Ort: Gloria, Köln
Vorband: –
Das las ich Anfang der Woche im unterhaltsamen Blog „Das Pop Tagebuch“ von Eric Pfeil.
„Sie hat etwas, was die Leute nicht begreifen (Das Magazin)“.
Ich weiß nicht, ob es klug ist, so etwas auf ein Plakat zu drucken. „Ja, wenn man es nicht begreift, dann gehe ich wohl besser mal nicht hin“, mag mancher hier doch sicher denken, „denn Leute bin ich ja auch“. Andere wiederum könnten anfangen, über die spezifische Art der Unbegreiflichkeit Sophie Hungers nachzugrübeln und dem Eindruck erliegen, die Frau löse vor allem deshalb Nichtbegreifen aus, weil sie auf der Bühne mit eimerweise Tiergedärm hantiert und sich nackend in Wannen voller Gewürm suhlt, derweil ihre ebenso blutspuckenden wie grell frisierten Mitmusiker mit Äxten auf rostiges Instrumentarium eindreschen.
Nein, das mit den Tieren und dem Blut könnte eher auf Anja Plaschg aka Soap&Skin zutreffen. Doch dazu morgen mehr.
Eric Pfeil, machen Sie sich keine Sorgen um die Leute. Sie erliegen keinen falschen Eindrücken. Sie kommen in, na ja Massen wäre übertrieben, aber in gewichtiger Menge und fressen der Schweizerin aus der Hand. Das war im Mai im Gebäude 9 der Fall, und das war es auch gestern Abend in der schönen Kölner Kulturkirche.
Sophie Hunger, die grandiose Schweizer Songwriterin, Jazzmusikerin und Komponisten war mal wieder in der Stadt, und ihr Konzert ein Pflichttermin. Nicht nur für mich. Während ich auf den Beginn des Konzertes warte, kann ich nach und nach alle üblichen Verdächtigen in den ersten beiden Reihen entdecken. Es ist beruhigend zu sehen, dass sich einige Dinge nicht ändern und alle die sommerliche Konzertpause gut überstanden haben. Wahrscheinlich denkt man ähnlich über mich; es gibt wahrlich schlimmere Gedanken. Zum Beispiel den, dass es doch eine tolle Idee wäre, abgenudelte Dylan Cover zu spielen. Mit fieser Mundharmonika und so.
Wie komme ich darauf? Nun, die einzige Schwachstelle des Abends ist ein gecovertes „Like a rolling Stone“. Es tut mir weh das zu schreiben, aber das hatte ärgerlichen ‚Samstagabend Bürgerhaus Ü30 Party mit Live Cover Band‘ Charme und wird dem schönen Abend nicht gerecht. Bestimmt mag Sophie Hunger den Song (auch mir gefällt er), aber es gibt doch so viele interessante Lieder, die noch nicht so abgecovert sind. Mit „Le vent nous portera“ hast du uns doch gezeigt, wie interessant ein Cover sein kann. Ein schönes Stück, im Original von Noir Desir.
Der weitere Abend ist hervorragend. Natürlich, möchte ich sagen. Kann es schlechte Sophie Hunger Abende geben? Dieser ist vielleicht noch ein Stück weit schöner als im Mai im Gebäude 9.
Damals war ich in meiner Sophie Hunger Hochphase. Die CD Monday’S Ghost war just erschienen, ich hörte sie rauf und runter und „Walzer für niemand“ rief eine Gänsehaut hervor, wenn ich nur an das Lied dachte. Als im Sommer dann die Ankündigung des Kulturkirchenkonzertes bekannt wurde, war das Ticket schnell gekauft. Ich hoffte und freute mich auf einen ähnlich entspannten, aufregenden und mitreißenden Abend wie im Mai.
Die Hoffnung erfüllte sich. Die guten 90 Minuten Sophie Hunger und Band gehen vorbei wie nichts. Alles passt: Musik, Ambiente. In Summe eine Konzertschönheit in Perfektion.
In ganz kleinen Momenten ärgere ich mich, dass ich nie ein Instrument erlernt habe. Gestern war so einer. Klavierspielen müsste man können, hätte man lernen sollen. Dann könnte ich die spielerischen Leistungen noch stärker honorieren und müsste nicht nur laienhaft daherschreiben, wie schön das klingt und wie harmonisch die Tastenanschläge funktionieren. Denn vom Handwerk des Musikmachens habe ich keinen blassen Schimmer. Dass Sophie Hunger und ihre Mitstreiter Michael Flury (posaune, Glockenspiel), Christian Prader (Flöte, Klavier, Gitarre), Julian Sartorius und Bassist Simon Gerber feine Musiker sind, entgeht mir aber nicht.
Da sitzen sie am Bühnenrand, nur eine Armlänge entfernt und spielen ein wunderbares „Tell the moon“. Ganz ohne Verstärker und Klimbim. Es ist mucksmäuschenstill in der Kirche. Andächtig still. Sophie Hungers Augen leuchten und man merkt ihr und der Band die Freude an. Unsere Augen leuchteten zurück. Es war ein tolles Finale und der Konzertmoment des Jahres bisher.
Das euer „Walzer für niemand“ erneut sofortige Gänsehaut verursacht sag ich nur, weil es mich selbst überrascht. Ich habe das Stück länger nicht gehört und war mir nicht sicher, ob mich der Song immer noch so stark beeindruckt. Er tut es.
Andere Songs, die bisher an mir vorbeigingen, blieben gestern auf ein kurzes Hallo stehen. „Round and round“ zum Beispiel, oder „Citylights“. Wunderbar. Ja, ich bin begeistert. Sophie Hunger, du bist toll! Band, ihr seid toll! Bis bald!
Setlist:
01: Die Fahrende
02: Shape
03: Drainpipes
04: House of Gods
05: Mr. Shades
06: The boat is full
07: Lovesong for everyone
08: Marketplace
09: Walzer für Niemand
10: The Musician
11: Round and round
12: Citylights
13: Le vent nous portera
14: Rise and fall
Zugabe I:
15: Hotel Belfort
16: Like a rolling stone
17: Spiegelbild
Zugabe II:
18: Monday’s Ghost
19: Birth-Day
Zugabe III:
20: Tell the moon
Kontextkonzerte:
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Pingback: pretty-paracetamol in concert: Sophie Hunger - Dortmund, 15.02.2013