Ort: Theater aan het Vrijthof, Maastricht
Vorband:

Sohn met Metropole Orkest - Maastricht, 16.02.2024

Woanders sind die schöneren Konzertsäle. Diese starke Verallgemeinerung trifft auf das Theater aan het Vrijthof voll und ganz zu. Klein, fein, heimelig und modern. Mitten in Maastricht, versteckt hinter einer alten Hausfassade verbirgt sich das Theater, das zwei Konzertsäle beheimatet. Der sogenannte Papyrussaal, in dem dieses Konzert stattfindet, fasst 900 Personen, der andere Saal ist um einiges kleiner. 30 Jahre hat das Theater auf dem Buckel, es sieht aber aus wie frisch eröffnet. Verschleißspuren sehe ich keine. Ähnlich wie im Theater in Heerlen, 15 km weiter nördlich (?), finden hier ab und an auch Popkonzerte statt. Sehnlich wie das Theater in Heerlen ist es top in Schuss und ein wunderbarer Kulturort.
All das lese ich auf einem Veranstaltungs-/Infozettel, gewusst habe ich all das nicht. Ich bin das erst mal hier. Und das auch noch relativ spontan und überraschend.

Erst zwei Tage zuvor fiel mir die Konzertankündigung SOHN met Metropole Orkest zufällig vor meine Füße. Ich überflog den mittwöchlichen Newsletter der Muziekgieterij, einem Musik- und Kulturclub in Maastricht, der ein gutes Konzertprogramm hat und dem ich schon des Öfteren einen Besuch abgestattet habe. Ich erwartete keine großen Dinge, das Programm der Muziekgieterij hatte ich erst in den letzten Tagen genauer studiert und Konzerte von Pip Blom, Swans, Whispering Sons und Mr Big im Kalender notiert. ‘Mh, denke ich, diese Ankündigung habe ich die letzten Wochen aber nicht gesehen.’ Und weiter: ‚Mh, das klingt ja interessant.’
Ich las weiter. Diesen Freitag, also übermorgen, spielt SOHN mit Orchesterbegleitung im Theater in Maastricht. Oh ha. Meine Elektrophase ist zwar fast ein bisschen vorbei, aber anyway, Popkonzerte in Theatern sind oft sehr reizvoll. ich erinnere mich z. B. an ein schönes Konzert von Stargaze und Polica im Theater in Eindhoven. Und Theater aan het Vrijthof klingt enorm reizvoll.

Von SOHN, also dem Projekt des Engländers Christopher Taylor, habe ich Musik. Seine Debüt CD Tremors steht im CD-Regal und verstaubt seit einigen Jahren vor sich hin. Ewig habe ich sie nicht herausgezogen und gehört. 2014, 2015, also in der Zeit, als das Album veröffentlicht wurde, war das anders. Damals heute ich mehr von diesem Elektroindiekram. Und SOHN machten das gut. Die Platte hat einige Hits („The wheel“, „Bloodflows“) und traf seinerzeit bei mir den Nerv der Zeit. Ein Blick auf die Theaterhomepage verriet, es gibt noch Tickets, und die sind gar nicht mal so teuer. Ein zweiter Blick bei Ticketswap verriet mir, es gab sogar noch etwas günstiger Tickets. Okay, Freitag war eh frei und ich hatte Lust auf einen Konzertbesuch. Da ich auch das Theater in Maastricht noch nicht kannte, war die Sache abgemacht: Am Freitag bin ich in Maastricht.

SOHN met Metropole Orkest. Das ist nichts Neues. Bereits im Juni 2020 erschien das Livealbum Live with the Metropole Orkest, das 2019 in Amsterdam mit dem 54-köpfigen niederländischen Poporchestra Metropole Orkest und dem Dirigenten Hans Ek aufgenommen wurde. Warum man drei Jahre später eine Tour nachschiebt, weiß ich nicht. Vielleicht kam zuvor Corona in die Quere. Vielleicht hatten vorher nicht alle Zeit. Die kleine Konzerttour greift aber nicht nur auf das Material von 2019 zurück. Sie spielen auch Songs vom letzten SOHN Album Trust, das 2022 veröffentlicht wurde.

Der Beginn des Konzertes ist für 20 Uhr angekündigt, das voraussichtliche Konzertende für 21.40 Uhr. Das Inklusivgetränk gibt es nach dem Konzert. Hach, ich mag die Infopolitik der benelux-ischen Kulturveranstalter. Mein Sitzplatz ist in Reihe 1, ich sollte also pünktlich vor Ort sein. Aber ich sollte vorher auch ein paar Frites essen. Die Frituur Reiz, die mir diesbezüglich empfohlen wurde, liegt idealerweise in unmittelbarer Nähe des Theaters. 6 Euro für eine kleine Frites speciaal ist ein stolzer Preis, aber es nützt ja nix. Essen ist auch wichtig.

