Ort: Stadtgarten, Köln
Vorband:

Anna Ternheim

‘Do you like the Backstreet Boys?‘ fragt Anna Ternheim zu Beginn der Zugabe ins Rund des Stadtgartens. Eine Antwort bleibt aus, das Grummeln zeigt aber, dass man irritiert ob der Frage ist. Uahh, die Backstreet Boys! Himmel hilf, nein, die mag man nicht. Wirklich nicht. Das ist doch die Musik der Kinder und/ oder Neffen; aber es ist doch nicht unsere Musik, die wir hier im Stadtgarten stehen.
Als Anna Ternheim dann „Show me the meaning of being lonely“ anstimmt, nur auf der Akustikgitarre und in Begleitung des Keyboarders, muß ich direkt an eine Dokumentation über Eurodance/ -disco denken, die ich letztens im Fernsehen gesehen habe. Dort wurde unter anderem ein gewisser Nosie Katzmann portraitiert. Den Namen hörte ich seinerzeit zum ersten Mal, seine Lieder kannte ich natürlich. Unbewusst. Er war der Produzent vieler großer Eurodance Bands (Culture Beat, Captain Hollywood) und schrieb deren Hits wie „Mr Vain“ oder „More and more“. Nosie Katzmann sagte in dieser Fernsehdoku sinngemäß folgendes:

Einen guten Eurodance Song erkennt man daran, dass er auch in anderer Instrumentierung funktioniert.

Und dann spielte er quasi zum Beweis „Mr Vain“ auf der Akustikgitarre und ja, es klang wirklich wunderbar.

Das Backstreet Boys Cover war toll, genauso wie der gesamte Abend mit der Schwedin, die in Bandbesetzung angereist war, enorm schön und unterhaltsam war. Doch warum war das Konzert für mich so unterhaltsam, obwohl ich doch eher nicht auf skandinavische Frauenstimmen (Ausnahme: Nina Persson)und deren Musik?

Nun, sicher lag es daran, dass Anna Ternheim an diesem Abend viele kleine Konzerte in einem spielte, und so keine Langeweile aus Gleichartigkeit heraus entstand.
Da war die ‘Hardrock‘-Sequenz mit vielen Gitarren und Gitarrensoli gleich zu Beginn, da war der Popteil, luftig und schön und mit zwei, drei Songs, die ich kannte (eins davon war „Leaving on a mayday“), und da war der Folk- und Akustikteil, der vielleicht ursprünglichste und erbeigenste Stil in der Musik der Anna Ternheim.
Nur Eurodisco und fiese Gitarren, wie ich es in einem Konzertbericht vom Konzert in Frankfurt am Tag zuvor gelesen hatte, hörten wir nicht heraus. Nein, da waren wir uns nach dem Konzert einig, beides gab es nicht. Mit dem Autor dieser Zeilen, so ebenso unisono unser Fazit, muss gesprochen werden.
Was ich sagen will. Es war ein abwechslungsreicher Abend, den ich so nicht erwartete hatte.

Eigentlich hatte ich bis zum Tag davor überhaupt nicht erwartet, auf dieses Konzert zu gehen. Als nicht riesengroßer Anna Ternheim Fan kam ich erst spät und nur durch die Absage eines Freundes zu einem Ticket für die seit langer Zeit ausverkaufte Veranstaltung. Anna Ternheim, ja, ich hatte ein paar CDs zuhause, also genau ein Paar CDs. Leaving on a mayday und eine Cover Songs EP. Das meiste kenne ich also überhaupt nicht von der Schwedin, die in ihrer Heimat ein Weltstar ist und auch schon mal auf dem Bankett zur Nobelpreisvergabe spielen darf, wie ich aus einem youtube Video erfuhr, das ich mir nachmittags noch schnell reinzog. Lustigerweise war es auch das Backstreet Boys Cover, was ich im Internet erwischte.
Ihr sechs Alben Backkatalog ist mir daher zu mehr als zwei Dritteln fremd, aber ich besuchte schon mal ein Konzert von ihr. 2009 war das und ich so hatte grundsätzlich eine Ahnung darüber, welche Musik mich erwarten könnte. Damals schrieb ich:

Musikalisch riss mich Anna Ternheim nicht um. Sie schaffte es nicht, mich heute so zu begeistern, dass ich unbedingt bis zum Ende bleiben wollte. Lag es an mir und meinem Stehplatz oder an Anna? Ich bin mir über die Antwort nicht ganz klar. Vielleicht sollte ich das Ternheim’sche Gesamtwerk nochmals hören, damit diese Frage nicht unbeantwortet bleibt. Bis jetzt bin ich kein Fan

Oh je.
Aber ich hatte Lust, hinzugehen. Und Lust ist das Überzeugungsargument schlechthin. Also ging ich.
Ohne Vorband und großes Tamtam startete Anna Ternheim mit besagter ‘Hardrockphase‘ in das Konzert. Die Bandmitglieder kamen zum Intro von „Hours“ einzeln und nacheinander auf die dunkle Bühne, zuletzt die Sängerin. „Hours“ ist laut, und gefiel mir auf Anhieb sehr gut. Im gleichen Stil ging es erstmal einen Song lang weiter, bevor uns Anna Ternheim im Anschluss darüber aufklärte, wie es zu den Songs zum neuen Album gekommen sei und warum sich die aktuelle Scheibe For the young so anders anhört als die Platten davor.

‚This evening will be completely different‘, sagte sie in Anspielung an ihren letzten Stadtgartenauftritt vor einigen Jahren, als sie zusammen mit Musikern aus Nashville unterwegs war. Nun, ich war seinerzeit nicht dabei, also sagte mir das nicht allzu viel.
Aber dieser Konzertbeginn war gut und im Wechsel mit den ruhigen Akustikpassagen und den lupenreinen Popsongs ging es wunderbar different weiter. Ein rein akustischer Abend wäre sicherlich langweiliger geworden, denke ich zwischendurch mehrere Male. Da war es so doch um so viel besser.
Der Satz des Abends vervollständigte das gute Konzert auf eine bestimmte Art und Weise:

Über bestimmte Dinge zu viel nachzudenken, ist manchmal allzu hinderlich. To let things come radically in your life is sometimes better.

Ich weiß nicht, was Anna Ternheim dazu bewogen hat, diesen Satz zu sagen. Aber er stimmt. Und ich als eher nachdenklicher Mensch sollte das vielleicht auch mal beherzigen.

Kontextkonzert:
Anna Ternheim – Köln, 27.04.2009 / Stadtgarten

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Uwe Batke

    Ich war gestern beim Frankfurt Gig und als langjähriger Ternheim Fan und Kenner hat es mir gut gefallen. Vielleicht
    die beste Tourband, die Anna bislang hatte. Speziell die Gitarristin mit ihrem Powersound und die tolle Schlagzeugerin
    haben gefallen. Hätte gern noch ein paar von den lauten Songs
    mehr gehabt.
    Es handelte sich aber weder um Hardrock noch um Eurodisco,
    höchstens ein paar Versatzstücke von letzterem bei ‚Let it rain‘
    Schön war’s !

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