Erst die Schweiz, gestern Österreich. Ausnahmekünstlerinnen aus unseren beiden Nachbarländern gaben sich in dieser Woche in der Kölner Kulturkirche die Klinke, bzw. das Klavier, in die Hand. Begeisterte uns Sophie Hunger am Dienstag abend am im schwarzen Klavierlack gehaltenen Flügel mit tollen Melodien, so legte gestern die Steirin Anja Plaschg aka Soap&Skin auf ihre Art nach.
Aber nicht nur der Flügel war derselbe wie am Vortag, auch der ein oder andere Zuhörer hatte die feminine Doppelpackung gebucht, wie wir bei einem Blick durch die Reihen feststellen konnten. Nicht die schlechteste Entscheidung, versprechen doch beide Künstlerinnen instrumententechnisch ein sehr hohes Niveau.
Anja Plaschg, 19 Jahre jung und Österreichs große Indiehoffnung, kann Klavier spielen. Und wie! Seit ihrem sechsten Lebensjahr macht sie dies und die Leier vom „Ach hätte ich doch früher auch ein Instrument erlernt“ wäre beim Anblick ihrer Fingerfertigkeiten erneut angebracht, aber die gab es ja gestern schon.
Ich hatte Soap&Skin bereits vor einigen Wochen im Dortmunder FZW gesehen, aber in der Kulturkirche erschloss sich mir eine andere Klangdimension. In dem sakralen Raum waren die Töne viel klarer und dominanter zu hören als in der kleinen Dortmunder Konzerthalle. Es war eindeutig die geeignetere Location und meine Idee, Anja Plaschg innerhalb kurzer Zeit zweimal zu sehen, wurde ein erstes Mal belohnt.
Als ich die Lutherkirche betrat, fühlte ich mich dreißig Jahre zurückversetzt. Wie zur besten Messdienerzeit strömte mir weihrauchgeschwängerte Luft entgegen. Dabei geht das mit dem evangelischen Glauben nicht hundertprozentig überein. Die Lutherkirche ist ein evangelisches Gotteshaus, und Weihrauch ist ursprünglich nur in katholischen Kirchen Teil der Zeremonie. Später erfuhren wir, dass dies der Wunsch der Künstlerin gewesen sei soll. Da waren sie, die Worte des Abends: auf Wunsch der Künstlerin. Das kam noch dreimal: Fotografieren, bitte nur ohne Blitz (sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein), auf Wunsch der Künstlerin; kein Gehtränkeverkauf während des Konzertes im hinteren Kirchenteil (Lärmentwicklung durch Plastikbechergeklimper!) auf Wunsch der Künstlerin und die Setlist durfte auch nicht abfotografiert werden (richtig: auf Wunsch der Künstlerin, wie der Mischpultmann sagte. Grosse Geheimnisse um ein junges Mädchen.
Das Konzert begann wie in Dortmund. Die Bühne wurde nur durch einen oder zwei weiße Spotleuchten aufgehellt. Der größte Teil der Bühne blieb im dunkeln. Der Flügel war so aufgebaut, dass Anja Plaschg leicht mit dem Rücken zum Bühnenrand saß. Auf dem Flügel stand der Laptop, das andere Instrument des Abends. All das kannte ich schon vom Dortmunder Konzert.
Gespannt war ich auf den zweiten Teil des Programms, wenn nach „The sun“ symbolisch die Sonne dadurch verdunkelt wird, dass das Bühnenlicht sekundenlang ausgeht und Anja Plaschg zur Performanceshow abdriftet. In Dortmund war diese ganz schön beängstigend und aggressiv und ich fragte mich damals, ob sie das jeden Abend auf diese Art umsetzt oder ob es seinerzeit nur das Ergebnis eines beschissenen Tages war.
Um es kurz zu machen: in Köln war es nicht so dramatisch. Kein besessenes Geschrei, keine exorzistisch anmutenden Tanzeinlagen. Anja Plaschg wirkte von Anfang an innerlich ausgeglichener und weniger angespannt und aggressiv.
Der erste Teil des gut einstündigen Konzertes lief einwandfrei, ihr Klavierspiel war sehr präzise, glasklar und mit nahezu sanftem Tastenanschlag. Gestört wurde der Hörgenuss lediglich durch das Knacken der linken Lautsprecherbox. Hier schien die Technik zu versagen. Ärgerlich, denn gerade in den ruhigen Sequenzen störte es sehr. Anja Plaschg ließ sich aber davon nicht aus der Ruhe bringen. Gut.
Den Laptopeinsatz nahm ich diesmal nicht so deutlich wahr. Lag es an der schwächelnden Lautsprecherbox oder an der feinen Kirchenakustik, die das Klavierspiel in den Vordergrund brachte. Egal, in den wichtigen Momenten war es hörbar. Der Laptop ersetzt wahlweise das große Orchester oder unterstützt die Songs durch kleine, digitale Loopsequenzen. Die Vorgehensweise ist immer gleich. Vor jedem Stück startet Anja Plaschg die entsprechende Sequenz im Computerprogramm und setzt dann punktgenau mit ihrem Klavierspiel ein. Die Exaktheit in den Übergängen oder Anschlusssequenzen zwischen Klavierspiel und Gesang auf der einen, und den digitalen Tracks auf der anderen Seite, ist beeindruckend hoch. Hier ist eine Perfektionistin am Werk.
Das Kirchenambiente ist der ideale Ort für Soap&Skins düstere, dramatische Pianomusik. In der verrauchten Luft entwickelte sich schnell eine besondere Atmosphäre, die mich komplett vereinnahmte. „Spiracle“ schafft so was spielend und war der beste Song des Abends. Wenn Anja gequält zu „When i was a child“ ansetzt, oder das im Refrain aufkommende „Please, help me“ zum Ende hin in ein dramatisches Geschrei mutiert, dann macht mir das Angst.
Frau Plaschg schafft es, durch Stimme und Klavierspiel eine Dramaturgie innerhalb der Songs aufzubauen, die einen eingeschüchtert zurücklässt und die in der Luft schwirrt wie eine hässliche Geisterfratze, die einen jeden Moment anspringen möchte. Im Idealfall rettet sich dieses Gefühl bis in das nächste Stück und es bildet sich eine Kette von euphorisierender Besessenheit, die sich erst durch das plötzliche Ende des Konzertes auflöst. Ein Zustand, schön und irritierend zugleich.
Hatte ich nach dem Dortmunder Konzert geschrieben, so ein Auftritt darf keine Zugabe haben, wurde mir gestern das Gegenteil gezeigt.
Anja Plaschg kam nach lang anhaltendem Applaus noch einmal zurück, ging ans Mikrofon und sang ein österreichischesVolkslied Dem Inhalt und Klangbild nach muss es ein Grablied oder ein Prozessionslied gewesen sein, so ganz konnten wir uns anschließend nicht einigen. Gerade erhielt ich eine Mail mit folgendem Inhalt: „Das letzte Stück, das wir für österreichisch hielten, ist ein jiddisches Kampflied aus dem Baltikum. Ich habe das vorhin bei Google gefunden.“
Ich muß wohl meinen Google-Suchalgorithmus verbessern!

