Ort: domicil, Dortmund
Vorband:

Howe Gelb Trio KonzertDas domicil in Dortmund ist vermutlich ein altes Kino. Im Erdgeschoss gibt es eine Bar, der Konzertsaal befindet sich in der ersten Etage. Über zwei Flügeltreppen gelangt man nach oben, ein altes Kassenhäuschen dient als Ticketbude. Der Konzertraum wirkt aufgeräumt, ist bestuhlt. Die Bühne am Kopfende ist breit, an den Seiten sind tischhohe Sitzbänke angebracht. ‘Ah, this is the balcony‘ wird Howe Gelb irgendwann während des Konzertes die Leute, die dort sitzen, fragend grinsend ansprechen. Die Bar im Erdgeschoss kommt wie aus Twin Peaks. Dicke rote Vorhänge an den Wänden, Poster der aktuellen Dortmunder Jazztage hängen davor. Die Ledersitzhocker und Stühle sind ebenfalls rot, der Boden ist schwarzweiß gefliest. Ein schönes Ambiente, um an diesem nasskalten Novembertag das Howe Gelb Trio zu sehen.

Howe Gelb, wer weiß das nicht, ist der ehemalige Sänger der ehemaligen amerikanischen Desertfolkrock Band Giant Sand, die in den 1990er Jahren einigermaßen erfolgreich war. Ich glaube, ich ah sie auch irgendwann mal im Vorprogramm von irgendwem. In den 2000er Jahren wurden Giant Sand personell neu zusammengestellt wurde, nachdem die ursprünglichen Bandmitglieder Joey Burns und John Convertino Calexico gründeten, und weiterhin mit Tex-Mex dark Folk Country erfolgreich blieben. Howe Gelb erneuerte mit Musikern aus dem Wüstenstaat Dänemark Giant Sand, produzierte weitere Alben, blieb aber eher semi-erfolgreich. Zumindest wurden Calexico größer – wenn ich das so sagen kann – als Giant Sand. Die Frage nach dem warum ist müßig, am Output kann es nicht gelegen haben. Es sind an die 20 Platten, die Howe Gelb mit Giant Sand und solo in den 2000er Jahren veröffentlichte.
Das Howe Gelb Trio schließt sich an diese Periode an. Giant Sand wurden 2016 endgültig ad acta gelegt (O-Ton ‘There are more than enough Giant Sand records, we are not allowed to do more.’), der Jazz rückte in den musikalischen Fokus. 2016 entstand mit dem Howe Gelb Trio ein erstes Album: Future Standards.

Tagsdrauf lese ich in seinem Blog ein paar gute Gründe, warum und wie er den Jazz für sich entdeckte. Wie alt der Blogpost ist, vermag ich nicht zu sagen:

third: all that jazz. what were those mysterious albums in the $1.99 cent jazz bins? man. those album covers promised a whole other experience. and why are they all wearing suits ? here we go, man. the world of Bb was about to come in big time.
the funny thing is i had no one to guide me. no one to point the way. i was on my own in a small pennsylvania town. a new town. the one we had been evacuated to after the flood wiped out our old town. i didn’t have any friends. i was alone with my explorations, which probably them more meaningful and allow my findings to settle in more deeply. with the blues, i had a chance of playing those tunes. 3 simple chords usually. but now i was overwhelmed now with the fabric of jazz chords that seemed other worldly. impossible stuff. but listen to that swing beat. listen to that freedom, like the players were also exporing within their own songs like i was exploring in the cheap bins. they took the listener along on such an infinite thread of soloing and managed to always bring us back in time for the song to end. how did they do that ? what is this shit ? i had learned to play 3D chess about that time, and it was the only analogy that seemed to illustrate this kind of atmosphere in music. tommy flannigan and his elegance. ahmad jamal and his impressive flow and solo prowess. mccoy tyner and his beguiling sophisticated chord combobulations. what the fuck ? i don’t know how or where or when exactly, but somewhere in the dream blur of my youth i managed to see jamal and flannigan live in small jazz clubs. and per usual, i went alone. seeing them live was exactly as confusing as listening to their albums. i had no idea what was happening, but i soaked it up and left the venue inoculated with their pulverizing piano pounce. and a smile. listen to the gershwins’ piano standard “how long has this been going on” in the hands of tommy flannigan. it’s absolutely astoundingly elegant in the hands of such a master. (http://howegelb.com/blog/)