‘Das Getränk gibt es nach der Veranstaltung’, die Dame am Eingang macht mich nochmals darauf aufmerksam. Um kurz vor halb acht ist es noch relativ leer im Foyer. Nur allmählich füllt sich der Vorraum mit Besuchern. Das Konzert ist – glaub’ ich – nicht ganz ausverkauft. Ich sitze vorne links genau vor Christopher Taylor. Ein Schlagzeuger ist mittig positioniert, am gegenüberliegenden Bühnenrand sitzt ein weiterer Keyboarder/Knöpfchendreher. Das Gesicht kommt mir bekannt vor, ich schaffe es aber in den nächsten 90 Minuten nicht, ihn irgendwo einzuordnen. Hinter den Dreien sitzt über die gesamte Bühnenbreite das Metropole Orkest. Doch einer fehlt. Der Dirigent Hans Ek muss passen. Nach der Probe muss er seinen abendlichen Auftritt streichen. Was für einen Musiklaien wie mich unkritisch klingt, ‘ist ja nur der Dirigent’, ist es natürlich nicht. Ich hätte vielleicht beim Film Tár besser aufpassen sollen. Christopher Taylor spricht daher von einer Challenge, die alle an diesem Abend bestreiten müssen. Es sei aber genügend Erfahrung und Potential unter den Musikern, dass sie die Songs auch ohne Dirigent wuppen. Die erste Geige – eine Violinistin – übernimmt stattdessen die Führung. Was ist denn nun genau die Schwierigkeit? So wie ich es verstehe, sind es zwei Dinge. Zum einen sitzt Christopher Taylor mehr mit dem Rücken zum Orchester und hat die Musiker nicht im Blick, um Vorgaben machen zu können. Zum anderen ist es wohl immens schwierig, dass alle das richtige Tempo spielen und auch halten.

Der Dirigent ist nicht nur ein Koordinator, sondern ein musikalischer Leiter eines Ensembles oder Orchesters. Er gibt für alle Musiker den Takt vor und bestimmt somit auch das gemeinsame Tempo.

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Ich spoilere nicht zu sehr, wenn ich sage, es hat alles gut geklappt. „Tremors“ und „The wheel“ sind die ersten Songs, die ich wiedererkenne. Aber bei solchen besonderen Konzertkonstellationen geht es mir nie um die einzelnen Songs, wichtigeres ist mir das Gesamtergebnis. Und das ist großartig. Das Metropole Orkest ist gut, die Harmonie zwischen den Instrumenten auch ohne Dirigent großartig. Bereits nach kurzer Zeit ist mir klar, dass hier wird ein besonderer Abend.

Es ist ein wunderbares Konzert, das ich größtenteils verträume. Nie zu wilde Drums, minimalistische Synthies, die Violinenwände, die sanft schwingenden Melodien und enorm eingängige und unaufgeregte Popsongs. Die dance-lastigen „Tremors“ und „The wheel“ sind toll im Orchestermantel, aber am tollsten ist jedoch das Björk Cover „Jóga“. Wow, was für eine Interpretation. Ich weiß, es spricht nicht für den Künstler, wenn ein Cover der schönste Song des Abends ist. Aber für mich ist es das an diesem Abend; allerdings nicht, weil SOHNs eigene Stücke so mies wären, vielmehr weil das Cover so treffend gewählt und so gut dargeboten wird. Also besser als die sehr guten Darbietungen der anderen Songs.
„Jóga“. Metropole Orkest im Hintergrund spielt ganz sanft und leise, dazu der Falsettgesang von Christopher Taylor. Es passt perfekt zusammen, es ist perfekt. Neben Clem Snides Interpretation von Christina Aguileras „Beautiful“ die beste Coverversion, die ich kenne. Es ist mucksmäuschenstill im Saal. Alle fiebern mit. „Jóga“ ist für viele, wenn nicht für alle, der Höhepunkt des Konzerts. 

Nach einer Stunde gehen der Schlagzeuger, der zweite Keyboarder und Christopher Taylor von der Bühne. Oh, ein frühes Ende des Konzertes, das durchaus noch etwas länger gehen könnte. Waren das jetzt schon die 16,17 Songs der Setlist? Himmel, die Zeit verging wie im Flug. Eine Zugabe spielen sie noch, dann ist ihr Repertoire erschöpft. Das Orchester erhebt sich, und auch ein langer und intensiver Applaus ändert nichts mehr an der Tatsache, dass das Konzert endgültig vorbei ist.

Als ich nach einer kleinen Cola kurze Zeit später das Theater verlasse, warten draußen schon zwei Busse auf die Orchestermusiker. Einige sitzen schon im Bus, andere steigen gerade ein. Es scheint, dass alsbald Abfahrt ist. Puh, das geht schnell. Viel Zeit hinter der Bühne blieb ihnen jetzt nicht. 10 Minuten später sitze ich auch im Auto. 75 Minuten später bin ich zuhause.

Es war ein verdammt guter Konzertabend.

Setlist:
01: Hue
02: Figureskating, Neusiedlersee
03: Oscillate
04: Tremors
05: Nil
06: I won’t
07: Signal
08: The wheel
09: Bloodflows
10: Riverbank
11: Jóga
12: M.I.A.
13: Lights
14: Lessons
15: Segre
16: Artifice
17: Conrad
Zugabe:
18: Rennen

Kontextkonzerte:

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