Sei es wie es ist, der zweite Konzertbesuch bei Soap&Skin brachte die wichtige Erkenntnis, dass Anja Plaschg nicht immer so ist, wie ich sie in Dortmund kennengelernt habe. Das beruhigt mich sehr.
Soap&Skin Konzerte sind unbedingt sehenswert. Das nächste Mal ist sie am 16. Dezember in unserer Gegend. Ort ist dann das Düsseldorfer Savoy Theater. Dann in Musikerbegleitung. Es könnte eine dritte, nochmals vollkommen andere Soap&Skin Erfahrung werden.

Multimedia:
Fotos: frank@flickr

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. e.

    da musste ich schmunzeln, jenseits des weißwurstäquators haut man schon österreichischen dialekt und jiddisch in einen topf. nichts, was mir nicht hätte auch passieren können. (wie streicht man eigentlich ganze absätze durch? so könnte ich meinen blog auch etwas beleben.) ansonsten natürlich ein schöner bericht, der mich jedoch nach wie vor nicht auf die seite der plaschg verehrer bringt.

    1. frank

      Jaja, nicht nur von Musik habe ich keine Ahnung. ;-) . Aber ein bischen html Wissen. Falls es hierfür unter Blogger keinen Button gibt, ähnlich dem „fett“ Button um Texte dick darzustellen, hilft nur der Weg über den Text-Stil. Ein Beispiel: durchzustreichender Text. Ganz einfach!!

  2. SomeVapourTrails

    Da bekomme ich ob dieser Schilderung absolute Lust auf einen solchen Konzertbesuch. Irritierende audiophile Erlebnisse reizen doch mehr als jegliche Berechenbarkeit. Dass Jiddisch und der österreichische Dialekt ähnlich klingen, kann ich als indigener Österreicher keinesfalls bestätigen.

  3. e.

    du bist ein nachtrager! ich schätze deine immer mit leichtem goldstaub umwobenen texte sehr! ein fauxpas meinerseits sollte also nicht bis in alle ewigkeit gegen mich verwendet werden! dafür, dass du dem mainstream so viel abgewinnen kannst, kann ich doch nichts (denn ohne eine spitze verlasse ich dich nicht)! und danke für die html nachhilfe.

    1. frank

      hihi!!!! Nachtragend ohne nachtragend sein zu wollen! Wie ist mir das denn gelungen?!! Ich steh‘ auf dem Schlauch, bedanke mich aber für das Kompliment. Mainstream ist klasse!!!

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