Die Familie ist gespalten. Die Eltern und der jüngere Sohn sitzen rechts vom Gang im Viererabteil, links vom Gang der ältere Sohn und seine Freundin.
Die beiden Teenager wirken frisch verliebt und machen, naja so allerlei kindische Spielereien wie Händetidschen. Der Vater ignoriert die beiden und unterhält sich stattdessen mit seinem jüngsten über vorbeiziehende Schrottplätze. Mutter schaut verstohlen aus dem Fenster, ihre Augen leuchten und insgeheim beobachtet sie die beiden durch die Glasreflexion der Scheibe. Sie scheint glücklich und zufrieden zu sein. Was mag sie denken?
„It’s about time“ wäre der passende Soundtrack“, denke ich. “It’s about time”, diese Schnulze vom Come on feel the Lemonheads Album.
Mensch, dass ist ja schon 15 Jahre her!
1993, die Hochzeit der Lemonheads. Evan Dando, der von der Erstbesetzung einzig verbliebene Lemonhead, ist MTV’s Darling, Model und Schwarm aller Mädchen. Der bestaussehenste Mann der Indierockszene, der eigentlich alles hätte machen können, wenn, ja wenn nicht immer diese kleinen fiesen Substanzen im Spiel gewesen wären.
Die Lemonheads machten große Alben, neben It’s a shame about Ray war auch das Nachfolgewerk Come on feel the Lemonheads brillant, und geben unberechenbare Konzerte. Sie waren kurz davor Superstars zu werden, doch Evan Dando zerstört erst sich – er wird Mitte der 90er zum Crackjunkie und bringt einen Entzug hinter sich – und dann die Lemonheads. Die haben 1996 mit Car Button Cloth nochmal einen Achtungserfolg, doch die große Zeit des College- und Alternativrocks ist bereits am ausklingen und die Lemonheads lösen sich kurze Zeit später auf.
Eine Band, die für stellvertretend für eine Musikepoche stand, gab es nicht mehr. Und wer gestern im Gebäude 9 die Lemonheads gesehen hat, wird vielleicht denken: hätte es Evan Dando doch dabei belassen.

‚Atlantic City‘, dachte ich, ‚die Lemonheads sind wie Atlantic City.‘

Ich besuchte dieses kleine Las Vegas an der Atlantikküste der USA vor kurzem, und die Stadt machte – trotz des oder gerade wegen des vordergründigen Glanz und Glamours der Casinos und Showbars – einen abgewrackten und erbärmlichen Eindruck auf mich.
Genau wie Evan Dando, genau wie seine kaputten Chucks, seine löchrige Lewis und das inzwischen eingelaufene Sweatshirt.
Gitarre, Schlagzeug, Bass. In klassischer Formation betraten Evan Dando und Bandkollegen die Bühne. Mit „Rockin Stroll“ und „Confetti“ starteten sie in den Abend. It’s a shame about Ray stand im Mittelpunkt. Das Album, das ich rauf und runter hörte, deren Songs ich auswendig kannte. Es war seinerzeit das große Durchbruchalbum, nachdem die Plattenfirma Atlantic (!) nach einigen Monaten eine Zweitversion mit dem „Mrs Robinson“ Cover veröffentlichte. „Mrs Robinson“ war ursprünglich nur als Single gedacht, wurde dann aber dem Album hinzugefügt.
It’s a shame about Ray wurde bis „Ceiling fan in my spoon“ komplett durchgespielt. Auf Mrs Robinson und auf ihre andere Coverversion verzichten die Lemonheads Gott sei Dank an diesem Abend. Zuviel Nostalgie muß dann doch nicht sein. Was mir jedesmal auffällt, wenn ich eines der alten Lemonheads Stücke höre, ist, dass ich Juliana Hatfields Stimme vermisse. Egal, ob bei “Bit part” oder “Great Big No”, “It’s about time” oder “Into your arms” (das nicht gespielt wurde). Ihre Stimme ist sofort in meinem Kopf. Keine andere Frau darf jemals diese Songs singen.
Dann verließen die beiden Mitstreiter die Bühne und Evan Dando spielte vier oder fünf Stücke solo, u. a. das noch ausstehende „Frank Mills“. Doch wie er es tat, passte zum Bild. Stück an Stück aneinandergereiht, stumpf heruntergespielt. Die Präsenz des Publikums schien Nebensache. Ansagen: kaum. Blicke ins Publikum: keine. Ein Lächeln: auf keinen Fall. Selbst das wunderbare „Outdoor type“ und „Being around“ wurden in diesem Soloset völlig zerspielt.
All das war kein schöner Anblick. Am liebsten wäre ich schon nach vier Liedern gegangen. Ich fand es traurig mit ansehen zu müssen, was aus einer meiner allerliebsten Lieblingsbands geworden ist, vielmehr wie selbstzerstörerisch Evan Dando veranlagt zu sein scheint. Er wirkte total neben der Spur. Nach jedem Song ein großer fragender hilfloser Blick erst Richtung Setlist und dann Richtung Kollegen. Wie geht’s weiter? What’s next?
Tja, Evan, wie geht’s weiter? Gestern wirkte alles wie der große Ausverkauf von der Resterampe. Wie Geldverdienen müssen mit dem ehemals großen Namen. So möchte man seine Jugendhelden nicht in Erinnerung behalten. Es war kein Vergleich zum letzten Auftritt vor zwei Jahren. Damals kamen sie mit einem neuen Album in die Stadt, wirkten spielfreudig und gierig. Damals freute ich mich noch Tage danach, die Lemonheads endlich mal wieder gesehen zu haben.
Heute denke ich, wären sie doch nicht wiedergekommen, oder wäre das Konzert direkt im Gebäude 9 angesetzt worden. Dann wäre ich eventuell nicht hingegangen. Denn eigentlich hatte ich das Ticket gekauft, um die Lemonheads in der interessanten Atmosphäre der Kölner Kulturkirche zu erleben und nicht um die Lemonheads zu sehen. Hätte, wenn und aber. Das Leben ist kein Konjunktiv.
Evan, mach’s gut!

Kontextkonzert:
The Lemonheads – Köln, 27.10.2006 / Bürgerhaus Stollwerck

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. e.

    klingt nicht wirklich spaßig deine konzertreview. schade. ich erinnerte mich beim lesen auch an die euphorischen und begeisterten berichte von vor zwei jahren. mit neuem album im gepäck tut sich wahrscheinlich vieles leichter. aber evan sah auch wesentlich gesünder aus, damals.
    „car button cloth“ aber nur als achtungserfolg zu bezeichnen, kann ich nicht stehenlassen. ich liebe das teil, es ist voller wunderbarer melodien.

  2. -Christoph-

    Dein Bericht trifft den Kern des Abends vollkommen. Genauso war es.

    Eigentlich hätte aber als Zusammenfassung auch das letzte Foto genügt… Das hätte mir aber das Vergnügen, den tollen Bericht zu lesen, genommen.

  3. Sebastian

    Seltsam, seltsam. Das Konzert vor ein paar Jahren im Stollwerk war verdammt gut! Da bin ich froh, dass ich nach der Verlegung von der Kulturkirche den Weg nach Deutz nicht gemacht habe …

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