distelmeyer ähnlich lakonisch die Zugabe mit den Worten ‘wir haben nix anderes, wir spielen einfach das erste Stück nochmal‘ an.

Himmel, was für ein Zufall, dachte ich. Hauptsache Musik stammt etwa aus dieser Zeit und Mutter haben in meinen Ohren eine musikalische Seelenverwandtschaft zu der Hamburger Band. So erklärte ich auch ein paar Stunden zuvor die Band Mutter und deren Musik. Hauptsache Musik klänge wie Tomte, die späteren Blumfeld oder die Lassie Singers. Also unheimlich schön! Dass die Berliner auf ihren Alben davor und danach viel krachiger waren, verschwieg ich. Zu viele Informationen verwirren, und begrenzt auf das Wesentliche fand  ich es eine gute und runde Erklärung. Hauptsache Musik ist eine schöne Platte, sie passt genauso gut als Soundtrack zum sonntäglichen Kaffeetrinken wie auch zu nächtlichen Autofahrten. Popmusik, schöne Texte, manchmal monotone Songstrukturen, immer aber diese tolle Unaufgeregtheit. Ich mag so etwas.

Auf Facebook las ich, dass die Band intensivste Proben an den Tag gelegt hatte, um diese Albumshow spielen zu können. Oft waren Mutter in letzter Zeit live nicht zu sehen, und Hauptsache Musik wurde so noch nie in einem Konzert dargeboten. Da war üben sicher gut und wichtig. Für das Konzert wurden zwei Backroundsängerinnen angeheuert, sie sollten die lieblichen Refrains der Songs pushen. Und liebliche Refrains hat Hauptsache Musik eine ganze Menge.
Trotz üben wirkte das Konzert ein bisschen holprig. So do it yourself mässig.  Max Müller traf gerade zu Beginn nicht immer den Ton, die Sängerinnen waren nicht immer synchron. Manchmal wäre es toll gewesen, wenn es stimmiger gewesen wäre, mehr als manchmal war es aber egal. Gute anderthalb Stunden spielte sich die Band durch ihr Album, und je länger der Auftritt dauerte, desto mehr gefiel mir diese wirre Livedarbietung aus Geschichtchen, desinteressiert klingender Songs, interessante Texte und diy- Herangehensweise.

Dass gerade in Düsseldorf die ‘doofen Toten Hosen‘ das ein oder andere Mal für Geschichtsstoff herhalten mussten, ist irgendwie logische. Ich fragte mich dann immer, was wohl der Gitarrist dieser Band denken möge, der, falls er nicht einen sehr guten Doppelgänger hat, ein paar Meter neben mir stand. Ab und an lächelte er leicht genervt.
Dass Mutter nie groß wurden, liegt – so las ich bei Musikexperten nach – auch daran, dass sie nach Hauptsache Musik ein eher unpoppiges und schwieriges Album machten und damit die gerade gewonnene Fan vergraulten. Schade, das Album Hauptsache Musik hat viele feine, große Songs. Und wer Tomte, Uhlmann oder die Lassie Singers mag, sollte Hauptsache Musik unbedingt auf seinem Schirm haben.

Ich war froh, dieses Konzert besucht zu haben. Es ist schwer zu beschreiben, aber es war einer dieser Abende, die überraschend nachhaltig auf mich wirkten. Noch auf der Heimfahrt musste ich oft an einzelne Sequenzen des Konzertes zurückdenken. Der Abend gab mir auf nicht näher bestimmbare Art viele Denkanstöße und Gedanken mit auf den Heimweg. Das passiert mir nicht oft und zeigt mir, dass es ein besonderes Konzerterlebnis gewesen sein muss.

„Es ist nur Musik“ heißt ein Song des Albums. Stimmt, es war nur Musik. Aber eine verdammt gute Musik.

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