Kurz vor Konzertbeginn erreiche ich das domicil. Der Saal ist gut gefüllt, vereinzelt sehe ich noch ein paar freie Plätze. Ich setze mich und Minuten später kommen vier Männer auf die Bühne. Für ein Trio eigentlich eine komische Zahl, denke ich. Neben Howe Gelb und seinen standardmäßigen Mitmusikern Thøger Lund (Kontrabass) und Andrew Collberg (Schlagzeug) haben sie JB Meijers mit an Bord, der die elektrische Gitarre spielen wird. Ah ha, okay.
Das Konzert läuft genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte. Nachdem die Band gemüchlich die Bühne bestiegen hat, machen der Kontrabass und das Schlagzeug den Anfang, dann setzen Howe Gelbs Klavierakkorde ein. Das hat schon mal Flair und klingt ganz wunderbar. Howe Gelb singt leise, manchmal klingt es wie ein Hauchen, mal ist es nur ein Sprechen.
Obwohl ich nur ein, zwei Sachen von Future Standards kenne, ist alles ist sehr vertraut und kommt mir vor wie schon tausendmal gehört. Klavierjazz ist eben nichts neues, und ein Jazzklavier klingt wie ein Jazzklavier klingt wie ein Jazzklavier. Aber es klingt immer toll. Die Atmosphäre im domicil ist gemütlich, zurückgelehnt: der Kontrabass, das Wischen mit dem Besen über die Trommeln und Becken, die leicht akzentuierte Gitarre, all das ist unaufgeregt und schön. Am dramatischsten klingt da noch das Klacken von Howe Gelbs Stiefelabsätze auf dem Bühnenboden. Das ist immer zu hören.

‚Too much piano is sophisticated’, nach guten zwanzig Minuten erhebt sich Howe Gelb von seinem ollen Klavierschemel und greift zur Akustikgitarre. Nun ist erst einmal Schluss mit Jazz und die Band spielt ein, zwei Giant Sand Songs. Das klingt gleich komplett anders, passt er sehr gut in den Abend. In diesem Augenblick erinnere ich mich zurück an ein Konzert von Grant-Lee Phillips im Kölner Stadtgarten. Das hatte, als er seinerzeit ein paar Grant Lee Buffalo Songs anspielte, ähnlichen Charme. Mein Fuß wippt – wie damals im Stadtgarten – leicht im Takt der Musik. Es macht großen Spaß, hier zu sein. Gott sei Dank habe ich mich auf den Weg ins domicil gemacht.

‘Once there was a time a band called Giant Sand…‘, Howe Gelb erzählt viel zwischendurch. Anfangs ist es nur ein Getuschel und Gebrabbel, das kaum verständlich ist, später dann werden daraus kleine Geschichten. Das hat Unterhaltungswert und lockert das Konzert gekonnt auf. Irgendwie merkt man, dass hier ein Mann mit riesiger Bühnenerfahrung bei der Arbeit ist. Mühelos geht ihm alles von der Hand, Improvisationen werden nach erstem Stirnrunzeln von der Band mitgetragen, Ansagen und Geschichten kommen wie selbstverständlich daher. Aufgesetzt wirkt hier nichts. So kann er dann auch nach einer guten Stunde einfach von der Bühne gehen und seine Bandkollegen ratlos zurücklassen. Minuten zuvor überließ er JB Meijers die Aufmerksamkeit, indem er ihn bat, doch eines seiner Stücke zu spielen. Als dieses zu Ende war, war Howe Gelb nicht mehr da. ‘Are you thursty? I think we make a break now.‘ JB Meijers folgerte logische, als Howe Gelb nicht zurückkam.

Nach ein Pause ging es noch ein bisschen weiter, bevor die Zugabe mit einer wirklich sehr guten Jazzvariante von „Like a rolling stone“ den Abend beendete.

It’s all about Jazz. Oder: Wenn alte Männer des Indierock die Gesetztheit des Alters zu schätzen beginnen.

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